Penélope Cruz (li., neben ihr Antonio Banderas) in einer Szene aus der entwaffnenden spanisch-argentinischen Filmemacher-Comedy "Competencia oficial".
Venedig-Tagebuch II

Die Rückkehr der Heiterkeit

Bei den laufenden Filmfestspielen hat man von der Kunstanstrengung auf Entertainment zurückgeschaltet. Mit gemischten Ergebnissen.

Drucken

Schriftgröße

Von Stefan Grissemann, Venedig

Natürlich kann auch das älteste Filmfestival der Welt, das sich schon aus Traditionsgründen auf künstlerisch hochklassiges Weltkino konzentrieren muss, seine Kundschaft nicht zehn Tage lang auf strengste Cinephilen-Diät setzen und bloß formal überkontrollierte Folter- und Kriegstraumafilme (wie „Reflection“ des Ukrainers Valentyn Vasyanovych), verquere Höhlenforscherstudien (wie Michelangelo Frammartinos ätherische Doku-Fiction „Il buco“) oder bolivianische Experimentaldramen (wie Kiro Russos Proletarierfabel „El gran movimiento“) präsentieren. Bitte nicht missverstehen: Die beiden letztgenannten Arbeiten sind tatsächlich Musterbeispiele von Schönheit und Eigensinn, auch wenn es manchen wohl absurd erscheinen mag, dass man ausgerechnet einen Expeditionsfilm, der fast 700 Meter tief in eine kalabrische Gebirgsspalte steigt, sowie ein Avantgarde-Musical aus den Slums von La Paz zu den herausragenden Werken des diesjährigen Jahrgangs zählen will; aber es ist so. Man muss diese budgetär minimal ausgestatteten Filme gesehen haben, um zu begreifen, was ihre Größe und Sinnlichkeit ausmacht.

Zwischendurch allerdings, das steht im kleinen Einmaleins der sinnvollen Filmfestivalprogrammierung, braucht es zur Abwechslung ästhetisch Frivoleres, schlagfertigere, kommerzieller gedachte Formate, die jedoch idealerweise, bei aller Niederschwelligkeit, stets etwas Ungewöhnliches, Autonomes, Originelles besitzen sollten, das sie im Kontext einer Filmkunstausstellung wie der venezianischen Mostra satisfaktionsfähig erscheinen lässt. Die Quadratur des Kreises geht naturgemäß nicht immer auf, wie auch in Venedig 2021 deutlich wird. Halbedles Genre-Material wie Denis Villeneuves SciFi-Epos „Dune“ oder etwa der um den großen Schauspieler Tim Blake Nelson kreisende Western „Old Henry“ haben einiges an Spannung und Bildkraft aufzubieten, erweisen sich aber am Ende doch oft als zu linien- und konventionentreu. Die iranisch-amerikanische Regisseurin Ana Lily Amirpour („A Girl Walks Home Alone at Night“; „The Bad Batch“) hat mit ihrem neongrellen Pop-Schaustück „Mona Lisa and the Blood Moon“ eine – wenigstens ansatzweise – heitere Alternative zum Teenagerkino Hollywoods, zu all den Marvel- und DC-Superhero-Movies gedreht: Fein besetzt mit der jungen Koreanerin Jeon Jong-seo, die neben Kate Hudson mit übersinnlichen Fähigkeiten glänzt, krankt Amirpours Inszenierung dennoch sichtlich an einer gewissen Ideenarmut, über die all die mobilisierte Lautstärke und Buntheit nicht hinwegtäuschen kann.

Selten eben greifen spielerische Form und hohe Entertainment-Qualitäten sinnvoll ineinander. Eine Außenseiterposition im Wettbewerb besetzte die argentinisch-spanische Komödie „Competencia oficial“ (Regie & Buch: Mariano Cohn, Gastón Duprat), in der das Zusammenspiel von Kunstanspruch und Massenwirkung selbst sarkastisch ausgelotet wird. Für die Literaturverfilmung, die eine leicht überambitionierte Regisseurin (Penélope Cruz) darin vorbereitet, werden zwei Darsteller verpflichtet: ein überheblicher Elite-Mime (Oscar Martínez) und ein weltberühmter Filmstar (Antonio Banderas). Die eskalierenden Proben werden zu einer Demonstration wechselnder Machtausübung und Weltbildabgleichungen, die Eitelkeit und Egozentrik dieses Trios zum Stoff einer erstaunlich inspirierten Comedy über die grenzwertige Profession des Filmemachens.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.