Rap-Duo Esrap: „Bei ‚Fürstenfeld‘ bekomme ich Gänsehaut“

Rap-Duo Esrap: „Bei ‚Fürstenfeld‘ bekomme ich Gänsehaut“

Das türkischstämmige Rap-Duo Esrap über Ibiza, Ottakring, Kickl, Kurz und eine Utopie namens „Tschuschistan“.

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Interview: Philip Dulle, Stephan Wabl

profil: Ohne das Ibiza-Video hätte es keine Neuwahl gegeben. Wie haben Sie die Affäre erlebt? Esra Özmen: Ich fand es cool, dass so etwas rausgekommen ist. Überrascht hat es mich nicht. Es ist kein Geheimnis, dass Korruption Teil des politischen Geschäfts ist. profil: Sie sind als Kinder türkischer Gastarbeiter in Wien aufgewachsen. Fühlen Sie sich von den Parteien in Österreich angemessen repräsentiert? Enes Özmen: Nein. Migranten bleiben oft in gewissen Berufen stecken; sie sind Lagerarbeiter, Putzfrauen oder U-Bahn-Fahrer. Ich frage mich, warum es so wenige Migranten bei der Polizei, in Kindergärten, Schulen oder bei Medien gibt. Esra: Andere Länder sind da viel weiter. In Deutschland gibt es nicht nur in der Politik oder in der Kunst mehr Diversität, sondern auch Taxifahrerinnen oder Lehrerinnen mit Kopftuch.

profil: Müssen Migranten mehr Hürden nehmen? Enes: Wenn man Mohammad, Mustafa oder Ali heißt, hat man es im Alltag schwerer. Meine Frau, sie ist halb Ägypterin, halb Ungarin, spricht mehrere Sprachen und entspricht nicht dem klassischen Ausländerklischee. Sie wird am Magistrat oder Finanzamt viel freundlicher behandelt als meine Tschuschenschwester Esra. profil: Ihr Debütalbum heißt „Tschuschistan“. Was heißt das für Sie? Esra: Oft steht die Frage im Raum: Bin ich Österreicherin oder Türkin? Wenn ich in der Türkei bin, werde ich als Österreicherin gesehen, hier dagegen bin ich die Tschuschin. Wir haben diesen Begriff positiv besetzt und spielen damit. Enes: Für uns ist „Tschuschistan“ eine Utopie, ein Ort, an dem sich alle Migranten zu Hause fühlen.

profil: Sie sind in Wien-Ottakring aufgewachsen. Ist das für Sie Heimat? Enes: Auf jeden Fall. Aber es gibt auch in Wien Gegenden, wo ich mich nicht willkommen fühle. In manchen Bezirken spreche ich mit meiner Mutter instinktiv Deutsch, obwohl sie nur Türkisch versteht. Dieses Gefühl, sich verstellen zu müssen, Angst zu haben, ist nicht schön. Esra: Der Mensch sollte nicht dort leben, wo er nicht gemocht wird. Mir wurde jahrelang gesagt, ich solle an mir arbeiten. „Esra, du rappst gut, aber dein Deutsch passt nicht.“ Dann hieß es: „Esra, dein Deutsch ist okay, aber du redest zu laut.“ Im Gymnasium war es hart für mich. Alltagsrassismus war an der Tagesordnung. Irgendwann habe ich mir gedacht: Wenn ich immer kritisiert werde, dann suche ich mir Freunde in meinem Milieu. Vor allem die FPÖ hat dieses Wir-gegen-euch-Gefühl forciert.

profil: Ist der Ton seit der türkis-blauen Koalition rauer geworden? Enes: Ex-Innenminister Herbert Kickl macht mir Angst. Wenn ich seine Wahlplakate sehe, habe ich das Gefühl, dass er nichts Gutes im Schilde führt. Auf der anderen Seite gibt es auch unter Türken FPÖ-Wähler. Esra: Das hat mit Neid zu tun. Unser Vater ist Bauspengler und hat zwölf Euro pro Stunde verdient. Mittlerweile machen Ungarn, Serben oder Syrer die gleiche Arbeit billiger. Da gibt es natürlich Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Das Problem ist: Hier wird Arbeiterklasse gegen Arbeiterklasse ausgespielt.

profil: Was halten Ihre Eltern von Ihrer Musik? Esra: Unsere ganze Familie unterstützt uns – auch unser Opa mit seinen Moscheegänger-Freunden. Unser Vater ist zudem nicht der klassische Türke. Er hat sich früher öfter ins Gasthaus gesetzt, Bier getrunken und Radio gehört. Wenn dann das Lied „Fürstenfeld“ lief, hat er Heimweh bekommen. Enes: Ich liebe dieses Lied, da bekomme ich Gänsehaut. Es erzählt so schön von Heimat und Diaspora.

profil: Als Sebastian Kurz Staatssekretär war, wollte er Sie als Integrationsbotschafter gewinnen. Warum haben Sie abgelehnt? Esra: Was Kurz gut kann, ist, auf Leute zuzugehen, freundlich zu sein und ihnen das Gefühl zu geben, dass er einer von ihnen sei. Viele Türken, vor allem Geschäftsmänner, schätzen ihn. Als Staatssekretär wollte er uns als Vorzeigemigranten präsentieren, nach dem Motto: Ihr habt es geschafft, ihr seid integriert. Dafür wollten wir uns nicht hergeben.

Zur Person

Die Geschwister Esra (29) und Enes (25) Özmen zählen zu den spannendsten HipHop-Acts des Landes. Sie traten heuer unter anderem bei der Eröffnung der Wiener Festwochen auf. Zwei Tage vor der Nationalratswahl erschien ihre politische EP „Freunde dabei“.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.