Kolumne

Auf! Hopp! Dalli! Weiter!

2024 darf nicht so werden wie 2023. Und wir dürfen nicht 2023 bleiben.

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Aus China kommen nicht nur Smartphones, Spielsachen und Autos, sondern auch massenhaft Weisheiten. Wer weiß, wie viele schlaue Sprüche im Lauf der Jahrtausende gemacht und in Glückskeksen verarbeitet wurden? Es sind viele. Die meisten kann man wahrscheinlich getrost vergessen, während einer doch recht spannend ist: „Mögest du in interessanten Zeiten leben.“ Für junge, unbeschwerte Gemüter klingt das fröhlich und heiter. Das liegt daran, dass der junge Mensch dazu neigt, das Interessante und das Unterhaltsame oftmals auf eine Stufe zu stellen. Doch das kann auch danebengehen. Denn die Chinesen verstehen diesen Wunsch eigentlich als Fluch, als Verwünschung. Interessant, das heißt hier: lebensgefährlich.

Interessante Zeiten sind das, in denen wir leben. Da haben wir einen imperialistischen Neustalinisten in Moskau, der erst die Ukraine, dann die ganze Welt erobern, aber mindestens bis Berlin marschieren will. Dazu die Judenhasser und -mörder der Hamas und Hisbollah mitsamt ihren gutbürgerlichen Antisemiten in Medien und Universitäten im Westen, für die, wenn es gegen „das System“ geht, jedes Mittel recht ist, vorzugsweise die Partnerschaft mit Diktaturen. Und Herrn Xi aus China nicht zu vergessen, der sich aufregt, wenn man ihn einen Diktator nennt, weil das bissel ethnische Säuberung und Foltern und Hinrichten doch nur aus erzieherischer Fürsorge geschieht – frei nach Mao: Erschieße einen, erziehe hundert. Dazu die Zwergtyrannen wie Erdoğan und Orbán. Die Liste ist nicht vollständig.

2024 darf nicht 2023 werden, aus einem einfachen Grund. 2023 war das Jahr des Relativierens. Das Jahr des Wegschauens. Das Jahr des „Das geht uns doch gar nichts an“. Nach der Schrecksekunde des Überfalls Putins auf die Ukraine und eiligen Schwüren zugunsten der Demokratie haben sich Politiker, Wirtschaftstreibende und, Hand aufs Herz, die allermeisten Bürgerinnen und Bürger abgeseilt. Was soll man machen? Die Welt ist schlecht. Aber was hab ich damit zu tun?

Die Ukraine ist nah, aber weit genug weg, dass man die Einschläge russischer Raketen und das Schreien der Kinder nicht hört. Und das mit den Juden ist schrecklich, so haben wir es schon von Oma und Opa gehört, die allerdings herzlich wenig dagegen ausgerichtet haben – was hätten sie schon machen sollen, haben sie immer gesagt.

Optimismus gibt es nicht geschenkt. Optimismus muss man sich erarbeiten. 

Ich weiß, dass das keine Neuigkeiten sind, aber unserer Zeit fehlt es nicht an Neuigkeiten, sondern an Anstand und Stehvermögen. Wir nehmen schlechte, schlechteste Nachrichten zur Kenntnis und fahren dann in den Weihnachtsurlaub, zum Skifahren oder genehmigen uns bei der Silvesterbowle eins mehr. Wer Sorgen hat, wusste Wilhelm Busch, hat auch Likör, und die Versorgungslage ist ja ungebrochen gut. Wird schon wieder.

Nein, wird es nicht. Die Zeiten sind interessanter als interessant, und sie werden nicht weggehen, weil wir ein bisschen Frieden haben wollen. Das gilt übrigens auch für alle, die es über Jahrzehnte verabsäumt haben, die Wirtschaft und Arbeitswelt so zu gestalten, dass wir nicht abhängig sind von denen, die uns beispielsweise lustige Sprüche in die Glückskekse backen. Dabei genügt es nicht, ein bissel Industrie zurückzuholen. Das ist Unsinn. Wir müssen uns stark verbessern. In jeder Hinsicht. Wir sind weder demokratisch auf Zack noch zivilgesellschaftlich noch in Sachen Innovation und Fortschritt. Wir sind Leute, die am liebsten ihre Ruhe haben, was verständlich ist, aber zur Grabesruhe führt. Die nächste Stufe ist schon gelegt. Wen Israel, Gaza, die Uiguren und andere nicht jucken, dem ist es auch wurscht, wenn im Land ein rechtspopulistisches Regime „aufräumt“.

Wer das vor Wahljahren nicht begreift, hat schon verloren, und mit ihm alle, die sich auf solche Verlierer verlassen.

Optimismus gibt es nicht geschenkt. Optimismus muss man sich erarbeiten. Begründete Hoffnungen darauf, dass es besser wird, sind Schwerarbeit. Das ist, was uns 2024 wirklich erwartet, und es gilt, keine Zeit mehr mit kleinlichem persönlichem Geplänkel zu verlieren. Es brennt nicht nur der Hut, sondern bald auch der Hintern.

Vielleicht merken das die vielen geistigen und politischen und wirtschaftlichen Ruheständler im Land nicht. Aber wir, die wir es merken, müssen uns bewegen. 2024 darf nicht 2023 werden.

Alles andere ist nicht nur einfach interessant, sondern lebensgefährlich.

Allen viel Glück und alles Gute!

Wolf  Lotter

Wolf Lotter

ist Autor und Journalist und schreibt einmal monatlich eine Kolumne für profil, wo er von 1993 bis 1998 Redakteur war.