Amos Gitai, Regisseur des Films "Rabin, The Last Day".

"Rabin, The Last Day": Rekonstruktion eines politischen Mordes

Der israelische Regisseur Amos Gitai, 65, rechnet in seinem Dokudrama „Rabin, The Last Day“ mit dem Rechtsextremismus in seinem Land ab.

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profil: Sie rekonstruieren in Ihrem jüngsten Film die Hintergründe des Attentats auf den israelischen Premierminister Jitzchak Rabin am 4. November 1995: Stießen Sie beim Drehen dieses politisch sehr unbequemen Films auf Widerstand? Gitai: Nicht wirklich. Ich ging, begleitet von meiner Anwältin, die auch Knesset-Vizepräsidentin war, einfach direkt zu Meir Schamgar, dem damaligen Leiter der Untersuchungskommission, die Licht ins Dunkel der desaströsen Ereignisse bringen sollte. Ich besuchte ihn in seinem Haus, er ist ja inzwischen über 90. Schamgar ist ein nobler alter Herr, der bis 1995 auch als Präsident des Obersten Gerichts in Israel gearbeitet hatte. Ich sprach ihn sehr direkt an, teilte ihm mit, dass ich fand, er habe als Chef der Kommission einen schlechten Job gemacht.

profil: Wie hat er darauf reagiert? Gitai: Er sah mich an und fragte konsterniert, wieso ich das denn sagte. Ich meinte, er und sein Team hätten eben nur das technische und menschliche Versagen, nicht die Verhetzung, die zu dem Mord geführt hatte, untersucht. Wir hatten darüber ein gutes Gespräch, anschließend bat er das Staatsarchiv darum, mir erstmals Zugang zu den Kommissionsprotokollen zu gewähren.

profil: Und jedes Wort, das in Ihrem Film gesprochen wird ..., Gitai: ... entspricht den Tatsachen, ja. Alles ist dokumentiert.

Netanjahu ist ziemlich talentiert darin, sich in den Medien möglichst vorteilhaft zu präsentieren.

profil: Aber Sie stellen doch auch geheime Treffen nach, in denen etwa Rabins psychische Gesundheit bezweifelt wird. Dies alles fand sich in den Protokollen? Gitai: Nein, nicht alles. Was Sie da ansprechen, stammt etwa aus einem Radioarchiv. Ich habe kein Wort erfunden. Das Thema ist viel zu sensitiv, um daran mit den Mitteln der Fiktion zu arbeiten.

profil: Wo waren Sie denn, als Rabin am 4. November 1995 erschossen wurde? Gitai: Ich hatte lange in Paris gelebt, aber an Rabins Todestag war ich in Israel, weil ein paar Monate davor meine Mutter von einem Auto angefahren worden war. An jenem Abend hielt ich mich in Haifa auf, wo sie lebte. Gegen 22 Uhr brachen die Nachrichten herein.

profil: Sie stellen in Ihrem Film eine direkte Verbindung zur Gegenwart her, indem sie etwa die Rolle beleuchten, die Netanjahu damals spielte, um gegen Rabin zu mobilisieren. Wusste er von Ihrem Projekt? Gitai: Nein, ich setzte ihn davon nicht in Kenntnis. Ich genieße ohnehin bei Netanjahu und seinen Leuten nicht den besten Ruf; obwohl es ein Geheimnis ist, wissen sie offenbar, dass ich nicht den Likud gewählt habe.

profil: Hat Netanjahu in den 20 Jahren seit Rabins Ermordung seinen Beitrag zu jener Hasskampagne zu erklären versucht, die zu dem Attentat geführt hat? Gitai: Er stellt sich bis heute als Opfer dar; er sei das eigentliche Ziel einer Intrige geworden. Netanjahu ist ziemlich talentiert darin, sich in den Medien möglichst vorteilhaft zu präsentieren.

Die besten Filme, die ich kenne, beginnen erst nach dem Ende ihrer Projektion.

profil: Ihr Film erscheint durchaus spröde. Einen einfachen Politthriller hatten Sie nicht im Sinn? Gitai: Das ist keine Frage der Einfachheit. Ich will mein Publikum herausfordern, inspirieren, nicht bloß bedienen. Der größte Teil jener Filme, die ich sehe, ist mir zu konventionell. Und meine ursprüngliche Profession ist ja die Architektur. Ich ließ sie vor etwa 30 Jahren hinter mir, als ich herausfand, dass es darin eigentlich nur noch um Geld und Angeberei ging. Da war kaum Substanz mehr. Inzwischen ist die Architektur wieder interessant geworden, während das Kino sich in die Gegenrichtung bewegt. Es ist primitiv geworden.

profil: Sie sehen Ihren Film als Maßnahme gegen die Primitivität Ihres Mediums? Gitai: Ja. Die besten Filme, die ich kenne, beginnen erst nach dem Ende ihrer Projektion; wenn man mit ihren Ideen im Kopf davon spaziert und herauszufinden versucht, was man gerade gesehen hat.

profil: Man muss in „Rabin“ erst einmal durch einen Wust an Information, durch Rekonstruktionen langer Sitzungen. Gitai: Weil es einen Unterschied gibt zwischen Konsum und Reflexion.

profil: Wie haben Sie die Vermischung von inszeniertem und dokumentarischem Material hingekriegt? Gitai: Ich musste lange über die Strukturen nachdenken. Ich hatte Leute, die das Textmaterial recherchierten, andere suchten und fanden die relevanten Bilder. Zudem waren die Direktoren des israelischen und des französischen Fernsehens sehr kooperativ.

Ein paar Menschen, die der gegenwärtigen israelischen Regierung nahestehen, werden angesichts meines Films nicht vor Glück auf den Dächern tanzen.

profil: Ein langes Interview mit dem ehemaligen Staatspräsidenten Schimon Perez steht am Beginn Ihres Films. Gitai: Er hatte mir ein fast zweistündiges Gespräch gewährt, und er war ausgesprochen deutlich – das fand ich sehr respektabel.

profil: Geht es Ihnen auch darum, mit „Rabin“ zu provozieren? Gitai: Nein, ich habe den Film gedreht, um die Erinnerung an jene Ereignisse zurückzubringen. Aber manche Leute fühlen sich eben auch davon provoziert.

profil: Sie kamen, nach Jahren in Frankreich, auch wegen Rabins liberaler Politik zurück nach Israel? Gitai: Ja. Und ich bin geblieben, auch nach dem Ende der Hoffnung auf Einleitung des Friedensprozesses. Viele meiner wichtigsten Filme entstanden in Israel, „Kippur“ (2000) etwa oder auch „Kadosh“ (1999) – kritische, hochpolitische Arbeiten.

profil: Ein Kritiker nannte Ihren Rabin-Film „polemisch“. Stimmen Sie zu? Gitai: Ich finde, Kritiker sollten arbeiten können – und also schreiben, was sie wollen. Ich halte „Rabin“ für sachlich und tatsachenbezogen. Aber klar: Ein paar Menschen, die der gegenwärtigen israelischen Regierung nahestehen, werden angesichts meines Films nicht vor Glück auf den Dächern tanzen. Denen würde ich empfehlen, im Gegensatz zu ihrem Premierminister von rassistischen Statements Abstand zu nehmen und dafür zu sorgen, dass die Konflikte in diesem Land sich nicht weiter verschärfen.

Israel muss ein rationales Projekt bleiben.

profil: Sie hegen nach wie vor eine Art Optimismus, was die Lage im Nahen Osten angeht? Gitai: Wir sind an einem Tiefpunkt angelangt. Es kann eigentlich nur noch aufwärts gehen.

profil: Der Titel Ihres Films legt nahe, es würde vor allem um Rabin gehen. Dabei betreiben Sie alles andere als Persönlichkeitskult. Gitai: Politiker zu fetischisieren liegt mir nicht. Obwohl ich Rabin respektiere, denn er besaß Integrität. Aber ich bin kein Bewunderer. Er betrieb auch Dinge, die ich nicht toll fand. Aber Rabin war ein israelischer Patriot. Er liebte dieses Land. Schon deshalb war die Kampagne, ihn als „Verräter“ darzustellen, so absurd. Er hatte nur eine andere Vision davon, wie ein Patriot sich zu diesem Land zu verhalten hätte. Deshalb wollte er zu Vereinbarungen mit der arabischen Welt kommen, nicht nur zu Machtbezeugungen.

profil: Sie kannten Rabin persönlich? Gitai: Ja, ich flog mit ihm nach Washington und Kairo. Ich filmte selbst, was Rabin in Kairo über Gaza sagte. Und ich drehte auch das Gespräch mit Leah Rabin.

profil: Der rechtsradikale jüdische Underground, den Sie in „Rabin“ skizzieren, wirkt besonders gespenstisch. Gibt es ihn in dieser Form noch? Gitai: Natürlich. Und er ist sogar noch mächtiger geworden.

profil: Nur heute brauchen sie keine Hasskampagnen gegen den Premier mehr. Gitai: Genau. Denn sie unterstützen ihn ja. Israel ist für mich, schon historisch betrachtet, ein politisches Projekt, kein religiöses. Wenn man aus Israel nun eine religiöse Idee macht, wird es irrational. Und das ist gefährlich. Israel muss ein rationales Projekt bleiben.

Für das Christentum, den Islam und das orthodoxe Judentum gilt das jedenfalls: Die Priester, die Mullahs und die Rabbiner sind eben in aller Regel männlich.

profil: Sie haben etliche Filme gemacht, in denen Sie das orthodoxe Judentum scharf kritisierten. Wurden Sie von den Konservativen dafür attackiert? Gitai: Natürlich mochten sie Filme wie „Kadosh“ nicht, aber zugleich handeln diese Arbeiten eben auch von Israel; es ist mein Land, das mich inspiriert. Ich war allerdings extrem berührt, als ein Kollektiv von Frauen in Bangladesch „Kadosh“ zu ihrem wichtigsten Film erklärte, weil dieser eben über die religiöse Herabsetzung von Frauen erzählte. Sie verstanden meinen Film richtig, denn ich rechnete da nicht nur mit den Ultraorthodoxen in Jerusalem ab; es geht um die Rolle der Frauen innerhalb der Religionen.

profil: Wieso werden Frauen in so vielen Religionen herabgewürdigt? Gitai: Weil die meisten Religionen von männlichen Ideologien geprägt sind. Für das Christentum, den Islam und das orthodoxe Judentum gilt das jedenfalls: Die Priester, die Mullahs und die Rabbiner sind eben in aller Regel männlich.

profil: Werden Ihre Filme in Israel subventioniert? Gitai: Ich halte es für wichtig, dass wenigstens symbolische Summen aus Israel, also staatliche Fördergelder in meine Filme fließen. Bei „Rabin“ war das der Fall.

profil: Offenbar ist es für Sie wichtig, nicht relativ bequem von europäischer Filmförderung zu leben, sondern sich den härteren politischen und ökonomischen Grabenkämpfen in Ihrer Heimat auszusetzen? Gitai: Ich halte Israel für ein sehr berührendes Land. Es ist dynamisch und heterogen. Ich liebe meine israelischen Filmcrews, die sind extrem lebendig. Nicht wie diese vor sich hin dösenden Crews, mit denen man anderswo oft arbeiten muss.

Um fair zu bleiben: Auch wenn der tödliche Schuss von einem ultrarechten Juden abgefeuert wurde, gab es um Rabin doch jede Menge palästinensischer Nationalisten und Fundamentalisten.

profil: Könnten Sie ohne die französische Filmförderung Ihre Werke drehen? Gitai: Wohl nicht, aber das gilt für nahezu den gesamten Arthouse-Sektor. Die Franzosen sind bedeutende Alliierte unzähliger internationaler Filmemacher. Sogar Ihr Michael Haneke wird zu einem Gutteil französisch subventioniert. Damit nicht die provinzielle Rechte Österreichs Filmkunst verändern kann.

profil: Sie haben in Interviews gesagt, dass Sie keine Verschwörung hinter Rabins Tod orten, sondern bloß ein politisches Klima, in dem dieser Mord möglich wurde. Meinen Sie, dass auch das technische und menschliche Versagen der Bodyguards und Fahrer auf dieses vergiftete Klima zurückzuführen sei? Gitai: Natürlich. Aber um fair zu bleiben: Auch wenn der tödliche Schuss von einem ultrarechten Juden abgefeuert wurde, gab es um ihn doch jede Menge palästinensischer Nationalisten und Fundamentalisten, die terroristisch daran arbeiteten, die israelische Regierung als illegitim darzustellen. Sie alle trugen zu diesem Mord bei.

profil: Haben Sie versucht, mit Rabins Mörder zu sprechen? Gitai: Nein. Man könnte es tun, aber ich hatte keine Lust dazu. Schon um ihn nicht zu einem Mythos zu machen.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.