Der Krawallmacher
Vielleicht wäre die Aufregung gedämpfter ausgefallen, wenn dieser Aufrührer nicht ausgerechnet 1986 nach Wien gekommen wäre. Aber die Amtsperiode seines Vorgängers Achim Benning war ausgelaufen, und der 49-jährige Claus Peymann zog am 1. September jenes Schicksalsjahrs im Direktionsbüro des Wiener Burgtheaters ein. Drei Monate zuvor hatte Kurt Waldheim die Präsidentenwahl gewonnen, wenige Tage nach Peymanns Amtsantritt wurde Jörg Haider nach einem Parteitags-Putsch FPÖ-Obmann und ging sofort auf scharfen Rechtskurs.
Entsprechend waidwund war die Republik, und dass da ein Störenfried Chef der heiligsten Bühne des Landes wird, der der inhaftierten RAF-Terroristin Gudrun Ensslin ein neues Gebiss finanziert hatte und sich ständig mit Hausbesetzern solidarisierte, irritierte weite Teile des neuen Waldheim/Haider-Österreich. Bestellt hatte ihn schon zwei Jahre zuvor der damalige Unterrichtsminister Helmut Zilk, dem bei dieser Entscheidung wohl seine engste Beraterin, die spätere Kulturstadträtin Ursula Pasterk, die Hand geführt hatte.
Peymann kostete den Ritt auf den Wogen der Empörung von Beginn an lustvoll aus. Im Burgtheater, diesem Herrschaftsbereich des Bildungsbürgertums, blieb kein Stein auf dem anderen. Verdiente Kammerschauspieler und in Ehren ergraute Publikumslieblinge wurden in Pension geschickt und durch in Wien unbekanntes Personal aus Bochum und Berlin ersetzt. In einem Interview erklärte Peymann, er gehe nicht in die Kantine des Burgtheaters, weil es ihm dort zu sehr „wienere“. Burgtheater-Betriebsrat Franz Morak, später Staatssekretär in der Regierung Schüssel, ortete empört eine „Entösterreicherung“ des Hauses, der strenge Kritikerstar Hans Weigel sogar ein „Österreicher-Pogrom“. Aber dieser Vorwurf ging ins Leere: Peymann setzte von Beginn an österreichische Literaturgrößen wie Peter Handke, Thomas Bernhard, Peter Turrini und Elfriede Jelinek in Szene, die in seiner Ära europaweit anerkannte Theaterstars wurden.
Fast zeitgleich mit Peymanns Amtsantritt hatte die SPÖ den Partner gewechselt. Mit Haider wollte Kanzler Franz Vranitzky nicht koalieren, nach den Nationalratswahlen schloss er ein Bündnis mit der ÖVP. Claus Peymann hielt das neue Kabinett kulturpolitisch auf Trab und sorgte gern für innenpolitischen Zoff. Als Papst Johannes Paul II. im Juni 1988 Österreich besuchte, setzte Peymann demonstrativ Rolf Hochhuths kirchenkritisches Stück „Der Stellvertreter“ auf den Spielplan, in dem es um das Versagen des Vatikans angesichts des Holocausts geht. ÖVP-Obmann Alois Mock drängte daraufhin Unterrichtsministerin Hilde Hawlicek (SPÖ), sie möge diese Aufführung verhindern. Mocks Brief fand den Weg zu Peymann, der ihn, keinen Wirbel vermeidend, im Programmheft abdruckte. „Der Stellvertreter“ lief wie geplant.
Noch hitziger wurde es wenige Wochen später, als Peymann Bernhards „Heldenplatz“ auf den Spielplan setzte. Noch kannte niemand die Handlung, es gab keine Proben, nur einige wenige, in profil vorab veröffentlichte Zitate: „Dieses katholische Gesindel, das mit den Nationalsozialisten gemeinsame Sache macht“, hieß es da; von „Österreich, dieser geist- und kulturlosen Kloake“, in der es mehr Nazis gebe als 1938, war die Rede. Sofort nach Veröffentlichung der Zitate meinte „Krone“-Herausgeber Hans Dichand schrill empört, Österreich gebe sich als Nation auf, wenn es sich das gefallen lasse. ÖVP-Obmann Mock ortete „eine grobe Beleidigung des österreichischen Volkes“, und Jörg Haider imitierte Karl Kraus: „Hinaus aus Wien mit dem Schuft“.
Sogar der alte Bruno Kreisky brummte: „Das muss man sich von dem Bernhard nicht gefallen lassen.“ Kreisky selbst hatte es sich einige Jahre zuvor gefallen lassen müssen, von Bernhard als „Höhensonnenkönig im Pensionistenlook“ verspottet zu werden.
Von ÖVP und FPÖ bedrängt, die Premiere zu verhindern – noch immer kannte kaum jemand das ganze Stück –, blieb Ministerin Hawlicek hart: Was im Burgtheater gespielt werde, sei Sache des Direktors. Später erzählte Peymann, Hawlicek habe ihn telefonisch zum Durchhalten aufgefordert. Kanzler Vranitzky trug das – wohl zähneknirschend – mit: In „Heldenplatz“ bezeichnet Bernhard Vranitzky als „Staatsverschacherer“.
Am Abend der Premiere luden Aktivisten vor dem Burgtheater eine Fuhre Mist ab, die „Kronen Zeitung“ zeigte in einer Fotomontage das Theater lichterloh brennend, und auf den Stehplätzen demonstrierte eine Gruppe Rechtsradikaler, in ihrer Mitte der damals 20-jährige Heinz-Christian Strache. Theaterskandale dieses Kalibers gibt es heute nicht mehr. Vielleicht ist das Theater zu unwichtig geworden, vielleicht ist die Wirklichkeit aufregend genug, vielleicht fehlt es einfach an den entsprechenden Theater- und Krawallmachern. Einer hat sich jedenfalls gerade von der großen Bühne verabschiedet.