Christian Rainer: Koffer packen?

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Christian Rainer: Koffer packen?

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Am 7. Februar 2000 kam profil mit dem legendären Cover „Schande Europas“ auf den Markt. Wolfgang Schüssel hatte vier Tage zuvor einen Koalitionsvertrag mit Jörg Haider unterzeichnet. Fast alle von uns hätten für diese Titelzeile ihre berufliche Zukunft aufs Spiel gesetzt; jeder in der Redaktion konnte sich mit dem journalistischen Tabubruch als Antwort auf den politischen Tabubruch identifizieren; kaum einer der Redakteure von damals, die noch bei profil sind, sieht die Sache heute anders.

15 Jahre später widmet profil der Koalition zwischen Sozialdemokratie und Freiheitlichen samt Diskussion, ob Ähnliches im Bund möglich sein soll, keine Titelgeschichte. Den Verantwortlichen für das ideologische Chaos der Linken, für das Führungsvakuum in der SPÖ, für den nachgerade freiwilligen und als Sonderform von Trauerarbeit zu wertenden Verlust des Landeshauptmannes in der Steiermark und darüber hinaus für das Gesamtdurcheinander in der Republik hatten wir schon vor sieben Tagen ausgemacht: mit dem Titel „Faymann, wie lange noch?“ Nun beschäftigen wir uns in aller Ruhe mit Fragen der Welternährung und verbannen die innenpolitischen Plattenverschiebungen ins Innere des Heftes.

Wo also liegen die Unterschiede, was wiegt 2015, wenn wir es mit 2000 gewichten?

Warum bloß? Jedenfalls nicht, weil wir die Situation nun als weniger brisant erachten würden: Ich halte sie sogar für gefährlicher.

Wo also liegen die Unterschiede, was wiegt 2015, wenn wir es mit 2000 gewichten?

Zu kurz greift das Argument, die aktuelle Aufregung nähre sich ja nur aus einer Koalition auf Ebene der Länder, noch dazu des kleinsten Bundeslandes. Dem ist entgegenzuhalten: Die weit größere Steiermark ist an einer Regierungsbeteiligung der dort viel mächtigeren Freiheitlichen nur knapp vorbeigeschrammt. Vor allem aber sprechen wir nun über die bisher abstinente SPÖ, die mit der FPÖ kopuliert. Der SP-Obmann hat derartige Konstruktionen (auf Landesebene) ex post generell sanktioniert. Und die Partei streitet ungezügelt und unmoderiert (und früher oder später mit positivem Ergebnis) über rot-blaue Koalitionen auch im Bund. Damit wird alles anders, alle Koalitionen werden möglich. Damm gebrochen.

Der Hauptunterschied zu Schüssel-Haider, der für den niedrigeren Lärmpegel verantwortlich zeichnet, liegt anderswo. Er gründet wohl im Verhältnis zur Zeitgeschichte: Die Rezeption des Holocaust, der Naziverbrechen hat sich geändert. Nochmals 15 Jahre später, 70 Jahre nach Kriegsende, sind kaum noch Täter und Opfer unter den Lebenden. Selbst die Kindergeneration erreicht ein reifes Alter. Die Worte „Niemals vergessen“ haben mangels Zeitzeugen nun ihren wahren Bedeutungsinhalt bekommen.

Der Tabubruch der Volkspartei des Wolfgang Schüssel bestand darin, eine Partei moralisch zu legitimieren, die von deutschnationalem Gedankengut getragen war, die Hitler, den Zweiten Weltkrieg und die Judenvernichtung verherrlichte. Das war angesichts des größten Verbrechens der überschaubaren Menschheitsgeschichte, das überdies von österreichischem Boden seinen Ausgang gefunden hatte, unerträglich – für Österreich, für Europa, für die Welt. Daher „Schande Europas“.

Wir erleben nun also keinen vergleichbaren Tabubruch. Aber die FPÖ ist heute gefährlicher als im Jahr 2000

Die FPÖ des Jahres 2015 bewegt sich in einem anderen Umfeld. Das ist insofern ein Treppenwitz, als heute nicht weniger deutschnationale Burschenschafter im Parlament sitzen als damals und Heinz-Christian Strache selbst an Wehrsportübungen von Neonazis teilnahm, während man Jörg Haider zwar Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut attestieren, ihn aber nicht als Nazi oder Neonazi bezeichnen durfte (was er auch nicht war). Aber Ausrichtung und Gedankengut der Freiheitlichen sind nun trotz aller ekelhaften Figuren, trotz vieler Worte und Symbole hart am Wiederbetätigungsparagrafen anders: Die FPÖ ist eine typische europäische Krawallpartei in einem durch Zeitablauf weniger belasteten Land geworden: eine rechtsextreme, ausländer-, minderheiten- und elitenfeindliche Gruppierung, der jede sachliche Kompetenz fehlt, der es jedoch gelingt, die Bevölkerung mit Rhetorik, Polemik und Lügen aufzuhetzen.

Untypisch ist freilich, dass fast ein Drittel der Bevölkerung diese Partei wählt oder wählen wird. Parteien wie die FPÖ gibt es vielfach auch innerhalb der westlichen Wertegemeinschaft, eine ähnlich erfolgreiche aber nicht. (Der französische Front National erreichte nur bei den Europawahlen 24 Prozent.)

Wir erleben nun also keinen vergleichbaren Tabubruch. Aber die FPÖ ist heute gefährlicher als im Jahr 2000. Jörg Haider und Schwarz-Blau waren ein Angriff auf die moralische Integrität der Republik. Doch niemand, der bei Sinnen war, erwartete einen rechten Umsturz. Strache hingegen führt einen Angriff auf die reale Macht, einen Krieg gegen Administration, Gesetzgebung, Rechtsstaat. Wer vorsichtig ist, sollte eher jetzt die Koffer packen.