Meinung

Aserbaidschan: Europas gefährliche Partner

Mit der Eroberung Bergkarabachs hat Aserbaidschan erreicht, was es immer wollte. Für Europa sollte der Siegeszug des autokratischen Regimes ein Weckruf sein.

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Ilham Alijew ist ein geduldiger Mann. Viele Jahre lang hat der Autokrat aus Aserbaidschan auf den richtigen Moment gewartet, Mitte vergangener Woche war es dann so weit. Alijew schickte sein Heer, um auch den Rest der seit Jahrzehnten umkämpften Region Bergkarabach zu erobern. Die dort heimischen ethnischen Armenier ließ er brutal vertreiben. Es soll mehr als 200 Tote gegeben haben, darunter Frauen und Kinder.

Seit den 1990er-Jahren gab es drei Kriege um die de facto autonom regierte Region Bergkarabach. Im Herbst 2020 hatte Aserbaidschan mithilfe der Türkei binnen weniger Wochen einen Großteil des Gebietes erobert. Jetzt dauerte es nicht einmal zwei Tage, um Bergkarabach endgültig zur Kapitulation zu zwingen.

In Baku, Aserbaidschans Hauptstadt, gilt Bergkarabach als abtrünnige Provinz, völkerrechtlich gehört es zu Aserbaidschan. Die „Republik Arzach“ wurde nie international anerkannt. Doch in dem Gebiet leben seit vielen Jahren fast ausschließlich ethnische Armenier – und der Staat Armenien war deren Schutzmacht. Bis jetzt, denn nun hat die Regierung in Jerewan aufgegeben. Das Land ist Aserbaidschan finanziell und militärisch weit unterlegen. Und die russischen Truppen, die über den Frieden wachen sollten, sahen dabei zu, wie Bergkarabach fiel.

Für Alijew war der Zeitpunkt für die Offensive ideal: Russland, das bisher als Schutzmacht Armeniens galt, ist durch den Angriff auf die Ukraine und innenpolitische Kämpfe geschwächt. Und der Rest der Welt sieht weg, weil sie mit Putins Krieg genug Sorgen hat.

Bergkarabach droht Schlimmes. Zu befürchten sind ethnische Säuberungen und die Zerstörung der jahrtausendealten Kultur der Karabach-Armenier. In Armenien geht die Furcht um, dass Aserbaidschan bald auch Armenien selbst ins Visier nehmen könnte. So wie Putin nach der Annexion der Krim weitermachte und letztlich die gesamte Ukraine überfiel, könnte Alijew nach „Westaserbaidschan“ streben, wie er Armenien nennt. Die Staatspropaganda bezeichnet die Menschen dort als „Ungeziefer“, in Aserbaidschan gehört der Hass auf Armenier zur Staatsdoktrin.

In Europa machte das Regime Politiker mit der sogenannten „Kaviar-Diplomatie“ – teure Geschenke, Reisen, Geld – gefügig.

In Baku ließ Alijew einen Vergnügungspark mit armenischem Kriegsmaterial bauen (profil berichtete), wo Kinder auf erbeuteten Panzern turnen und die Helme getöteter armenischer Soldaten bestaunen. Daheim in Aserbaidschan unterdrückt Alijew sein Volk, lässt Wahlen zu seinen Gunsten manipulieren und Kritiker wegsperren.

In Europa machte das Regime Politiker mit der sogenannten „Kaviar-Diplomatie“ – teure Geschenke, Reisen, Geld – gefügig. Die Denkfabrik „Europäische Stabilitätsoffensive“ des österreichischen Migrationsexperten Gerald Knaus hat schon vor zehn Jahren aufgedeckt, wie Baku Abgeordnete des Europarats bestach.

All das hat europäische Politiker nicht davon abgehalten, Alijew zu hofieren. Auch Österreich hat traditionell gute Beziehungen zu Baku. Bundespräsident Heinz Fischer unterzeichnete 2013 eine Freundschaftserklärung mit Aserbaidschan. Bei einem Treffen mit Alijew in Wien beschlossen die beiden, die „Rechtsstaatlichkeit“ zu fördern. Man muss kein Kaukasus-Experte sein, um das als Hohn zu entlarven.

Österreich ging es schon damals ums Gas – Aserbaidschan hat reichlich davon, und der heimischen Wirtschaft konnte es, solange der Preis stimmt, nie genug sein.

Mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges und der schrittweisen Abkehr vom russischen Gas suchte die EU nach neuen Lieferanten – und fand einen in Aserbaidschan. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen traf Alijew in Baku, um einen Gas-Deal zu unterzeichnen. Die Lieferungen in die EU sollen verdoppelt werden.

Bisher waren die Gaslieferungen Aserbaidschans in die EU überschaubar. Im Jahr 2022 lag ihr Anteil bei gerade einmal drei Prozent. Seit dem Abkommen sind sie gestiegen: Im Monat Juli 2021 waren es 15,6 Millionen Kubikmeter, heuer im selben Zeitraum bereits 74,5 Millionen.

In Baku sprach von der Leyen von einem „wichtigen Energiepartner“, der „immer verlässlich“ gewesen sei. Wem das bekannt vorkommt, erinnert sich womöglich an das ehemals wortgleiche Lob für Russland – auch Moskau wurde stets als verlässlicher Partner bezeichnet. Selbst die Annexion der Krim schadete den guten Geschäften kaum. Der Bruch kam erst mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine.

Doch wohin sich Europas Politiker auf der Suche nach Alternativen zum russischen Gas auch wandten, überall trafen sie auf Despoten und Autokraten. Staaten mit reichen Öl- und Gasvorkommen sind nicht bekannt für ihre demokratische Kultur.

Die nach wie vor hohe Nutzung fossiler Energien schadet nicht nur dem Klima. Die Überweisungen aus dem Westen für Gas und Öl an autokratische Regime sind weder mit den demokratischen Werten noch mit den geopolitischen Interessen der EU vereinbar. Es gibt viele Gründe für eine rasche Abkehr von fossilen Energien. Das Ende der Abhängigkeit von Diktatoren, Despoten und Autokraten ist einer davon.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.