Sophie Rois

Schauspielerin Sophie Rois: "Ich habe früher noch viel schlimmer gekrächzt"

Die Schauspielerin Sophie Rois über den Sex-Appeal der Berliner Volksbühne, Nacktrollen, österreichische Politik und die #MeToo-Debatte.

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INTERVIEW: KARIN CERNY

profil: Sie haben im Geschäft Ihrer Eltern eine Ausbildung zur Lebensmitteleinzelhandelskauffrau absolviert. Wollten Sie den Laden übernehmen? Rois: Müssen wie jetzt wirklich über meine Jugend reden, diesen finsteren Lebensabschnitt?

profil: Man möchte doch wissen, wie Sie zum Theater gekommen sind. Rois: Ich habe Wurstsemmeln geschmiert ohne Ende. Das war eine Art von Strafe, weil ich mit 16 die Schule abgebrochen hatte. Meine Eltern waren hilflos, wussten nicht, was tun mit diesem Kind, das nicht funktioniert. Sie wollten, dass ich zumindest eine fertige Lehre habe. Danach haben sie den Laden dichtgemacht.

profil: Wie ist Ihr Wunsch entstanden, zum Theater zu gehen? Rois: Ich habe mir ausgerechnet, dass man da nicht so früh aufstehen muss. Und ich habe mir jede Menge Vergnügen davon versprochen. Das ist dann ja auch aufgegangen.

profil: An die Berliner Volksbühne, mit der man Sie meist verbindet, kamen Sie erst mit 31. Rois: Ja, da begann dann meine unbeschwerte Jugend. Mein Leben verläuft irgendwie antizyklisch. Eine der wenigen Arbeiten, die mich schon vor der Volksbühne geprägt haben, fand am Berliner Renaissancetheater unter Gerhard Klingenberg statt. Da habe ich mit Helmuth Lohner in einer Feydeau-Komödie gespielt. Er war hinreißend! Weil es ein kleines Privattheater ist, fiel die Inszenierung sympathisch pragmatisch und unambitioniert aus. Es waren neben uns lauter Berliner Volksschauspieler am Start: Brigitte Grothum, die kennt man aus „Drei Damen vom Grill“. Harry Wüstenhagen – allein der Name verströmt diesen Nachkriegscharme! Er war schon in Edgar-Wallace-Verfilmungen zu sehen. Der Abend war ein Knaller. Ich glaube, mein Hang zum Billigen kam da bereits zum Tragen. Am ehesten habe ich das dann wieder an Frank Castorfs Volksbühne gefunden.

Immer diese Angst, dass, wenn es unterhaltsam ist, das Ding nichts wert, nicht tief genug ist.

profil: Komödien werden gerne unterschätzt. Rois: Meine Künstlerfreunde haben damals die Nase gerümpft. Die haben Heiner Müller im Kellertheater gespielt. Dafür konnte der arme Müller nichts, aber dieser Kunstdünkel kam mir schon immer unglaublich spießig vor. Ich habe auch tolle Abende gesehen, aber das meiste kam über den Bildungsauftrag des bürgerlichen Wohnzimmers nicht hinaus. Immer diese Angst, dass, wenn es unterhaltsam ist, das Ding nichts wert, nicht tief genug ist. An der Volksbühne gab es ein grundlegend anderes Verständnis von Theater. Dass der Schauspieler nicht ein Medium für die Botschaft des Regisseurs ist, sondern schon die Botschaft selbst. Das hat natürlich mit dem Materialismus des Ostlers zu tun. Dieses freie Spiel mit dem Textmaterial, Musik so einzusetzen, dass sie das Geschehen nicht illustriert, sondern einen eigenen Stellenwert hat. Und Leute, die das, was sie wissen, zur Verfügung stellen. Bildung und Wissen waren nicht zum Distinktionsgewinn da. Und das alles mit einem Spaß am Populären, im historisch richtigen Moment, am richtigen Ort.

profil: Castorf macht Boulevard für Intellektuelle? Rois: Auch, ja, das könnte man wohl so sagen. Dieses Theater hatte ein völlig anderes Verhältnis zu seinem Publikum, so etwas hatte ich noch nicht gesehen. Wenn Henry Hübchen als Franz Moor in Schillers „Die Räuber“ seine Mitbürger im Publikum als arbeitsscheue Kadettfahrer beschimpfte, lachten die sich schlapp. Es gab nicht diese Hürde, ins Theater zu gehen, man bestellte nicht wochenlang vorher eine Karte. Man stand auf, putzte sich die Zähne und ging für fünf Mark in die Volksbühne.

profil: Sie meinten einmal, die schlechte Laune und Arbeitsverweigerung an jenem Theater hätten Sie begeistert. Rois: Man wird doch Schauspieler, weil man nicht arbeiten möchte. Weil man diesen Moment der Freiheit sucht. Es geht auf der Bühne darum, das Leben auf den Kopf zu stellen und nicht noch einmal möglichst präzise nachzuhampeln. Theater ist ein Gegenentwurf. Das ist ja auch, was ich an Quentin Tarantinos Filmen toll finde, dass er sich erlaubt, Geschichte umzuschreiben. Das ist schon ziemlich frei im Kopf und macht mir große Freude.

profil: Christoph Schlingensief betonte stets, man müsse auch scheitern dürfen. Rois: Wir sind an der Volksbühne ohne Ende gescheitert. Es gab in der Zusammenarbeit eine Kontinuität und Verbindlichkeit, die über den kurzfristigen Erfolg hinaus ging. Castorf ist angstfrei, das ist sehr angenehm. Es gab damals Unsicherheiten, ob man „Kühnen ’94“ von und mit Schlingensief dem Publikum überhaupt zumuten könne. Castorf meinte nur: „Wenn ihr det machen wollt, dann macht et doch. Müsst ihr selber wissen.“ Da kamen Leute zusammen, die wussten die Freiheit, die das subventionierte Theater bietet, zu nutzen.

Man ist vom ersten Tag an Berliner.

profil: Sie waren 25 Jahre an der Volksbühne engagiert, ehe Sie 2017 die Kündigung einreichten, weil der belgische Kunstmanager Chris Dercon das Haus übernahm. Berlin wollten Sie trotzdem nicht verlassen? Rois: Nein, ich wüsste nicht wieso. Das Schöne an dieser Stadt ist, dass sie von keinem verlangt, sich zu integrieren. Man ist vom ersten Tag an Berliner. Die Stadt fragt: Was bringst du denn so mit? Es gibt diese Art von Offenheit, die natürlich mit der Geschichte und der Struktur dieser Stadt zu tun hat. Tradition spielt keine Rolle.

profil: Sie hatten als Österreicherin nie den Wunsch, ans Burgtheater zu gehen? Irgendwann eine Ehrenrunde im Sarg um das Haus zu drehen und am Zentralfriedhof ein Grab zu bekommen? Rois: Wenn es jetzt um diesen Folklorefaktor des Burgtheaters geht, ist das nicht eher etwas für deutsche Schauspieler? Es ist ja die konkrete Praxis, die für mich das Bestechende ist. Und die habe ich eben in Berlin mit meinen Spielkameraden entwickelt. Das ist viel besser als alles, was ich mir hätte ausmalen können. Ich habe aber sehr gerne am Wiener Akademietheater gespielt. Ich glaube, ich war drei Mal mit Pollesch-Inszenierungen da. Ich mag den Raum und das Publikum.

profil: Sie sind jetzt am Deutschen Theater engagiert. Werden Sie an Ihre alte Heimat, die Volksbühne zurückgehen, wenn René Pollesch ab 2021 das Haus übernimmt? Rois: Ich habe mit Ulrich Khuon einen Vertrag bis 2022, danach gehe ich tatsächlich wieder an die Volksbühne. Aber nicht, weil sie Heimat oder Familie ist. Familie ist Schicksal, da wirst du hineingeboren. Ich habe mir die Leute ausgesucht, mit denen ich spiele.

profil: 1998 spielten Sie die Buhlschaft im Salzburger „Jedermann“. Wie war das? Rois: Als ich das Angebot bekam, war ich amüsiert. Ich habe sofort zugesagt. Dann hat mich natürlich die Realität eingeholt. Man war sehr gut zu mir, aber ich war einfach fehl am Platz und bin auf offener Bühne implodiert. Auch das fällt unter die Rubrik heiteres Scheitern.

profil: Werden Sie oft auf der Straße erkannt? Rois: Nein, dafür muss man Fernsehstar sein. Aber es passieren mir schon lustige Sachen, wie neulich am Käsestand. Die Frau neben mir sprach mich an und meinte, wir würden uns kennen. Sie gab nicht auf und überlegte ewig. Bis sie erleichtert meinte: „Jetzt weiß ich es: Sie sehen Lisa Stansfield ähnlich!“

profil: Ein Markenzeichen ist Ihre heisere Stimme. Hatten Sie die schon immer? Rois: Ich habe früher noch viel schlimmer gekrächzt. Durch das viele Spielen hat sich eine halbwegs tragfähige Stimme herausgebildet. Schon als Kind hat mich meine Lehrerin gefragt, ob meine Eltern denn nicht mal mit mir zum Arzt gehen wollen.

profil: Am Reinhardt Seminar war das kein Problem? Rois: Das war ein Riesenthema! Man hat mir gesagt, ich gehöre nicht auf die Schauspielschule, sondern ins Krankenhaus. Aber wenn man auf alles hört, was die Leute sagen, kann man gleich zu Hause bleiben.

profil: Hat die #MeToo-Debatte am Theater etwas für Sie verändert? Rois: Nein.

profil: Castorf wurde kritisiert, weil er meinte, Frauenfußball interessiere ihn genauso wenig wie Regisseurinnen. Die seien einfach schlechter als ihre männlichen Pendants. Rois: Das Problem ist nicht, dass er so denkt. Sondern dass man seiner Meinung so eine Bedeutung beimisst. Man tut gerade so, als zähle er zum Zielpublikum des Frauenfußballs, ein älterer Herr aus dem 20. Jahrhundert. Frauenfußball läuft jetzt aber schon zur Primetime, weil es genug Leute sehen wollen. Es kommt sehr gut ohne die Segnungen von Frank Castorf aus.

Denken auf der Bühne kann sexy sein. Also nicht, nur das Denken zu spielen, sondern sich wirklich mit dem Inhalt zu konfrontieren, der da verhandelt wird.

profil: Unter Castorf haben aber tatsächlich kaum Frauen inszeniert. Rois: Aber auch kaum Männer. Es waren immer dieselben drei, vier. Bei René Pollesch werden jedenfalls Florentina Holzinger und Constanza Macras inszenieren.

profil: Sie wurden nie gefragt, sich für ein Stück auszuziehen? Rois: Richtig nackig? Das habe ich nur in dem Film „Drei“ von Tom Tykwer gemacht. Da dachte ich auch: Na super, im zarten Alter von 48 kommen die Sexszenen. Aber nach dem zigsten Take, wenn das Catering ganz ungeniert mit den Käsebrötchen an einem vorbeiläuft, stellt sich der sportliche Ehrgeiz des Softpornodarstellers ein. Aber sonst kriege ich schon am Strand die Krise. Noch schlimmer finde ich es, wenn die anderen sich vor mir ausziehen. Ich bin durch frühkindliche FKK-Erlebnisse geschädigt. Als Kind ist man in der unvorteilhaften Position, dass einem auf Gesichtshöhe etwas entgegenbaumelt, was man nicht unbedingt sehen möchte.

profil: Es wurde oft kritisiert, dass die Frauen in Castorf-Inszenierungen ständig auf High Heels herumlaufen. Rois: Lächerlich, wenn man auf der Bühne steht, kommt es doch darauf an, seinen Sex-Appeal selber zu verwalten, wie etwa eine Florentina Holzinger das macht. Und wenn man das nicht kann, spielt es auch keine Rolle, ob man nun High Heels trägt oder einen bequemen Schuh. Denken auf der Bühne kann sexy sein. Also nicht, nur das Denken zu spielen, sondern sich wirklich mit dem Inhalt zu konfrontieren, der da verhandelt wird. Eben Präsentation statt Repräsentation.

profil: Sie waren eine der wenigen Schauspielerinnen an der Volksbühne, die keine Affäre mit Castorf hatte. Rois: Das denken Sie! Nein, Blödsinn, das stand nie zur Debatte. Beziehungen unter Kollegen haben immer etwas komisch Inzestuöses. Es gibt zwischen uns eine freundliche Distanz, deshalb kommen wir auch so gut miteinander zurecht.

profil: Sie pflegen privat einen eigenwillig-eleganten Kleidungsstil, haben die Schluppenbluse schon vor dem Gucci-Revival wieder salonfähig gemacht. Geben Sie viel Geld für Mode aus? Rois: Sie treffen einen wunden Punkt. Ich muss nicht alles haben, was die Saison grade bietet, aber ich kaufe gerne schöne Sachen zum Anziehen.

profil: Online oder im Geschäft? Rois: Beides, jetzt habe ich bald ein Gastspiel in Paris, da zuckt schon die Kreditkarte in der Tasche. Als Jugendliche war ich von der Eleganz der Frauen in den Filmen von Truffaut beeindruckt. Und habe mich darauf gefreut, endlich erwachsen zu werden, um mich auch so anziehen zu können. Als es dann so weit war, waren Jeans und T-Shirts angesagt. Aber man muss ja nicht alles mitmachen.

profil: Sind Sie denn auch elegant gekleidet, wenn Sie zum Bäcker gehen? Rois: Haben Sie eine Ahnung! Ich laufe oft rum wie ein Heckenpenner. Und hoffe nur darauf, dass mich niemand fotografiert.

Sebastian Kurz als Schauspieler? Das ist eine gute Idee. Damit wäre allen geholfen.

profil: Wie geht es Ihnen mit dem Älterwerden? Rois: Ich nehme einfach alle Konservierungsstoffe zu mir, die ich kriegen kann. Damit fahre ich eigentlich ganz gut.

profil: Verfolgen Sie die österreichische Politik in den Medien? Rois: Ja, mit wechselndem Vergnügen. Was sich in Deutschland an politischen Veränderungen abzeichnet, ist auch nicht gerade zum Halleluja-Schreien. Typisch österreichisch, versuche ich mir das alles vom Leib zu halten.

profil: Wie finden Sie Sebastian Kurz als Schauspieler? Rois: Ah, das ist eine gute Idee! Vielleicht findet sich ein Theater, das ihn engagiert. Dann käme er raus aus der Politik. Damit wäre allen geholfen.

profil: Sie meinten, man müsse Menschen nicht verstehen, sondern respektieren. Gerade in Bezug auf Fremdenhass ist das ein sehr aktueller Satz. Rois: Fremdenhass ist Selbsthass, davon bin ich überzeugt. Ich habe immer den Eindruck, dass in Berlin die paranoide Abgrenzung zu den Elenden, denen, die es eben nicht auf die Reihe kriegen, noch nicht so gut funktioniert. Hier knien Bettler auch nicht demütig vor einem auf der Straße. Man wird angerempelt mit: „Haste mal ein bisschen Geld für Alkohol und Drogen?“ Das ist ganz gut.

profil: Sie gastieren ab 30. November im Wiener Rabenhof mit „Have A Cup Of Tea mit Sophie Rois“. Was ist da zu erwarten? Rois: Eine Art Vaudeville-Abend, zwei Jungs mit Gitarre und ich. Wir singen Songs von Ray Davies, dem Kopf der britischen Band The Kinks, dem englischsten aller Musiker. Und ich lese aus „Erste Liebe – letzte Riten“ von Ian McEwan. Die Musik hat mir mein Freund damals auf Musikkassette aufgenommen, als ich 17 war. Sie tropfte in die Einsamkeit meines Jungmädchenherzens und hat mich nie mehr verlassen. Verschrobene Lieder mit Spinett und Chören. Und bei aller Sentimentalität und Melancholie, die Ray Davies hat, gibt es immer diese Distanz zum eigenen Schmerz. Das ist etwas zutiefst Britisches.

profil: Sind Sie denn oft in England? Rois: Nein! Mein Verhältnis zu England ist wie das von Karl May zum Wilden Westen. Ich kenne es so gut wie nicht. Die komprimierte, geronnene Form, wie sie Davies bietet, ist mir genug. Somerset Maugham, Ian McEwan, Eric Ambler, die Kinks, Nick Lowe und Dr. Feelgood, das ist, was ich von England kenne. Realer muss es gar nicht werden.

Zur Person:

Sophie Rois, 58 Nach ihrem Studium am Max Reinhardt Seminar zog die gebürtige Linzerin nach Berlin. Ab 1987 gehörte sie zum Ensemble der Volksbühne und wirkte in zahlreichen prägenden Inszenierungen von Frank Castorf, Christoph Schlingensief und René Pollesch mit – einige davon (etwa „Die Dämonen“, 2001) gastierten auch bei den Wiener Festwochen. Als Chris Dercon die Volksbühne übernahm, reichte Rois 2017 die Kündigung ein; mittlerweile gehört sie zum Ensemble des Deutschen Theaters in Berlin. Die Schauspielerin wirkt regelmäßig in Film- und Fernsehproduktionen mit, zuletzt etwa in David Schalkos Miniserie „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“. Am 30. November (20 Uhr) und 1. Dezember (11 Uhr) gastiert sie mit ihrem Lieder- und Leseabend „Have a Cup of Tea mit Sophie Rois“ im Wiener Rabenhoftheater.

Karin   Cerny

Karin Cerny