Wiener Kulturpolitik: Die überraschende Wahl von Veronica Kaup-Hasler

Die Theaterexpertin Veronica Kaup-Hasler ist als neue Wiener Kulturstadträtin eine ausgezeichnete Wahl. Wie eng verbandelt ist sie aber mit der Kulturszene, über die sie nun finanziell und personell entscheiden muss?

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Bei der vorjährigen Ausgabe des Grazer Crossover-Festivals steirischer herbst organisierte die scheidende Intendantin Veronica Kaup-Hasler ein letztes aberwitziges Projekt: Die US-Off-Gruppe Nature Theater of Oklahoma drehte einen Stummfilm entlang von Elfriede Jelineks Mammutroman „Die Kinder der Toten“ an steirischen Originalschauplätzen. In den Drehpausen traf man sich am improvisierten Buffet, an dem sich auch Kaup-Hasler für einen Teller Schweinsbraten geduldig in die Schlange stellte. Keine Extrawurst für die Chefin.

Kaup-Hasler, 1968 in Dresden geboren, aufgewachsen in Wien, präsentiert sich gern als Kulturarbeiterin zum Anfassen. Beim Dreh in der Steiermark mischte sie sich unter die Menge und redete mit Kollegen wie mit Schaulustigen. Kaup-Hasler kennt keine Berührungsängste; mit ihrer unbändigen Energie und ihrem unverblümten Schmäh dürfte sie den einen oder anderen Zeitgenossen überfordern. Sie ist keine Frau von Kompromissen; wenn es sein muss, boxt sie künstlerisch überzeugende Projekte durch.

Ihre Ernennung ist auf mehreren Ebenen ein Coup

Weiblich, streitbar, mitunter unbequem und laut: Kaup-Hasler, am Montag dieser Woche vom designierten Bürgermeister Michael Ludwig als künftige Wiener Kulturstadträtin vorgestellt, steht für einen erfrischend neuen Typus Kulturpolitikerin. Langzeitvorgänger Andreas Mailath-Pokorny pflegte ein diplomatisches Amtsverständnis, holte eher biegsame Männer in sein Team, wollte es sich mit Klientel und Medien nicht verscherzen. Nun dürfte im Wiener Rathaus das kulturpolitische Kontrastprogramm folgen: Kaup-Hasler nimmt sich kein Blatt vor den Mund, sie agiert offen und transparent, kann auch zuhören. Als Intendantin des steirisches herbstes, den sie zwölf Jahre lang prägte, stand sie für die Vernetzung der Sparten und für ein Programm, das sich nicht auf abgeschirmte, geschützte Bühnenräume beschränkte, sondern im öffentlichen Raum auf die Besucher direkt zuging, sie aktiv einbezog.

Ihre Ernennung ist auf mehreren Ebenen ein Coup. Vizebürgermeister Dominik Nepp (FPÖ) erblickte in ihr sofort „eine große Unbekannte“ – Kaup-Hasler ist nicht SPÖ-Mitglied, sie verhielt sich parteipolitisch unabhängig. In der Kunst- und Kulturszene der Stadt hatten die wenigsten mit Kaup-Haslers Wahl gerechnet, die als Kulturstadträtin ein überaus einflussreiches Ressort verwalten wird: Viel mehr Macht als das für die Kunst zuständige Amt in Wien hat auch der Kulturminister nicht.

Erneut eine Frau an der Spitze

Zuletzt hatte sich der Eindruck aufgedrängt, die renommierte Theater- und Performance-Kuratorin werde von der Stadt-SPÖ nicht sonderlich geschätzt. In der Vergangenheit war Kaup-Hasler für weitreichende Kulturjobs in Wien im Gespräch – nicht nur ein Mal scheiterte die Bewerbung im letzten Augenblick. Für die Nachfolge von Markus Hinterhäuser bei den Wiener Festwochen ab 2017 etwa galt sie als Favoritin; Kaup-Hasler war langjährige Dramaturgin des Festivals, unter anderem verantwortete sie anno 2000 Christoph Schlingensiefs legendäre Container-Aktion „Ausländer raus!“. Beim Rennen um die Neubesetzung kam sie in die entscheidende letzte Runde, ehe Kaup-Hasler von Quereinsteiger Tomas Zierhofer-Kin, der deutlich weniger Know-how mitbrachte, überraschend ausgestochen wurde. Mit dem Chefsessel des Wiener Tanzquartiers klappte es für Kaup-Hasler ebenfalls nicht; für Volkstheater und Burgtheater wurde sie als mögliche Kandidatin gehandelt. Ihre Berufung in die Politik entspricht in gewisser Weise einer späten Wiedergutmachung.

Nach 22 Jahren (Ursula Pasterks Amtszeit währte von 1987 bis 1996) rückt mit Kaup-Hasler also erneut eine Frau an die Spitze der Wiener Kulturpolitik. Insider vermuten, dass sie der SPÖ auch unter den neuen Begebenheiten nicht beitreten wird. „Grundsätzlich finde ich, dass Kunstschaffende Distanz zu Parteien halten sollten. Zumindest, wenn sie sich selbst als Teil einer differenziert denkenden, kritischen Öffentlichkeit verstehen“, erklärte sie in einem profil-Interview 2013. Über ihren widerständigen Kulturbegriff sagte sie damals: „Gute Kulturpolitik muss die Vielfalt im Auge haben und sich dafür starkmachen, dass Kunst, die in kein Raster passt, die nicht einer Verwertbarkeit unterliegt – sei sie ökonomisch oder eben sozial – auch in den Blick genommen und gefördert wird. Kunst, die per se widerständig ist, hat ohnehin immer weniger Chancen.“

Größte Stärke als Handicap?

Es ist der erfahrenen Kulturmanagerin zuzutrauen, dass sie den Mut und die Energie aufbringt, innovative Entscheidungen zu treffen und jene kulturpolitischen Problemfälle in die Hand nimmt, die ihr Vorgänger schleifen ließ – etwa die von Mailath-Pokorny mit viel Pomp gestartete Theaterreform, die bald in visionslosem Pragmatismus versandete. Kaup-Hasler ist national und international bestens vernetzt.

Doch ihre größte Stärke könnte bald auch zu einem Handicap werden: Kaup-Hasler ist mit der heimischen Szene eng verbandelt, sie war lange Zeit selbst maßgeblicher Teil der Wiener Kunst und Kultur – als Mentorin, Arbeitgeberin, Konkurrentin. Wie wird Kaup-Hasler also mit langjährigen Begleitern verfahren, sollten sich diese nun womöglich Jobs und Subventionen erwarten? Um nur ein Beispiel zu nennen: Das verwaschen programmierte Wiener Koproduktionshaus brut wird von Kira Kirsch geleitet, Kaup-Haslers ehemaliger Dramaturgin beim steirischen herbst. Wie wird Wiens neue starke Kulturpolitikerin die anstehenden Vertragsverlängerungen beurteilen? Wie ist es um Freundschaften und vergangene Arbeitsbekanntschaften bestellt? Anders als ihr Vorgänger wird Kaup-Hasler jede weiter reichende Personalentscheidung argumentativ begründen müssen.

Mit Floskeln ist bei der Neo-Kulturstadträtin aber ohnehin nicht zu rechnen. Es wird interessant sein, zu beobachten, wie sie sich auf dem glatten politischen Parkett bewegt. Die Wiener Festwochen könnten zu Kaup-Haslers erstem Problemfall werden: Intendant Zierhofer-Kin gilt als die am stärksten umstrittene Personalwahl Mailath-Pokornys; sollte das Festwochen-Programm wie im Vorjahr floppen, wird sich Kaup-Hasler überlegen müssen, ob vorzeitig eine neue Intendanz für Wiens größtes Festival ernannt werden soll. Sie selbst steht jedenfalls nicht mehr zur Verfügung.

Karin   Cerny

Karin Cerny