Strahltherapie: Mark Rothko im KHM

Strahltherapie: Mark Rothko im Kunsthistorischen Museum

Der New Yorker Maler Mark Rothko war ein Meister der rauschhaften Farben. Nun wird sein vielschichtiges Werk erstmals in Österreich präsentiert.

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Tintoretto und Tizian mussten weichen. Drei Säle und zwei Kabinette in der Gemäldegalerie im ersten Stock des Kunsthistorischen Museums (KHM) werden in den nächsten vier Monaten von Mark Rothkos Arbeiten okkupiert werden. In den Hallen des KHM ist die Invasion moderner Kunst bereits etablierte Praxis: Dem Maler Lucian Freud und dem Objektkünstler Joseph Cornell galten hier aufregende Shows, und den exzentrischen Zugriff des Kino-Duos Wes Anderson und Juman Malouf auf die Sammlungen des Hauses kann man noch ein paar Wochen lang begutachten.

Atemberaubende Schönheit - bittere Vorgeschichte

Nun treten Mark Rothkos Werke mit der historischen Sammlung des KHM in Verbindung. Für seine teils rauschhafte, teils hermetische Farbfeldmalerei, die er ab 1949 entwickelte und in immer neue Sphären vorantrieb, genießt Rothko Weltgeltung. Die erste große Ausstellung des New Yorker Künstlers in Österreich ist von atemberaubender Schönheit, doch die Vorgeschichte ist bitter: Die Erfahrung der Isolation, die Selbstwahrnehmung als Außenseiter prägten Rothko früh. Als Amerikaner konnte sich der aus dem heutigen Lettland stammende Sohn russischer Emigranten nie empfinden. In seine alte Heimat zog es ihn aber auch zeitlebens nicht zurück. Er schien in einer Zwischenwelt hängen geblieben zu sein, aus der es für ihn kein Entkommen gab. Am 25. Februar 1970 nahm sich Mark Rothko, manisch-depressiv und alkoholkrank, im Alter von 66 Jahren das Leben.

Als Sachwalter des Erbes ihres Vaters waren Kate und Christopher Rothko von Anfang an in die Konzeption der Ausstellung eingebunden, sowohl als Leihgeber aus der Familiensammlung wie auch als vertrauensbildende Komplizen: Museen wie die National Gallery in Washington, die den weltweit größten Bestand an Rothko-Gemälden besitzt (ein Drittel der im KHM nun präsentierten Werke stammen von dort), waren eher bereit, Gemälde zu verleihen, weil die Familie des Künstlers involviert war. Christopher Rothko, als Klinischer Psychologe ausgebildet, widmet sein Leben seit Jahren ausschließlich der Verwaltung des väterlichen Nachlasses. Er wird am 18. März zur Ausstellung sprechen - und dabei wohl auch die Universalität, den existenziellen Anspruch der Arbeit seines Vaters betonen. "Die Menschheit und nicht der Mensch" stehe im Mittelpunkt dieses Werks.

Exorbitante Versicherungssummen für Rothkos Werke

Die Ausstellung sei nicht leicht zu organisieren gewesen, sagt Jasper Sharp, Kurator der KHM-Ausstellung und Experte für moderne Kunst am Haus - schon wegen der exorbitanten Versicherungssummen. Seit den 1990er-Jahren ist der Markt für Rothkos Malerei kontinuierlich angeschwollen; Spitzenpreise von weit über 80 Millionen Dollar konnten zuletzt bei Auktionen erzielt werden. Viele Werke wurden an private Sammler verkauft, die aus Angst, die fragilen Oberflächen der Bilder könnten Schaden nehmen, Leihgaben kategorisch ausschließen. 46 Stücke (von über 800 Rothko-Gemälden) umfasst die Ausstellung nun, etliche Schlüsselwerke sind dabei, aber nur wenige der berühmtesten Arbeiten aus den 1950er-Jahren, die als die strahlendsten, farbenprächtigsten und freudvollsten gelten. Um Blockbuster-Material dieser Art sei es ihm jedoch nur am Rande gegangen, sagt Sharp. Das wäre zu einfach gewesen. Die überschaubare Größe der Ausstellung hält er für angemessen: "Wir wären gar nicht das richtige Museum, um 120 Rothko-Arbeiten zu zeigen. Das müssen Institutionen moderner Kunst leisten. Wir wollten einen repräsentativen Querschnitt dieses Schaffens zeigen, ohne Redundanzen. Praktisch jedes Bild, das wir ausstellen, verdeutlicht einen anderen Aspekt aus 45 Jahren Malerei."

Ein Gemälde ist kein Bild einer Erfahrung - es ist eine Erfahrung

Mark Rothko arbeitete wie besessen: "Er malte Tag und Nacht", berichtet Sharp. "Er gehörte zu jenen Malern, die in ihren Ateliers praktisch wohnten." Persönliches wollte Rothko mit seiner Arbeit niemals in Verbindung bringen. Ein Porträt hätte er sich verbeten. Schweigen sei die beste Erklärung eines Kunstwerks, meinte er einst. Er suchte in seiner Malerei mehr als das bloß Emotionale, er legte es auf ein gleichsam "religiöses" Erleben, auf eine Art metaphysisches Leuchten an. "Ein Gemälde ist kein Bild einer Erfahrung - es ist eine Erfahrung", befand Rothko. Er stellte Bilder her, die den Gefühlszustand der Person, die es gerade betrachtet, auf verblüffende Weise zu spiegeln scheint. Pathos und subtiler Zauber mischen sich in Mark Rothkos Bildern.

Kunstbetrieb stieß Rothko ab

Vermeer, Leonardo und Rembrandt beeinflussten ihn, vor allem aber Henri Matisses "Rotes Atelier" von 1911. "Das ist das wichtigste Bild seines Lebens", sagt Jasper Sharp. "Er hat dessen saturierte Farben im Museum of Modern Art unzählige Male gesehen, weil er um die Ecke wohnte. Das Bild erlaubte ihm, seinen Weg konsequent weiterzugehen. Er liebte es wohl mehr als jedes Rembrandt-Selbstporträt und jede Bonnard-Landschaft." Wie die großen Künstler der Renaissance hätte Rothko gerne gelebt, umgeben von Mäzenen, umworben von Königen. Stattdessen musste er sich über weite Strecken seines Lebens mit mäßigen Kritiken herumschlagen; man wertete seine Simplifikation der Form als Provokation. Der Kunstbetrieb stieß Rothko ab - im doppelten Sinn.

Umso deutlicher bezog er sich auf Mozart, Haydn und Schubert. "Er sah seine Gemälde als lyrische Verse", betont Sharp: "Er begann überhaupt erst zu arbeiten, weil er die Malerei auf das Niveau der Musik und der Poesie bringen wollte." Die historischen Vorbilder Rothkos sind gut erforscht ; sein Einfluss auf die Gegenwartskunst ist weniger leicht festzumachen. "Man kann durch diese Ausstellung gehen und vollkommen ausblenden, wie sehr Rothko auf die alten Meister verweist", meint Jasper Sharp. "Man kann auch einfach nur seine Bezüge aus der modernen Kunst sehen, die Einflüsse von Matisse, Bonnard, Max Ernst. Rothko selbst beeinflusste schon zu Lebzeiten jüngere Zeitgenossen massiv: den US-Maler Brice Marden etwa - auch Gerhard Richter hat sich explizit auf Rothko bezogen." Und das Frühwerk des Amerikaners, die Arbeiten vor seiner surrealistischen Phase, erscheine heute extrem zeitgemäß. "Rothko gab seinen Zeitgenossen gleichsam die Erlaubnis, die Kunstgeschichte mit einzubeziehen, mit der Tradition nicht brechen zu müssen."

De facto war er kein Expressionist, und er hielt sich nicht für 'abstrakt'

Rothkos Schaffen war stark europäisch geprägt; in vier großen Europareisen spürte er zwischen 1950 und 1966 alten Kulturen nach, die er in seine "amerikanische" Kunst einbrachte. Er begriff seine Kreativität als Teil einer künstlerischen Evolution, sah sich nicht als Avantgardisten, sondern als Forscher ewiger Wahrheiten. Und Rothko war kein Gruppenmensch, obwohl er 1935 das Künstlerkollektiv The Ten gegründet hatte. Er profitierte von dem Label des Abstrakten Expressionismus, dem er - neben Künstlern wie Jackson Pollock, Willem De Kooning, Barnett Newman und Arshile Gorky - zugerechnet wurde. "Aber de facto war er kein Expressionist, und er hielt sich nicht für ,abstrakt'", meint Sharp. Deshalb sei der frühere Begriff der New York School für ihn wohl besser gewählt.

"Farben und Schönheit als trojanisches Pferd"

Die Arbeit Mark Rothkos ist zu einem Archetypen moderner Kunst geworden; dies verstellt den Blick darauf. Rothko-Reproduktionen werden in Möbelhäusern verkauft, und sie passen bestens über jedes Sofa. Dabei habe Mark Rothko "Farben und Schönheit als trojanisches Pferd" benutzt, so Sharp. Man könne diese Farben beispielsweise in Katalogen nicht reproduzieren. "Sie widersetzen sich ihrer Benutzung." Und Rothko habe das Schwärmen über seinen Farbeinsatz gehasst. "Farbe war für ihn nur ein Vehikel, um Emotionen zu transportieren. In den Farben seiner vermeintlichen happy paintings, in Rot, Gelb und Rosa, sah er die Farben des Infernos. Er dachte an die Apokalypse, während wir nur Anmut sehen. Aus Wut darüber, dass die Leute dies in seinen Werken nicht wahrnahmen, begann er damit, dunkle Farben zu verwenden, bis hin zu reinen Schwarztönen." Hier aber liegt ein zentrales Problem der Rothko-Rezeption. Denn dieses Narrativ seines Lebens war zu praktisch, um wahr zu sein: Rothko habe immer dunklere Bilder gemalt -und sich dann umgebracht. "Dabei lebte er ein wirklich optimistisches letztes Jahr, benutzte friedvolle Farben wie Terracotta, Zartlila und Babyblau", sagt Jasper Sharp. "Er schien sich gerade aus seinen Abgründen und Seelenqualen zu befreien; auch deshalb kam sein Suizid wie ein Schock. Und trotzdem endet fast jede Rothko-Show mit den schwarzen Bildern. Wir wollten diese hollywoodisierte Darstellung seiner Karriere nicht reproduzieren."

Im Katalog zur Ausstellung wird auf Mark Rothkos fragile psychische Disposition mit keinem Wort verwiesen. Hier lässt man die Werke selbst sprechen, in Einklang mit dem Wunsch des Künstlers. Dennoch gehört die Depression ins Bild, wenn man Rothkos Arbeit begreifen will. Der US-Komponist Morton Feldman fertigte kurz nach der Eröffnung der Rothko Chapel 1971 im texanischen Houston, für die der Maler in den letzten Jahren seines Lebens 14 großformatige Gemälde in dunklem Rot, Blau und Braun hergestellt hatte, ein nach der Rothko-Kapelle benanntes Musikstück für Chor, Viola und Perkussion an. Es ist eine Musik der Stille, der Transzendenz: Klangkunst zu einer Vision der malerischen Verdunkelung, eine letzte Feier jener Form- und Farbfestungen, die Mark Rothko errichtete.

Mark Rothko. KHM, 12.3. bis 30.6. Di–So, 10–18 Uhr Do, 10–21 Uhr Im Juni täglich geöffnet

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.