Interview

Köhlmeier: „Wer die Hamas nach diesem Massaker als Befreiungsbewegung bezeichnet, hat nicht alle Tassen im Schrank“

Michael Köhlmeier gehört zu den bedeutendsten deutschsprachigen Erzählern. Ein Gespräch über Weltüberdruss und die antisemitische Linke, den Terror der Hamas und den dümmsten Satz der Menschheitsgeschichte.

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Die Abgrenzung war stets trennscharf. Ein politischer Schriftsteller? So hat sich der Vorarlberger Michael Köhlmeier nie verstanden. Wenn er sich zur Lage des Landes geäußert hat, dann als Bürger, in Form von Appellen, Reden und politischen Aufsätzen. Bei einer Gedenkfeier im Mai 2018 im Wiener Parlament anlässlich des Kriegsendes 1945 geißelte er etwa die damals mit der ÖVP in einer Koalition regierende rechtspopulistische FPÖ für ihre „Verharmlosung des Nationalsozialismus“ und antisemitischen Äußerungen. Als Schriftsteller zählt Köhlmeier, 74, zu den bekanntesten deutschsprachigen Gegenwartsautoren mit umfangreichem Werk, darunter Essay- und Märchensammlungen, Radiofeatures, Drehbücher, Musikalben und Romane. Zuletzt erschienen der Roman „Frankie“ und die Sammelbände „Das Schöne – 59 Begeisterungen“ (beide Hanser) sowie „Boulevard der Helden – 30 moderne Legenden“ (Benevento). Köhlmeier lebt und arbeitet in Hohenems und Wien.

Ein Gespräch an einem verregneten Novembervormittag mit Blick auf den Wiener Naschmarkt und zeitweiligem Regenbogen vor den Dachfenstern.

Herr Köhlmeier, die Zuschauer von TV-Spätnachrichten werden gern mit „Guten Abend!“ begrüßt, obwohl sie danach mit meist schlechten Nachrichten behelligt werden. Derzeit überschlagen sich die Katastrophenmeldungen sogar.
Michael Köhlmeier
Wenn ich die jetzige Situation gegen mein langes Leben aufrechne, kann ich mich an keine Häufung solch niederschmetternder Nachrichten erinnern. Gleichzeitig erinnere ich mich an den ehemaligen US-Präsidenten Roland Reagan, von dem man fürchten musste, dass er als realistische Möglichkeit einen Atomkrieg entfesselte. Damals dachte ich mir: Das ist die schlimmste Zeit meines Lebens.
Die waffenstarrende Aufrüstung führte obszönerweise zum lang anhaltenden Frieden.
Michael Köhlmeier
Man speichert diese Epoche als „gute alte Zeit“ ab. Inzwischen sind uns Kriege wieder nahe. Die bewaffneten Konflikte in Israel und in der Ukraine sind uns viel näher, als man geografisch meinen könnte. Insofern stellt sich das Gefühl ein, es handle sich um die schlechtesten Nachrichten seit je – weil uns diese Kriege tatsächlich betreffen und die Medien eine Plötzlichkeit schaffen.
Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.