Größer, schneller, weiter. Einst ritten Österreichs Banker aus, den Osten zu erobern. Dann warf er sie ab. Am Beispiel Andreas Treichl

Michael Nikbakhsh: Das Andreas-Kreuz

Das Andreas-Kreuz

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Es ist nun schon ein paar Jahre her, neun, um genau zu sein, da stand Andreas Treichl zur Abwechslung wieder einmal auf dem Zenit seiner Karriere. Vorstandsvorsitzender einer höchst profitablen zentraleuropäischen Großbank (die er überhaupt erst zu einer solchen gemacht hatte), in der Branche und darüber hinaus respektiert und sogar richtig beliebt, in Managerrankings auf Spitzenplätze abonniert, Bonikaiser. Visionär, charismatisch, integer – und, in seinem Geschäft keinesfalls selbstverständlich, authentisch. Und so sinnierte er in einem Interview im Juni 2005: „Ich habe derzeit einen Lauf. Aber der wird nicht ewig halten. Daher ist es besser, auf dem Boden zu bleiben.“

Wenige Monate später, im Dezember 2005, sollte Treichl eben diesem entschweben und die 3,75 Milliarden Euro schwere Übernahme der größten Bank Rumäniens Banca Comerciala Romania SA, kurz BCR, finalisieren. Was profil damals wie folgt kommentierte: „Für Generaldirektor Andreas Treichl nicht nur der teuerste, sondern auch der riskanteste Deal seiner Karriere.“

Nun ja. Freitag vergangener Woche war Treichl, seit nunmehr 17 Jahren an der Spitze der Erste Bank (heute: Erste Group), unablässig damit beschäftigt, die Spätfolgen dieses Engagements zu erklären. Längst geht es dabei nicht mehr nur um den für heuer erwarteten Nettoverlust der Erste-Gruppe in der Höhe von bis zu 1,6 Milliarden Euro – Folge der Risikovorsorgen und Abschreibungen in Rumänien und Ungarn – sondern vielmehr um ihn selbst. Herr Treichl, wie wär’s mit Rücktritt? Die Frage wäre einst als schiere Majestätsbeleidigung empfunden worden. Folgerichtig hat Treichl bereits dekretiert, dass er selbstverständlich nicht an Rücktritt denke.

Zugegeben: Zwischen dem Einstieg in Rumänien Ende 2005 und der Verkündung des Debakels im Juli 2014 liegt die notorische Finanzstaatsschuldenwirtschaftsvertrauenskrise, an welcher vor allem Südosteuropa bis heute hartnäckig laboriert; die (Teil-)Verstaatlichung dreier „systemrelevanter“ Banken; die Erkenntnis, dass auch und gerade Banken Geld nicht drucken können – und wenn doch, dann nur um den Preis unvertretbar hoher Risiken.

Treichl ist ein Kind seiner Zeit. Als er 1997 das Kommando übernahm, war die Bonanza östlich von daheim längst im Gange. Keine österreichische Bank, die auf sich hielt, wollte die „Chancen“ auf dem „erweiterten Heimmarkt“ – unter dem jeder etwas anderes verstand – liegen lassen.

Tschechien, Slowakei, Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, der Balkan, Russland und seine vermeintlich autonomen Teilrepubliken. Erste, Raiffeisen, Bank Austria, Volksbanken-Gruppe, nicht zuletzt die Hypo Alpe-Adria. In war, wer drin war. Und weil die Nachfrage den Preis macht, wurde der Erwerb neuer Beteiligungen mit der Zeit immer kostspieliger. Als die rumänische Regierung sich 2005 von ihren BCR-Anteilen trennte, musste die Erste bereits das Sechsfache des sogenannten Buchwertes ablegen, um Interessenten aus Deutschland, Italien und Portugal auszubremsen – das war eindeutig zu viel. Und Treichl wusste das auch. Er war nur eben ein Getriebener seiner eigenen Ansprüche.
Größer, schneller, weiter.

Darin unterschied er sich nicht von anderen seiner Zunft. Er ist nur, wenn man so will, der letzte Überlebende dieser Ära. Gerhard Randa, einst Generaldirektor der Bank Austria: im Ruhestand. Herbert Stepic, einst Generaldirektor von Raiffeisen International: im Ausgedinge. Klaus Thalhammer, einst Generaldirektor der Österreichischen Volksbanken AG: verstorben. Wolfgang Kulterer, Ex-Vorstandschef der Hypo Alpe-Adria: in Haft.

Unterschiedliche Charaktere mit einer gemeinsamen Schwäche: latente Beratungsresistenz. Im Falle Treichls begünstigt durch eine bemerkenswerte Konstruktion, die erst 2013 saniert wurde. Bis dahin saß Treichl nicht nur an der Spitze der Bank an sich, sondern auch im Vorstand des Hauptaktionärs Erste Privatstiftung – und bestellte sich damit mittelbar selbst (ein ähnliches Privileg hatte einst auch Gerhard Randa in der Bank Austria). Eine Feudalstruktur, die der Widerspruchskultur in leitenden Gremien nur bedingt förderlich ist. Natürlich gab es seinerzeit intern Widerstände gegenüber dem überteuerten Engagement in Rumänien. Und natürlich waren diese enden wollend.

Der guten Ordnung halber sei erwähnt, dass auch andere Banken sich in Zentral- und Südosteuropa hartnäckig verkühlt haben – der obskure Protektionismus der ungarischen Regierung stellt mittlerweile alle ausländischen Kreditinstitute vor existenzielle Probleme, die Wirren in der Ukraine nicht minder (das trifft vor allem Raiffeisen und die 2013 tief in die roten Zahlen geschlitterte Bank Austria, die Erste hat ihre Beteiligung mit Abschlag verkauft), das zur Disposition stehende Netzwerk der Hypo Alpe-Adria gilt ohnehin als Dauerbaustelle.

Ist das Projekt Osteuropa also gescheitert? Nein. Nicht für die Erste, nicht für die anderen noch aktiven Häuser. Doch die Zeiten, in denen Banken und Banker und Aktionäre sich im „goldenen Osten“ eine ebensolche Nase verdienen konnten, sind endgültig passé. Im Bankiersjargon spricht man nunmehr nur noch von „Konsolidierung“ und meint damit – Schrumpfen.
Kleiner, langsamer, kürzer. Und das ist gut so.

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Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.