Gastkommentar

Atempause nach dem Hamas-Terror

Eine Reise der Resilienz: aus den Tiefen der Tragödie ins Herz von Wien. Ein Gastkommentar des israelischen Botschafters in Österreich, David Roet.

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In den letzten Wochen hatte ich das Privileg, fast die gesamte überlebende Bevölkerung des Kibbuz Nachal Oz zu treffen. Auf Einladung eines engagierten österreichischen jüdischen Freundes sind sie zur Erholung gruppenweise nach Wien gekommen. Erschüttert durch den Zusammenbruch des idyllischen Lebens im Kibbuz, das an jenem schicksalhaften 7. Oktober 2023 durch das barbarische Massaker der Hamas abrupt beendet worden war, in Trauer um verlorene Familienmitglieder und Freunde, konfrontiert mit einer ungewissen Zukunft, kamen sie nach Wien. Die Mehrheit hatte sich für den Besuch entschieden, um Trost für ihre Kinder zu finden und um, wenn auch nur für einen Moment, eine Atempause von dem überwältigenden Trauma zu finden.

Wien empfing sie in seiner verschneiten Schönheit und bot den Kindern die Möglichkeit, Freude zu erleben – viele von ihnen spielten zum ersten Mal im Schnee. Manche erzählten, dass sie zum ersten Mal wieder (fast) durchschlafen konnten. Für einige war es die erste Gelegenheit, überhaupt wieder ein Wort zu sagen, für andere, aufgestaute Emotionen loszulassen und sogar zu lächeln.

Bei Treffen mit österreichischen Entscheidungsträgern erzählten die Überlebenden von den langen Stunden während des Massakers, vom Gefühl des Verlusts, der Vertreibung und des Schmerzes. Sie erzählten davon, wie sie während des Angriffs die Türverriegelung des Schutzraumes fest umklammert hielten, von den entsetzlichen Schreien der gefolterten Nachbarn, von entführten und ermordeten Freunden.

Sie erzählten von Ilan Fiorentino, einem Kibbuzmitglied, das für die Rettung anderer sein eigenes Leben geopfert hat, über Beri und Nissan, Freiwillige im Sicherheitsdienst, Helden, die den Kibbuz tapfer verteidigten. Und sie erzählten auch von jenen Eltern, die beschlossen hatten, ihre Kinder und sich selbst nicht in die Hände der Hamas fallen zu lassen und das Undenkbare, den kollektiven Suizid, zu planen, sollten die Terroristen ihr Haus stürmen.

Mein Team und ich trafen auf eine starke zionistische Gemeinschaft, Menschen unterschiedlicher Herkunft, die liebevoll füreinander da sind. Trotz des Traumas und des Schmerzes sind einige fest entschlossen, eines Tages in den Kibbuz zurückzukehren, während andere noch mit ihrer Entscheidung hadern.

Als Kind eines Holocaust-Überlebenden und als Diplomat, der sich viele Jahre mit der Leugnung des Holocaust befasst hat, ist es herzzerreißend, mitzuerleben, wie versucht wird, die Gräueltaten zu leugnen, obwohl die Hamas-Terroristen ihre Verbrechen selbst dokumentiert haben. Nirgendwo im Blutrausch der Mörder wird der Ruf nach einem freien Palästina, wie er in europäischen Städten lautstark skandiert wird, oder nach einer Zwei-Staaten-Lösung laut. Bestürzend ist daher die Unterstützung, die die Hamas sowohl in der arabischen Welt als auch in Ländern des Westens erfährt. Israels Kampf richtet sich nicht gegen das palästinensische Volk, sondern gegen eine blutrünstige Terrororganisation.

Es ist tragisch, dass einige Verirrte die Hamas und ihre Taten gutheißen und ihren Terror mit der Unterstützung der Palästinenser gleichsetzen. Sie schaden damit den Interessen der Palästinenser und unterstützen Handlungen und Überzeugungen, die die Stabilität des Nahen Ostens gefährden und die jene Werte, die die meisten von uns vertreten, infrage stellen.

Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass bis zum 7. Oktober 2024 die Diskussionen über eine friedliche Lösung des Konflikts wiederaufgenommen werden können. Dafür müssen wir sicherstellen, dass die Hamas den Gazastreifen nicht länger beherrscht und keine militärischen Möglichkeiten mehr hat, jemals wieder solche abscheulichen Verbrechen zu begehen. Nie wieder.

Der vielleicht symbolträchtigste Moment des in den letzten Jahren erfolgten freundschaftlichen Wandels in den Beziehungen zwischen Österreich und Israel fand im Zuge des Treffens der Überlebenden mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka statt. Beim Hinausgehen erzählte ich dem bereits erwähnten Nissan, der wie ich Nachfahre eines Holocaust-Überlebenden ist, dass man vom Parlament aus den berüchtigten Balkon sehen kann, auf dem Hitler am 15. März 1938 gesprochen hatte, mit Blick auf denselben Platz, auf dem sich am 3. November 2023 rund 20.000 Menschen aus Solidarität mit Israel versammelten, und zum ersten Mal ebendort Israels Hymne ertönte – haTikwa, die Hoffnung. Auf dieser Reise der Resilienz, von den Tiefen der Tragödie bis ins Herz von Wien, wurde die Freundschaft zwischen zwei Ländern gestärkt, die sich der gegenseitigen Solidarität und dem gemeinsamen Streben nach Frieden verpflichtet fühlen.