Nachruf

Nachruf auf Milan Kundera: Die Schwerkraft des Sterbens

Sein Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ machte ihn weltberühmt. Am vorgestrigen Dienstag starb der Schriftsteller Milan Kundera mit 94 Jahren.

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Milan Kundera wirkte bei seinen spärlichen öffentlichen Auftritten wie eine von dem Schriftsteller Milan Kundera erfundene Figur: ein knurrig dreinblickender Intellektueller, dem die Last des Nachgrübelns und der Welt schwer auf den Schultern sitzt, der mit sympathischer Bockigkeit an seinen Ideen festhält. Kunderas Romane sind ebendies: Ideenbücher, ein Erzählen der Welt im Möglichkeitssinn, ein Ausloten ihrer Albernheiten und totalitären Ausschweifungen. Vieles davon erfuhr Kundera als Kind des Kalten Krieges selbst. Geboren 1929 in Brünn, lernte und unterrichtete er Klavierspiel und Komposition. Nach dem sowjetischen Einmarsch in die Tschechoslowakei im August 1968 verlor er seine Dozentur für Musik und Dramatik an der Prager Filmakademie, seine frühen Bücher wurden aus den Bibliotheken des Landes entfernt. 1975 emigrierte Kundera ins Pariser Schreib- und Lebensexil. Jahrzehntelang verweigerte er in seiner Wahlheimat jeden öffentlichen Auftritt, während sich die Mythen um den Autor fröhlich multiplizierten: der Prinzipienreiter, der jedes Prinzip verabscheute; der Sprachspieler, der Literatur und Musik miteinander versöhnte. 

 

Ein erstmals 1984 publizierter und später von Regisseur Philip Kaufman mit Juliette Binoche und Daniel Day-Lewis verfilmter Roman ragt bis heute aus Kunderas Werk („Das Buch der lächerlichen Liebe“, „Die Langsamkeit“), ein Titel, der zur globalen Redewendung wurde: „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“.  In all seine Romane – siehe „Das Buch vom Lachen und Vergessen“, das ihn 1979 die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft kostete, und „Die Unsterblichkeit“ (1988) – hat Kundera ausufernde Essaystrecken eingepasst, in denen er das Schreiben als einen Versuch der Seelenerforschung bis zur Selbstqual im Horizont historischer Vorgänge verstand: Es gibt wenige Autoren, die so leichthin Erzählreisen mit so viel Lesegewinn unternehmen – von Goethes Liebschaften berichtete er ebenso wie über Fliegenforscherkongresse bis hin zu einer zarten Geste am Rand eines Schwimmbeckens, die Leben verändert. 2015 erschien „Das Fest der Bedeutungslosigkeit“, Kunderas letzter Roman auf Deutsch. Seine Literatur bleibt ein Fest der Besonderheit. Am vorgestrigen Dienstag ist Milan Kundera 94-jährig in Paris gestorben.

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.