Interview

Peter Kubelka über seine archäologische Sammlung: „Wir leben in einer Entpoetisierung der Welt“

Die erdgeschichtliche Privatausstellung, die der Künstler Peter Kubelka in seiner Wiener Wohnung ausgebreitet hat, soll öffentlich zugänglich gemacht werden. Im Interview erklärt er, welche Ideen ihr zugrunde liegen. Ein Gespräch über Schleudergebete, Regenwürmer und Museen als Kunstautobahnen.

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Als Jugendlicher war Peter Kubelka, ehe er die Nachkriegs-Filmavantgarde revolutionierte, Sängerknabe, Diskuswerfer und Judoka. In den 1950erJahren entwickelte Peter Kubelka sein „metrisches Kino“ in Form hochverdichteter Einzelbildkaskaden wie „Adebar“, „Schwechater“ und „Arnulf Rainer“. Kubelka einen Universalkünstler zu nennen ist ausnahmsweise keine Übertreibung: Neben seiner Kinoarbeit – er gründete 1964 Wiens Filmmuseum und trug 1970 zur Genese der New Yorker Anthology Film Archives bei – ist er auch als Musiker, Kurator, Vortragskünstler und Kochtheoretiker aktiv.

Wenn man in Kubelkas weitläufiger Wohung in der Wiener Plankengasse mit dem Hausherrn am Frühstückstisch sitzt, kann es sein, dass sich die Konversation relativ zügig vom Eierbecher-Design zu Kosmos-Angelegenheiten und von den Zeitthesen des Physikers Stephen Hawking zum Plastikmüll auf den Pitcairninseln bewegt. Denn in Kubelkas Denken hängt alles mit allem zusammen: Universum und Verdauung, Tierforschung und Menschheitsgeschichte, Malereifragen und Harmonielehre, Filmrhythmik und die raffinierten Kommunikationswege des Kochens. Im kommenden Frühling wird Kubelka 90 Jahre alt, und obwohl er erstaunlich agil wirkt (und jeden Tag in aller Ruhe die steile Steintreppe zu seiner im vierten Stock gelegenen Wohnung erklimmt), dürfte das dräuende Datum ihn dazu drängen, sein Erbe zu ordnen. Denn obwohl Kubelkas Schaffen in globalen Großkunstinstitutionen –vom Centre Pompidou bis zum Museum of Modern Art – gefeiert wird, ist eines seiner Arbeitsgebiete bislang kaum bekannt: die eigenwillige erd- und menschheitsgeschichtliche Sammlung, die in seinen Wohnräumen über Dekaden gewachsen ist; Fossilien, Masken, Amulette, Stein- und Holzstatuen sind hier zur Erkundung versammelt, Totenschädel liegen neben Nippesfiguren, Glockenspiele neben prähistorischen Hackwerkzeugen und Harpunenspitzen. Ein geführter Rundgang beginnt.

Kann man die wild gemischte Sammlung, die Sie beherbergen, archäologisch nennen?
Kubelka
Wenn man will. Eine der wichtigsten Aufgaben der Schularchäologie ist die Datierung der Ereignisse, deren Spuren man sammelt. Früher hat man Funde ausgegraben, entnommen, geputzt und ins Museum gestellt. Dann kam die große Entdeckung des Zeithorizonts. Denn die Natur schichtet jeden Tag eine Staubfläche über die andere und deckt also Dinge, die nicht mehr bewegt werden, langsam zu. Wenn ich zwei auf derselben Ebene nebeneinanderliegende Objekte finde, sagen wir: einen Stein und eine Eierschale, dann weiß ich, dass sie gleichzeitig auf der Erde waren – und wenn ich das eine datieren kann, weiß ich auch, wann das andere existierte. Ich bilde in meiner Sammlung nun einen künstlichen Horizont. Was hier nebeneinanderliegt, existiert gleichzeitig …
… und hat dadurch miteinander zu tun. Sie bringen Dinge, von denen andere meinen, sie gehörten nicht zueinander, in Verbindung.
Kubelka
Ich gehe von Menschen aus, die nachdenken wollen und neugierig sind. Mir sind diese Zusammenhänge aufgefallen. Und da ich kein Außerirdischer bin, werden sie vielen anderen Menschen ebenfalls auffallen. Ich muss mich nicht rechtfertigen, es nicht verbalisieren. Es steht nebeneinander und reimt sich, visuell, taktil oder akustisch.
Wann haben Sie zu sammeln begonnen? Und welches war das erste Stück dieser Kollektion?
Kubelka
Als ich Mitte der 1950er-Jahre begann, Filme zu machen, gab es für mich nichts anderes. Ich hatte nur Film im Kopf, dachte Tag und Nacht an meine Einzelbilder und deren Abfolge. Erst 1974 begann ich zu sammeln. Dies hier war das erste Stück:ein Kristall, den ich an einem Mineralien-Verkaufsstand in den französischen Bergen gefunden habe, im Massif Central.
Das Objekt sieht aus, als wäre es lackiert worden.
Kubelka
Nein! Kein Mensch hat es behandelt. Dieses Objekt lehrt uns darstellende Geometrie, es ist die perfekte Verschneidung zweier Würfel – und es gehört zur Natur. Als ich das sah, war klar, dass ich es haben musste.
Aber auf eine bloße Mineraliensammlung legten Sie es nicht an?
Kubelka
Nein, sondern auf eine Sammlung von Dingen, die mich anregen. Sammler und Jäger waren die frühesten Existenzstufen der Menschheit. Man hat gesammelt – in Analogie zum Eichhörnchen, das sich einen Vorrat von Nüssen anlegt, um den Winter zu überleben. So gehen unsere Nachbartiere vor: Sie sammeln, legen Vorräte an und bewachen diese. Wer einen Vorrat hat, erregt aber das Interesse derer, die keinen haben: So kommt es zu Diebstahl, Militär, Kampf und Krieg. Andere Tiere hatten das alles lange vor den Menschen: Vorratsbildung, Raub und Bewaffnung, das Verteidigen, das Verstecken, das Lügen.
Sie arbeiten daran, Ihre außerordentliche Kollektion erd- und menschheitsgeschichtlicher Objekte abzusichern?
Kubelka
Ja, denn diese Sammlung soll weiter existieren – und wirksam bleiben. Sie ist keine lineare Ansammlung von Exponaten, auch keine Liebhaberei. Ich bin ein polemischer Mensch, das sieht man all meinen Arbeiten an, insofern habe ich auch mit der Sammlung etwas vor. Eine objektive Realität, die für alle gälte, gibt es bekanntlich nicht; der Zeitbegriff allein ist ein spekulativer Irrtum, den die Philosophen und Wissenschafter reihenweise gemacht haben, auch weil sie sich zu sehr der Sprache hingegeben haben. Sprache kann die Realität nicht berühren. Sie berührt immer nur das Hirn des Hörers.
Warum wäre das problematisch?
Kubelka
Weil sie falsche Fährten legt. Was beispielsweise ist „Natur“? Die sogenannte Kunst ist in Wahrheit nicht einmal künstlich, sie gehört zur Natur wie die Schwerkraft: Alle Fantasie ist Teil der Natur – weil sie existiert. Man kann auch Universum dazu sagen oder Kosmos. Aber all diese Begriffe sind historisch mit Missverständnissen belastet. Wir leben in einer Sprachdiktatur, es gilt die absolute Sprachmacht. In der bildenden Kunst etwa ist der Katalog längst das Wichtigste. In ihm wird beschrieben, was sie darstellen soll. Und auch denen, die Kunst machen, ist der Katalog schon lieber als die Ausstellung. Denn er bleibt, wird verschickt, die Ausstellung selbst verschwindet. Also unterwirft man sich dem Gesetz, dass alles in der Sprache gefiltert werden müsse. Gegen dieses Denken leiste ich hier Widerstand.
Aber jene, die Ihre Sammlung gerade nicht vor Augen haben, brauchen die Sprache doch. Wie sollte man sonst auf sie anspielen, an sie denken lassen?
Kubelka
Ich will ja die Sprache nicht abschaffen oder denunzieren. Ich liebe Sprache. Aber ich möchte sie in ihre Grenzen verweisen. Auch der sogenannten Wissenschaft folge ich nicht blind. Hier stehen eine Menge Figuren nebeneinander. Wenn man sie anschaut, fragt man sich unwillkürlich, was sie miteinander zu tun haben. So denken wir: verbindend, Beziehungen herstellend.
Die prähistorischen Werkzeuge, die Sie besitzen, haben eine eigene Schönheit.
Kubelka
Je weiter man in der Geschichte zurückgeht, desto poetischer werden Alltag und Wirklichkeit. Früher war alles Dichtung, nichts war rein pragmatisch. Die Poesie ist nicht eine spät vom Menschen entwickelte Sache, sondern im Gegenteil etwas, wovon dieser stets ausging. Wir aber leben in einer Entpoetisierung der Welt. Noch die alten Chinesen nahmen, wenn sie eine Straße bauten, Rücksicht auf die Aussicht, die man von jener Straße hatte. Das wäre für viele heutzutage heller Wahnsinn oder schiere Dummheit. Niemand würde einen Euro dafür ausgeben, dass man von der Autobahn aus besser in die Welt sehen könnte. Das scheint mir ein Prinzip, das durch meine Sammlung bestätigt wird. Denn diese alten Dinge besitzen nicht nur praktischen, sondern auch ästhetischen Wert.
Ihre Sammlung soll öffentlich zu besuchen und zu begreifen sein?
Kubelka
Auf jeden Fall. Ich möchte, dass sie hierverbleibt, in dieser Wohnung, und ich will, dass Interessierte sie besuchen können, aber nicht in der Form, wie es die großen Museen machen,die ja in Wirklichkeit längst keine Bildungsinstitute mehr sind, sondern Tourismus- und Unterhaltungsbetriebe. Meine Wohnung könnte man als Museum gar nicht deklarieren, und ein Publikum, das den Kunstmuseumsbesuch bloß pflichtgemäß abhakt, will ich auch nicht bedienen. Ich bin gegen jede Überzeugungs- oder Vermittlungsarbeit. Diese Sammlung dient Leuten, die von sich aus Fragen an die Welt stellen. Man wird sich registrieren müssen, kann dann eintreten und wird jedes Ding, das man genauer inspizieren will, auch berühren können.
Da sind doch fragile Exponate dabei, die auch beschädigt werden könnten. So würde Ihre Sammlung immer kleiner werden.
Kubelka
Diese Gefahr muss man in Kauf nehmen. Das ist ein natürlicher Vorgang. Wenn jedes Jahr ein paar Objekte kaputtgehen, verschwinden oder gestohlen werden, muss man eben Nutzen und Schaden gegeneinander abwägen. Der Nutzen entsteht, indem man all das berühren, es wirklich begreifen kann. Als ich jung war, durfte ich solche Dinge nie in die Hand nehmen. Wo darf man das denn? In Museen steht man vor einem Glaskasten und kann ein Selfie davor machen.
Dort arbeitet man zudem mit Barrieren und Alarmanlagen.
Kubelka
Eben. Und dann gibt es zu jedem Werk eine völlig nutzlose Erklärung, die einem aber das Gefühl vermittelt, wichtiges Wissen zu erwerben: Namen, Daten, irgendwelche biografischen Details, mit denen man Kreuzworträtsel lösen kann. Auch deshalb lehne ich es strikt ab, meine Sammlung zu katalogisieren, sie Stück für Stück zu inventarisieren und zu nummerieren, weil ich das alles nicht mit Pseudowissenschaft belasten will. Das soll gewachsenes Wissen sein. Ich will auch späteren, anders fragenden Besuchern die Information nicht kaputtmachen. Diese Ausstellung birgt Mitteilungen, die ich selbst gar nicht kenne.
Sie birgt vor allem vielfältig Funktionales.
Kubelka
Neben Werkzeugen und Schmuckstücken finden sich da auch Dinge, die magische oder spirituelle Dimensionen haben, die patiniert sind, tausendmal berührt wurden, aber keinen schlichten Nutzwert haben; die hat ein früher Sammler einfach so aufgehoben. Alles, was die Nomaden besessen haben, mussten sie mit sich tragen. Deshalb war es eine ungeheure Sache, wenn sie so etwas behalten haben. Ihre Werkzeuge haben sie benutzt und weggeworfen. Wenn sie wieder eins brauchten, haben sie es neu hergestellt. Manche Versteinerungen dagegen wurden in einen Rahmen eingebunden, den man sich dann umgehängt hat. Ein klassisches Objet trouvé, ein Readymade: das gefundene Kunstwerk.
Sie interessieren sich für Objekte des Aberglaubens?
Kubelka
Aberglaube und Glaube sind dasselbe. Christentum ist Aberglaube. Ein Stein wird zu einem Machtträger, zu einem Mysterium. Manche Objekte wurden durch Geld kostbar gemacht, durch aufgenähte Kaurimuscheln etwa. Die Sehnsucht nach Statussymbolen ist alt und weit verbreitet. Jeder Regenwurm zeigt seinen Status.
Wie denn?
Kubelka
Indem er sich schöner darstellt, als er ist. Indem er dort kriecht, wo er will, und eben nicht dem Nachbarn Platz macht. Alle Lebewesen, die uns verwandt sind, stellen ununterbrochen etwas dar. Die Rehe etwa spielen stets: Ich bin nicht da. Ich sehe dich nicht, du siehst mich nicht. Die Lüge ist eines der lebenserhaltenden Prinzipien, die Täuschung des Gegners ist existenziell. Auch der Wolf lügt, indem er sagt, er sei nicht da. Er versteckt sich und belügt das Reh so über seine tödliche Anwesenheit.
Sie nennen Ihre Sammlung den „Schutt der Evolution“. Sehen Sie darin denn Abfallprodukte?
Kubelka
Ja, auch, aber ich werte den Abfall nicht ab. Hier liegt etwa versteinerter Säugetierkot. Exkremente sind ein Lieblingsmaterial der Archäologen, denn die Informationen, die sich in den Ausscheidungen früherer Tier- und Menschenreiche finden, sind unbezahlbar. Ihre Untersuchung gibt Aufschluss darüber, was zu einer bestimmten Zeit gegessen wurde, wer wann wo existierte. Kot ist das Ergebnis der Rückgabe eingenommener, zum Überleben aber nicht gebrauchter Teile des Universums an dieses selbst. Verachtung dafür ist völlig fehl am Platz. Ich habe einen getrockneten Kuhfladen, aus Indien importiert. Er gilt dort als religiöses Medium. Es gibt auch frische Kuhfladen, die zubereitet und gewürzt verzehrt werden bei gewissen Festen. Grasfresser-Dung wird in vielen Kulturen als Baumaterial verwendet.
All diese Exponate wurden sorgsam vorgeordnet. Auch wenn sie „Schutt“ sein mögen, auf die Tische und in die Regale regelrecht geschüttet wurden.
Kubelka
Es ist kostbarster Schutt, der eben keine bürokratische Ordnung hat.
Aber er hat eine Struktur.
Kubelka
Ja, die hat sich entwickelt, ungeplant. Anfangs ist das nur aus Platzgründen hier entstanden; als ich einst eine Ausstellung vorbereitete, packte ich Sachen aus, legte sie auf den Tisch. Das hat mir gefallen, ich ließ sie so liegen, dann kam etwas dazu. So ist das gewachsen, über Jahrzehnte. Dieses Prinzip des Schüttens und Liegenlassens hat sich ebenfalls entwickelt. Ich glaube ja grundsätzlich, auch in der Kunst, nicht an Erfindungen, nur an Findungen.
Wie entstand denn Ihre spezielle Sichtweise auf die Kunst und die Welt?
Kubelka
Meine Art zu denken verdanke ich meinem ersten Film, „Mosaik im Vertrauen“, das war 1955. Aus dem Labor hatte man damals Ton und Bild getrennt geliefert, ich konnte die beiden Elemente also gegen alle Gesetze des Realismus neu zusammensetzen. Ich warf mein Drehbuch weg und arbeitete weiter, frei assoziierend mit den Einstellungen, die ich hatte. So entstand keine Drehbuchleiche, sondernein Film! Heute sehe ich, dass mein Sammlerdenken auf meinem Filmdenken beruht, damals habe ich einfach instinktiv so gearbeitet. Das Kochen ist übrigens der reinste Ausdruck dieses In-Beziehung-Setzens der Materialien.
Sie kaufen weiterhin ein? Bei anderen Sammlern, in Geschäften und Online-Börsen?
Kubelka
So lange ich lebe, wird mich niemand daran hindern, dass ich meine Sammlung erweitere.
Wie viele Objekte erwerben Sie jedes Jahr?
Kubelka
Oft lange gar nichts, dann stoße ich wieder auf etwas. Unlängst habe ich durch reinen Zufall eine Glocke gefunden, die aus vier Teilen besteht, wie sie die Ministranten zu meiner Zeit noch hatten. Der Klang dieser Glocke ist ausgestorben, mit der Kirchenreform hat man ein anderes Läuten eingeführt. Früher wurde surrend geläutet, heute ertönt das bekannte Kling-Klang. Die anderen Glocken wurden aus dem Verkehr gezogen. Jenes alte Läuten ist also ein Denkmal, das wollte ich haben. Jahrzehntelang fand ich keine solche Glocke. Plötzlich war sie da.
Alle Dinge verändern sich, unaufhörlich.
Kubelka
Und trotzdem wird das Statische weithin verherrlicht. Die Ente sieht aus wie eine Ente, ist heute eine Ente und wird immer eine Ente sein. Das Statische ist die fixe Idee des Christentums, die etwa in der Dreifaltigkeits-Gebetsformel des „Gloria Patri“ anklingt: „… sicut erat in principio et nunc et semper et in saecula saeculorum, amen“ („wie im Anfang, so auch jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit“). Dieses Denken hat Charles Darwin gekippt, zu seinem eigenen Entsetzen. Das war vielleicht das Größte an ihm: dass er seinen Entdeckungen dennoch nachgegangen ist und nicht, wie so viele andere, ihnen abgeschworen und weggeschaut hat; er hat sich in seinen Schriften – trotz seiner religiösen Familie – gegen eine von Gott geschaffene, als statisch erachtete Welt gewendet.
Gibt es etwas, das Sie gerne hätten, aber nie finden werden?
Kubelka
Ja, ein Gemälde des italienischen Frührenaissance-Künstlers Piero della Francesca würde wohl in meine Sammlung passen; Piero malte seine Bilder mit Umbra, mit dem Ocker der umbrischen Erde, in Braun, Grau- und Grüntönen. Noch Piero hat, wie 50.000 Jahre zuvor auch die australischen Aborigines, die Handwerker und Hersteller vieler Objekte hier, mit der Erde gearbeitet, auf der er gegangen ist. Er malte mit dem Material, das er vor seiner Tür fand. Diese Malerei ist ein Selbstabdruck der Natur. Eines seiner Werke wäre schön hier, aber die nötigen 200 Millionen Euro habe ich gerade nicht parat.
Viele Ihrer Objekte sind auch Musikinstrumente: Klangarbeitsgeräte, wenn man so will.
Kubelka
Ja, denn die Musik ist reine Gegenwart. Alle Säugetiere haben die Erkenntnis, dass sie leben, im Jetzt existieren. Was aber ist dieses Jetzt genau? Man kann es nicht spüren oder definieren, wir haben ja nur unsere Sinne. Wir sammeln die Signale, die uns erreichen, aber in dem Moment, in dem wir sie erhalten, ist die Sache, von der sie künden, schon vorbei. Jedes Sinnesereignis sagt: Jetzt! Es steckt im Klatschen oder Stampfen, wird von den körpereigenen Musikinstrumenten erzeugt und auch von anderen Tieren bewusst erlebt.
Tiere musizieren?
Kubelka
Ja, so wie wir, und sie tanzen auch. Wenn sie miteinander spielen, besonders die jungen, nicht pragmatischen Tiere, kann man diese Freude am Jetzt sehen. Und dann gibt es Instrumente, die das Jetzt markieren. Hier habe ich Klanghölzer der Aborigines. Zeithorizont: etwa 50.000 Jahre. Sie klingen sehr voll, mit viel Geräusch und vielen Obertönen. Der Ton japanischer Klanghölzer ist viel schlanker, kürzer, präziser und durchdringender. Das ist ein Signal im Nō-Theater: das Ende der Pause. Dieser eine Ton dringt durchs ganze Theater, und die Leute strömen zurück. Bei uns wird nervös geläutet! So kann man den Unterschied zwischen den Kulturen sehen und hören. Jeder Ton gehört zu einer Kultur. Es gibt keinen neutralen Ton.
Rund 4500 Objekte umfasst Ihre Kollektion derzeit. Haben Sie noch einen Überblick über die Dinge, die Sie besitzen?
Kubelka
Natürlich, ich hab meine SammlungimKopf. Wie ein Komponist muss ich ja wissen, wie meine Instrumente zu spielen sind, wie hoch, wie tief, wie schnell, wie langsam sie klingen können.
Sie benutzen ausgewählte Demonstrationsgegenstände aus der Sammlung auch für Ihre Vorträge. Stellen Sie da stets neu Gewähltes zusammen?
Kubelka
Ja, immer andere. Das Prinzip des Ad-hoc-Entstehens gilt für all meine Filme, meine Vorträge, mein Kochen. Darum gehört die Sammlung in mein Werk. Hier ist übrigens etwas Schönes: eine tibetische Gebetstrommel, ein rührendes Objekt, das die Industrialisierung des Gebets markiert. Sie birgt eine Papierrolle, auf die man Gebete geschrieben hat. Es sind lange Rollen, deren Inhalt man früher herunterbeten musste, wie bei uns den Rosenkranz. Und dann wurde dieses Ding erfunden, von dem man hoffte, dass, wenn man es drehend schwenkt, das Gebet schneller herausgeschleudert werde und die Gottheit erreiche.
Eine Art Zentrifugalgebet.
Kubelka
Genau. Dieselbe Bewegung vollzog auch David, als er mit der Steinschleuder Goliath erschlug. Darum liegt die Gebetstrommel hier bei anderen Objekten, die von der Entwicklung des Wurfs zeugen. Der Wurf kommt ja aus dem Faustschlag. Die Faust bleibt aber an der Hand. Das ist die gleiche Bewegung: die Gebetsmühlen, die Osterratschen, das Steineschleudern, Schneeschlagen und Rühren. Das hängt alles zusammen. Auch der Weihwedel ist der Wurfkeule zum Verwechseln ähnlich. Damit wird das Weihwasser in der Kirche auf die Gläubigen geschleudert. Das ist verblüffend: die gleiche Mechanik für das Töten und das Segnen.
Alles greift ineinander, das Gute und das Böse, das Todbringende und das Segensreiche. Und offenbar auch Reptilien und Mehlspeisen: Sie haben neben Schlangenformen und Ammoniten eine Zimtschnecke gelegt?
Kubelka
Die liegt seit zwei Jahren hier. Daneben ein altes Maßband, auch eine Spiralform und natürlich eine Filmrolle. Zwischen manchen meiner Objekte existiert ein gewisser Altersunterschied. Das eine ist 200 Millionen Jahre alt, das andere eben nur zwei Jahre. Die liegen aber Seite an Seite und sprechen miteinander. Die Spiralform teilen sie mit den Galaxien der Milchstraße, Partituren ihres zeitlichen Geschehens.
Sie kennen die Geschichte zu jedem dieser Objekte?
Kubelka
Nicht zu jedem, aber zu den meisten. Darum geht es nicht. Ich betone das Spielerische dieser Sammlung. Die Vorfahrin der Museen ist die Wunderkammer – oder einfach nur die Kommode im Bauernhof, wo man etwas Schönes aufgehoben hat.
Wenn Sie sich vorstellen, dass hier in 30 oder 40 Jahren Leute durchgehen, und jeder nimmt sich etwas aus den Regalen, dreht und wendet es, legt es wieder zurück, ein bisschen anders, als es vorher darin lag. Wird das Ihre Ordnung der Sammlung nicht zerstören?
Kubelka
Nein, es sollten ohnehin nie mehr als höchstens sechs Menschen hier sein. Eher nur zwei, drei Leute. Ein Privatbesuch eben. Früher musste man sich in der Albertina ausweisen, dann ging man in den Saal, wo man einen echten Goya hingelegt bekam. Damals konnte man tatsächlich, einfach so, in Goyas Werken blättern! Heute wird man durch eine Art Kunst-Autobahn geschleust. In der Sixtinischen Kapelle zeigen einem inzwischen Ampeln an, wann man weitergehen darf. In vielen Großausstellungen muss man für einen Besuch ein eng begrenztes Zeitfenster buchen.
Einlass 15 Uhr; um spätestens 15.30 Uhr finden Sie sich bitte am Ausgang ein.
Kubelka
Genau. Was für ein Scherz. Das hat mit dem Erleben von Kunst nichts mehr zu tun. Ich will auch nicht, dass Propaganda für meine Sammlung gemacht wird. Die an der Sache Interessierten werden irgendwann Bescheid wissen. Die Botschaft der Sammlung ist nicht laut und vielleicht nicht für jeden verständlich. Wenn man gern über die Welt nachdenkt, ist dies eine gute Voraussetzung.
Die Wohnung soll inklusive Ihrer Bibliothek erhalten bleiben?
Kubelka

Ja, ich möchte alles stehen lassen, wie es ist. Ein Verein soll sich um diese Sammlung kümmern. Ich strebe keine große Institutionalisierung an.

Wer soll sie kaufen? Die Republik Österreich?
Kubelka
Wer auch immer sie erwirbt, müsste sich verpflichten, sie öffentlich zugänglich zu machen.
Aber hier, an diesem Ort.
Kubelka
Hier! Nicht umgewandelt zu einem Museum.

Jemand könnte auf die Idee kommen, sie anderswo kommerzieller zu nützen. Und dann wird möglicherweise der Kubelka-Space im MuseumsQuartier eröffnet.

Kubelka
Nicht mein Ziel. Es ist natürlich so: Wenn man stirbt oder etwas verlässt, kann alles passieren. Das ist dann auch Glücksache.
Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.