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Kunst

Fotograf Lois Hechenblaikner mischt fröhlich das TV-„Bergdoktor“-Dorf Ellmau auf

Der Tiroler Fotograf prangert seit 30 Jahren die Auswüchse des Tourismus an. Eine Begegnung auf 1520 Meter Seehöhe.

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Es dauert keine zwei Minuten, ehe Lois Hechenblaikner das Gehöft hinter dem Gehege mit Schalk und Charme in den Hechenblaikner-Kosmos einsortiert hat. Alle anderen mögen in dem von einem Holzzaun eingerahmten Häuschen ein Wahrzeichen von Ellmau sehen; Millionen Fernsehzuschauern ist der Bauernhof Hinterschnabel am Faistenbichl 15, Tiroler Bezirk Kufstein, als Ordination von Dr. Martin Gruber aus der Serie „Der Bergdoktor“ bekannt, eine tagtäglich von Hunderten Fans belagerte Pilgerstätte. Hechenblaikner sieht das ein wenig anders.

Er spricht eine Gruppe deutscher Touristen vor dem Bauernhof an: „Das ist der Vatikan Tirols. Tragisch, wie die Fernsehbilder so gar nicht der Realität gleichen, oder?“

Gäste aus Ungarn machen Handy-Selfies. „Das Haus ist ein visueller Dauerlutscher, getunkt in verklärtes Heimataroma“, sagt Hechenblaikner in Richtung der ungarischen „Bergdoktor“-Bewunderer, wo die Serie ebenfalls hohe Zuschauerzahlen erzielt. „Der Bergdoktor ist der einzige Arzt auf der Welt, der Ihnen niemals helfen wird. Außer vielleicht auf der Projektionsebene.“ Es ist nicht sicher auszumachen, ob die Besucher aus Ungarn verstehen, was Hechenblaikner sagen will.

Ihm jedenfalls, lässt der Fotograf gegen Ende der Stippvisite am Hinterschnabel-Hof wissen, verursache die TV-Praxis fieses Hautkribbeln. Da bleibe ihm, entgegnet der Gast aus Ungarn, wohl nicht viel anderes übrig, als die Bergdoktorpraxis aufzusuchen. „Weiter noch schönen Urlaub in Tirol“, verabschiedet sich Hechenblaikner.

Seit Jahrzehnten bezeugt Lois Hechenblaikner, Jahrgang 1958, auf seinen Fotos die Auswüchse des touristischen Treibens in Tirol, die Ereignisse und Erlebnisse auf und neben den Skipisten zeigen, als hätte man etwas zu lang in einem Bildband von Hieronymus Bosch geblättert. Sauftourismus, Après-Ski-Ekstase, Alltagssexismus, Vandalismus, Prügelorgien, Naturverschandlung. Es ist ein bizarres saisonales Schauspiel, das er mit seinen Leicas festhält.

Vom bayerischen Filmemacher Herbert Achternbusch stammt folgender Satz: „Diese Gegend hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe so lange, bis man ihr das ansieht.“ Lois Hechenblaikner, der in der Frühstückspension „Konrad“ seiner Eltern, Gemeinde Reith, Tiroler Alpbachtal, aufwuchs, dürfte wenig mit dem ersten, dafür sehr viel mit dem zweiten Abschnitt von Achternbuschs Ausführung anfangen können.

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.