Interview

Trans-Schauspielerin Thea Ehre: "Ich bereue nichts!"

Die oberösterreichische Schauspielerin Thea Ehre, 23, wurde für ihre Rolle in dem Thriller „Bis ans Ende der Nacht“ bei der Berlinale ausgezeichnet. Über queeres Kino, Hass-Postings, Aktivismus und ihre Transition.

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Die Finsternis, die den Neo-Noir „Bis ans Ende der Nacht“ zu verschlingen droht, liegt auch metaphorisch über den Bildern. Der Film, inszeniert von Christoph Hochhäusler, erzählt eine toxische Geschichte (Kinostart: 7. Juli): Ein cholerischer Polizist (Timocin Ziegler) muss mit seiner Ex (Thea Ehre) kooperieren, die als Lockvogel aus dem Gefängnis geholt wird, um einen Drogenboss zur Strecke zu bringen. Leni wurde vor Kurzem noch als männlich gelesen, der schwule Cop hatte eine Affäre mit ihr. Nun, nach Lenis Transition, sind die beiden aufeinander angewiesen. Der dicht gestrickte, mit deutscher Sixties-Schlagermusik beschallte Genre-Plot korrespondiert mit der komplexen Ästhetik: Kamera-Virtuose Reinhold Vorschneider arbeitet gekonnt mit Spiegelungen, extravaganten Perspektiven und Parallelfahrten. Eine Steilvorlage.

 
 
 „Bis ans Ende der Nacht“, Ihr Kino-Debüt, ist ein ungewöhnliches Unterfangen: ein queeres Noir-Melodram, ein finsterer, dicht gewobener Krimi mit Fassbinder-Anklängen. Wie kam es zu Ihrer Arbeit mit dem Berliner Regisseur Christoph Hochhäusler?
Ehre
Er kontaktierte mich 2021, mitten in der Pandemie, lud mich zu einem E-Casting ein. Ich hab mich mit ihm auf Anhieb bestens verstanden, wir sprachen sehr bald auch über das Drehbuch. Ich wusste zu jenem Zeitpunkt schon, wer Christoph Hochhäusler war, hatte aber keine Ahnung, was für einen Film er plante. 
Sie kannten Hochhäusler schon? Waren Sie früh so cinephil?
Ehre
Mich hat Luca Guadagninos „Call Me By Your Name“ initiiert; das war der erste Arthouse-Film, den ich in einem großen Kino, im Welser Star Movie, gesehen habe. Danach stieg ich in die Materie ein, holte mir ein Abo des Kunstkino-Streamingdiensts Mubi, sah zahllose Klassiker. Und ich studierte auch Theater- und Filmwissenschaften, insofern war mir Hochhäuslers Name schon ein Begriff.
Sie sind in Wels aufgewachsen. Wie kam es zu dem Wunsch, Schauspielerin zu werden?
Ehre
Als Drei- oder Vierjährige schon wollte ich unbedingt ein Kasperltheater haben, um bei Familienfeiern kleine Komödien vorzuführen. Am Gymnasium in Wels tanzte und spielte ich erstmals auf der Bühne, war beim Jugendtheater, und nach der Matura wollte ich es an den Schauspielschulen versuchen. Am Max-ReinhardtSeminar kam ich sogar in die zweite Runde, war dann aber so aufgeregt, dass es am Ende nichts wurde. Ich konnte den Traum vom Schauspielen nie loslassen, meldete mich bei einer Komparsen- und einer Model-Agentur an. So hatte ich schließlich 2019 den ersten Drehtag meines Lebens in der ORF-Serie „Vorstadtweiber“.
Da waren Sie noch keine 20.
Ehre
Ja. Ich war Kleindarstellerin, unter der Regie von Mirjam Unger. Ich fand es großartig, ihr beim Drehen zuzuschauen, all die Hauptdarstellerinnen kennenzulernen. So blieb ich bei der Komparserie und begann, mich in der Branche zu vernetzen. Nebenbei kellnerte ich in einem Wiener Gasthaus, wo ich zufällig die Schauspielerin Gertrud Roll kennenlernte. Mit ihr unterhielt ich mich eingehend über diesen Beruf, über Rollenpolitik und wie es ist, als Transfrau zu versuchen, da Fuß zu fassen. Sie war extrem offen, neugierig und interessiert, bat mich schließlich um meine Telefonnummer – und eine Woche später rief mich die Schauspielagentin Marketa Modra an, mit der ich seither arbeite.
Die Frage, ob man im Kino nur Menschen spielen sollte, denen man sich identitär verbunden fühlen kann, haben Sie in Interviews mit einem deutlichen Nein beantwortet. Würden Sie sich wünschen, von jetzt an auch andere Rollen als Transfrauen angeboten zu kriegen?
Ehre
Ich finde es gut, dass wir in Zeiten erhöhter Offenheit leben und sich nun auch die Rollenpolitik ändert. Dass Menschen, die bislang keine Bühne hatten, jetzt ins Boot geholt werden. Man gibt diesen Menschen endlich auch die Chance, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Klar, ich wünsche mir sehr, dass ich schauspielerisch auch andere Seiten zeigen könnte. Aber das ist auch ein Missverständnis in den Köpfen vieler Menschen: Sollte ich künftig viele Trans-Rollen spielen, wäre ja jede Figur anders. Ich versuche, den Stereotypen eben auszuweichen. Meine Trans-Identität muss und sollte nicht immer das dominante Thema sein.
Für jedes Geschlecht sollte es theoretisch unendlich viele unterschiedliche Rollen geben.
Ehre
Man muss dieser Idee wohl noch etwas Zeit geben. Sie muss erst gesellschaftlich einsickern.
Die Utopie wäre, dass die GenderIdentität gar keine Rolle mehr spielt. Sie würden dann einfach Frauen spielen, egal ob cis oder trans.
Ehre
Jeder Mensch interpretiert die Welt ohnehin mit der je eigenen Repräsentationslandkarte. Viele haben sich mit dem Thema Transgender noch nie auseinandergesetzt, weil sie niemanden in ihrem Umfeld haben, der damit zu tun hätte. Deshalb ist es so wichtig, darauf zu achten, welche Art der Repräsentation in den Medien gewählt wird. „Bis ans Ende der Nacht“ ist kein Film über eine Transfrau, sondern ein Werk mit einer Trans-Erzählung. Ich hoffe, dass man Empathie empfindet mit der Figur, die ich spiele.
Die Frau, die Sie darstellen, gerät in eine prekäre, toxische Situation, nachdem sie eine Zeit lang inhaftiert war. Sie haben im Rahmen Ihrer Recherchen auch mit Transfrauen im Gefängnis gesprochen?
Ehre
Ich habe viel gelesen, stieß dabei auf einen Artikel, der sich um eine Transfrau und Künstlerin drehte, die in Großbritannien im Gefängnis saß. Ich schrieb ihr auf Instagram, bat sie um ein Telefonat, um ihre Erfahrungen im Männergefängnis kennen und verstehen zu lernen. Es war hart, was sie mir schilderte.
Sie werden in den Medien gerne und immer wieder als „Trans-Aktivistin“ bezeichnet? Ist das nur eine Zuschreibung, oder sehen Sie sich selbst als solche? Geht es Ihnen auch darum, Bewusstsein zu schaffen?
Ehre
Auf jeden Fall. Im ersten Moment war ich aber etwas überfordert mit der Zuschreibung, denn ich könnte mich nie vergleichen mit Leuten wie der Trans-Aktivistin Steffi Stankovic, mit Menschen, die tagtäglich aufklärerisch tätig sind, in Talkshows auftreten, Demos organisieren. Tatsächlich ist die Frage aber, wo Aktivismus genau beginnt. Es ist natürlich ein Anfang, als queer gelesene Person auf die Straße zu gehen und seine Stimme in den sozialen Medien zu nutzen. Aber in erster Linie bin ich Schauspielerin. Wenn ich darüber hinaus noch Vorbildwirkung habe, freut und ehrt mich das.
Es gibt immer mehr Transpersonen, auch im Feld der Kunst, die selbstbewusst öffentlich auftreten und damit zu einer Normalisierung beitragen. Die finnische Opernsängerin Sam Taskinen etwa sagte in einem profil-Interview unlängst: „Sie ahnen nicht, wie viel Hass Menschen wie ich praktisch täglich abkriegen.“ Wie gehen Sie mit Transfeindlichkeit, mit Übergriffen im Alltag um?
Ehre
Ich lese beispielsweise keine Postings mehr, keine Kommentare zu Zeitungsberichten über mich. Ich habe einmal den Fehler gemacht, in eines dieser Foren zu schauen, weil ich neugierig war, wie die Leute reagieren. Aber da wird man persönlich attackiert von Leuten, die keine Ahnung von mir haben. Das hat für mich keinen Diskurswert. Davon distanziere ich mich grundsätzlich. Darüber hinaus habe ich das Glück, einen tollen Freundes- und Familienkreis habe, der mir jeden Rückhalt, den ich brauche, bieten kann. Menschen, die mich nicht akzeptieren, gehe ich aus dem Weg. Ich lasse mir das Leben nicht schwerer machen, als es schon ist. Ich versuche, den Hass abprallen zu lassen. Das tut trotzdem weh, wenn man gerade nicht die dickste Haut der Welt hat.
Die scheinbar grundlose Antipathie vieler Menschen gegen Transpersonen geht ja auf die Angst zurück, eine sich ändernde Welt nicht mehr verstehen zu können. Viele befürchten, ihre letzten Sicherheiten zu verlieren.
Ehre
Ja, offenbar haben manche Menschen Angst vor der queeren Community, weil sie denken, dass wir jetzt mit dem Kopf durch die Wand laufen und alle anderen überrollen. Ich rede gerne mit Menschen, die zumindest die Bereitschaft zeigen, zuzuhören und vielleicht auch etwas zu lernen. Ich kann an meinem Leben, an meiner Identität ja nichts ändern.
Wann fand Ihre Transition statt?
Ehre
Jede Transition ist ein ständiger Prozess. Er beginnt nicht mit der Einnahme von Hormonen, viele Transpersonen nehmen überhaupt keine. Wenn man als Transfrau keine Therapie und keine Operation macht, ist man deshalb nicht weniger Frau. Ich kam als Mädchen auf die Welt – vielleicht nicht körperlich, weil ich als Bub gelesen wurde. Im Inneren aber war ich immer Thea, insofern hat die Transition in diesem Fall mit meiner Geburt begonnen. Meine Familie wusste das stets, aber öffentlich habe ich es erst mit 18 gemacht, als ich nach Wien kam. Damals brach ich durch diese Glasscheibe, hinter der ich mich aus gutem Grund versteckt hatte. Ich bereue nichts davon.
Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.