Die große Transparenz-Illusion
„Transparenz“, „Gerechtigkeit“, „Verantwortung“ – die heilige Dreifaltigkeit der politischen Kommunikation. Offenheit, Nachvollziehbarkeit und Bürgernähe gelten als hehre Prinzipien moderner Demokratien. Parteien, egal welcher Couleur, fordern und versprechen mit missionarischem Eifer immer noch mehr davon. Seit dem 1. Jänner 2020 wurden sage und schreibe mehr als 4.500 Presseaussendungen aus dem politischen Bereich verschickt, in denen das Wort „Transparenz“ vorkommt. Scheint ja wirklich allen äußerst wichtig zu sein.
Doch die Transparenz teilt mit dem Kommunismus ein tragisches Schicksal: In der Theorie klingt alles wunderbar – in der Praxis ist es oft ein ziemlicher Albtraum. Denn so eine „Offenlegung“ ist für viele Politikerinnen und Politiker nur dann attraktiv, wenn sie dazu dient, sich selbst zu feiern. Wenn es aber darum geht, unangenehme Wahrheiten aufzudecken, wird es plötzlich sehr, sehr finster.
Sie glauben nicht, wie viele Dinge man in Österreich offiziell nicht wissen darf – wegen „Amtsgeheimnis“, „Datenschutz“ oder „laufender Verfahren“. Der Informationsfluss versiegt zuverlässig immer dort, wo es spannend – weil brisant – wird. Und diese Tendenz ist keineswegs parteispezifisch. Nein, das Mauern, wenn es ungemütlich wird, ist in der Politik erstaunlich überparteilich organisiert.
Da wäre zum Beispiel die FPÖ, die oft am lautesten nach Transparenz schreit – aber auf journalistische Anfragen selten reagiert. Die Grünen wiederum haben zwar das Informationsfreiheitsgesetz auf den Weg gebracht, doch wer in den letzten Jahren versuchte, vom Grünen Justizministerium Informationen zu erhalten, wurde nicht selten auf bürokratische Odysseen geschickt. Die ÖVP wiederum ist zuletzt eher durch „Message Control“ als durch Offenheit aufgefallen. Journalisten wurden wiederholt mit dem Hinweis vertröstet, dass „bald eine Pressekonferenz“ zum Thema stattfinden werde – manchmal in Wochen, manchmal nie.
Und die SPÖ? Die spielt das Spiel ebenfalls mit beeindruckender Konsequenz. Beispiel: Die Mieten der SPÖ-Sektionen im Gemeindebau. Zwei Jahre lang mussten zwei profil-Redakteure ihr Informationsrecht einklagen, weil die Stadt Wien – unter SPÖ-Führung – dazu partout keine Auskunft geben wollte. Mit einer Heerschar von Anwälten zog man durch alle Instanzen. Am Ende kam die Information doch – nach der Wien-Wahl. Der Zeitpunkt war sicher ganz zufällig. Auch so lässt sich investigativer Journalismus elegant torpedieren, der in den politischen Aussendungen natürlich stets als ein Eckpfeiler der Demokratie gefeiert wird. Während unserer Recherchen spüren wir von dieser Begeisterung oft herzlich wenig.
Zur Einordnung: Journalistinnen und Journalisten haben ein gesetzlich verbrieftes Recht, vom Staat, von Ministerien, von Städten Auskunft zu bekommen – gestützt auf das sogenannte Auskunftspflichtgesetz. Dieses stammt aus dem Jahr 1987 und ist ungefähr so modern wie ein Faxgerät. Es verpflichtet Behörden grundsätzlich zur Auskunft, lässt ihnen aber reichlich Schlupflöcher – zum Beispiel durch Verzögerung, Umdeutung oder den berühmten Gang durch die Instanzen. Und das ist kein kleiner Umweg: Klagen kosten Zeit, Geld, Nerven – und sie vernichten in vielen Fällen die Aktualität und damit die Wirkung der recherchierten Inhalte. Wer Informationen blockiert, kann damit Storys im Keim ersticken.
Im Herbst nun soll das neue Informationsfreiheitsgesetz in Kraft treten. Endlich – auch dessen Genese spricht Bände: Die Verhandlungen dazu dauerten Jahre, waren von Konflikten geprägt, der Prozess intransparent. Nun soll es wirklich kommen, und es verspricht mehr Transparenz, Bürgernähe und Kontrolle staatlichen Handelns. Ein Hoffnungsschimmer? Vielleicht. Denn das Vertrauen der Bürger in das politische System ist im Sinkflug – auch, weil die Institutionen ihre Versprechen oft nicht einlösen. Es wäre also höchste Zeit, dass die Politik nicht nur über Transparenz spricht, sondern sie auch endlich lebt.
Das heißt: keine Salamitaktik, keine Verschleppung, kein Akten-Tetris. Sondern einfache, eindeutige Auskunft. Und ja, das ist nicht immer bequem. Aber Demokratie ist kein Wohlfühlprogramm. Sondern ein System, das Offenheit nicht nur predigen, sondern auch praktizieren muss. Sonst bleibt Transparenz das, was sie jetzt oft ist: Ein großes Wort – mit sehr kleinem Gehalt.