Zombie-Depression mit Roy Andersson

Zombie-Depression: Roy Anderssons „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“

Film. Zombie-Depression: Roy Anderssons „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“

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Man muss die Filme des Schweden Roy Andersson nicht mögen, um zu erkennen, wie exzentrisch sie sind. Tatsächlich besteht einer der entscheidenden Gründe dafür, sie nicht zu mögen, eben darin, dass sie so leicht als exzentrisch zu erkennen sind. Sein jüngstes Werk, charakteristisch absurd „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ genannt, gewann bei den Filmfestspielen in Venedig vor wenigen Monaten den Goldenen Löwen.

Anderssons Kino lebt von Einfallsreichtum eher als von filmischer oder erzählerischer Substanz. Der erst fünfte Spielfilm des 71-jährigen Manieristen aus Göteborg (die beiden letzten, mit dem neuen nun zu einer Trilogie versammelten Werke hießen „You, the Living“, 2007, und „Songs from the Second Floor“, 2000) ist eine Serie morbider Vignetten: Ein Mann wird beim Weinflaschenentkorken von einer Herzattacke niedergestreckt; ein uniformierter Verwirrter bleibt vor einem Restaurant stets wie verloren stehen; eine singende und hinkende Kellnerin lässt sich für ihre Schnäpse von jungen Soldaten mit Küssen bezahlen.

Man sieht, dass Andersson hauptberuflich als Werbefilmer gearbeitet hat: Es ist der unkonventionellen Form zum Trotz – und bei aller handwerklichen Präzision – etwas dezidiert Fernsehhaftes an seiner Art des Filmemachens; „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ wäre auch kleiner portioniert, etwa als fünfteilige TV-Comedy denkbar. Alles Blut ist aus diesem Film gewichen: In bleichen Bildern und entfärbten Kulissen schleppen sich zombiehaft geschminkte Menschen ermüdet von einer surrealen Skizze zur nächsten. Zusammengehalten wird die lose Konstruktion nur durch den äußerst schlichten Plot eines depressiven Vertreterpaars, das der Welt mit genau drei Retro-Unterhaltungsprodukten, die sie überall aus dem Koffer ziehen, die aber niemand ernsthaft brauchen kann (Vampirzähne, Lachsäcke und Gummifratzenmasken), „zu Spaß verhelfen“ will.

Es gibt durchaus denkwürdige Szenen in Anderssons Film, ein bizarres Bar-Mini-Musical etwa oder eine historische Massenszene, die unvermutet über ein modernes Alltagsszenario hereinbricht. Die minutenlange Doppelprozession einer Armee, die zunächst stolz in die Schlacht zieht, wenig später blutig geschlagen wieder heimkehrt, macht die längste Szene des Films aus, die wie ein zu opulent geratener Monty-Python-Sketch aussieht. Der Regisseur skizziert eine Welt kurz vor dem Zusammenbruch, den letzten Akt eines von ökonomischen und moralischen Krisen heimgesuchten Trauerspiels, in einem betont theatralischen, lethargischen Stil, der auch Christoph Marthaler ein Lächeln abringen könnte, und dessen insistierender Gestus dafür sorgt, dass er einem nachhaltig in Erinnerung bleibt. Aber letztlich bleibt alles an diesem Film absurde Behauptung, alles tragikomische Oberfläche: Schmalspur-Existenzialismus mit Slowburn-Slapstick-Spin.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.