Christian Rainer: Panische Ruhe

Das Coronavirus als Rückschritt hinter Wissenschaft und Menschenrechte.

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Ich zögere, in den allgemeinen Sermon einzustimmen, wonach dieses Mal alle alles richtig machen. Demnach verhielten sich Politiker, Behörden, medizinisches Personal vorbildlich im Umgang mit dem aktuellen Coronavirus. Anders als bei vorangegangenen Bedrohungen wie etwa der SARS-Pandemie 2002/2003 reagierte man nun schnell, lokal koordiniert und global vernetzt. Es gäbe klare Zuständigkeiten, und die Öffentlichkeit werde zeitnah sowie ausführlich informiert und instruiert.

Prima vista muss man diesem Befund zustimmen. Die Maßnahmen wirken sinnvoll, die Auftritte der Verantwortlichen angemessen. Meine Kritik setzt daher nicht dort an, wo politisches Kleingeld geschlagen wird. Die Opposition behauptet ja, dass für die Bevölkerung keine Ansprechperson erkennbar sei. Das erscheint angesichts der vielen Auftritte der immer Gleichen verwunderlich – Bundeskanzler, Innenminister, Gesundheitsminister –, und ein Triumvirat ist mindestens so gut wie eine Einzelperson. Andererseits nütze die Krise der Regierung zur Profilierung. Dem kann man nicht widersprechen. Aber die Profilierung ist bloß ein Nebeneffekt, und SARS-CoV-2 wurde weder von der österreichischen noch von der chinesischen Regierung erfunden (obwohl entsprechende Behauptungen in den – notorisch dumm machenden – sozialen Medien kursieren). Langfristig wird die Krise dieser und allen anderen Regierungen ohnehin massiv schaden, da die wirtschaftlichen Auswirkungen – Konjunkturabschwung und Arbeitslosigkeit – jeder Opposition in die Hände spielen.

Meine Kritik bezieht sich vielmehr darauf, dass die Welt in ihrem Umgang mit dem Virus den Boden der Rationalität verlassen hat. Die Maßnahmen sind nur deshalb richtig, weil die Allgemeinheit von einem frei erfundenen Bedrohungsbild ausgeht. In Wahrheit kann niemand sagen, worin die besondere Gefahr dieses Coronavirus liegt, welche eine derartige globale Aufrüstung notwendig macht. Eine mögliche Antwort darauf wäre: Es gibt ein Restrisiko, dass SARS-CoV-2 mutiert und jene Mutation dann ein wahres Monster wäre, das bei Ansteckung, vor allem aber bei den Todesraten an die mittelalterliche Pest heranreicht. Diese Antwort hört man nicht – unter anderem, weil die Politiker zwar innerhalb von Stunden gelernt haben zu sprechen, als wären sie Nobelpreisträger der Medizin, aber dennoch nicht wissen, was ein Virus ist und was seine Mutation.

Jenes Restrisiko ist freilich geringer als das Risiko einer Kernschmelze bei den Österreich umgebenden Kernkraftwerken. Rational wäre es, Zahlen zur Basis des politischen Handelns zu nehmen, wie sie in unserer Titelgeschichte von Alwin Schönberger vorgerechnet werden. Redlich wäre es, wenn jeder Politiker diese Zahlen bei jedem seiner Auftritte nennte. Demnach ist in der am stärksten betroffenen Weltregion, in der chinesischen Provinz Hubei, nur einer von 1000 Menschen infiziert worden, und von den Infizierten in Hubei sterben zwei bis drei Prozent. Abseits von Hubei sind die Zahlen noch weniger dramatisch: Wo sie anhand von genügend Fallzahlen statistisch aussagekräftig sind, liegt die Todesrate zwischen 0,4 und 0,8 Prozent, und dort ist auch die Ansteckungsrate weitaus geringer. Die Wahrscheinlichkeit, an diesem Coronavirus zu sterben, steht also irgendwo zwischen eins zu einer Million und eins zu 100.000. Ein eleganter Vergleich aus dem Text von Schönberger: „Europaweit starben rund 150 Menschen am Rinderwahn, etwa so viele, wie im selben Zeitraum durch das Trinken von parfümiertem Lampenöl ums Leben kamen.“

Rezeption und Umgang mit diesem Coronavirus sind irrational. Wir machen einen Rückschritt hinter wissenschaftliche Erkenntnisse. Wir befinden uns in einem Zustand von panischer Ruhe.

Irrationalität birgt Gefahren. Ängste entstehen und verbreiten sich. Die Menschen sind Argumenten nicht zugänglich. Sie können manipuliert werden. Unter dem Eindruck der Coronakrise wurden daher ohne jeden Widerstand polizeistaatliche Maßnahmen etabliert. Niemand stößt sich daran, dass Menschenrechte beschnitten werden. In China werden Landesteile abgeriegelt, die Menschen entmündigt. Grenzen werden nicht geschlossen, aber die Reisenden am Übertritt gehindert. Das autoritäre Auftreten des österreichischen Innenministers wird als Wohltat empfunden. Der Bundeskanzler gibt zu verstehen, dass Reisewarnungen nicht bloß Empfehlungen seien und Quarantäne polizeilich überwacht werde.

Niemand gebietet dem Treiben Einhalt. Wohl auch, weil diese autoritären Entwicklungen ohnehin dem Zeitgeist entsprechen.