Christian Rainer: Eine Vorhölle

Pamela Rendi-Wagner ist ein tragisches Opfer der Irrationalität, die der Politik innewohnt.

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Wer Pamela Rendi-Wagner in diesen Tagen beobachtet, schwankt zwischen Unverständnis und Mitgefühl. Die Ansammlung von strategischem Unvermögen, taktischen Fehlern und purer Hilflosigkeit erschließt sich der rationalen Erklärung längst nicht mehr. Aber ein Mensch mit dem persönlichen Hintergrund, dem ideologischen Feuer und der individuellen Empathie von Rendi-Wagner hat nicht verdient, was ihr gerade zustößt. Es ist unklar, wie lange die SPÖ-Vorsitzende ihren Job noch behalten wird. Ihr Verbleib wird allein durch das Chaos und die Partikularinteressen des instabilen Kernreaktors Sozialdemokratie gesichert. Niemand würde darauf setzen, dass Rendi-Wagner in sechs oder zwölf Monaten noch an der Spitze der Partei stehen wird.

Das ist eine Gelegenheit, um darüber nachzudenken, was Bürger in die Politik treibt – und warum das selten einen glücklichen Ausgang findet.

Bei keinem Job ist das irrationale Momentum als treibende Kraft so groß wie in der Spitzenpolitik. Wer mit einem kühlen Blick auf die Vergangenheit an die entsprechende Entscheidung herangeht, müsste sich immer dagegen wenden, jedenfalls wenn es sich um die Bundespolitik handelt. Von den Kanzlern und Vizekanzlern in der von mir überblickbaren Zeitspanne ab 1970 ist kaum einer unbeschadet aus der Sache herausgekommen. Beinahe jeder – mit der großen Ausnahme Franz Vranitzky – sprach und spricht traumatisiert von jener Periode, wurde krank, blieb frustriert, rachsüchtig: Kreisky, Androsch, Sinowatz, Steger, Klima, Schüssel, Riess, Pröll, Gusenbauer, Mitterlehner, Kern – man kann diese Auswahl konsistent ergänzen. (Mit der Landespolitik oder Regionalpolitik verhält es sich anders; da folgen die Karrieren eher einer sanft geneigten Kurve.) Minister erleiden häufig ein ähnliches Schicksal wie die Regierungsspitze: Hartwig Löger verflucht längst den Tag, an dem er das hochbezahlte Vorstandsmandat einer Versicherung gegen das Finanzressort tauschte; eine vergleichbare Managementaufgabe wird er nicht so bald wieder bekommen.

Es muss eine spezielle Fantasie sein, welche die Protagonisten über den Vorhöllencharakter der hohen Politik hinwegtäuscht.

Apropos Löger (oder Grasser oder Strasser): An ihrem Beispiel wird auch deutlich, wie knapp an der Kante der juristisch zulässigen Möglichkeiten sich das politische Gewerbe bewegt. Das Risiko, zum Beschuldigten oder zum Angeklagten in nicht enden wollenden Prozessen zu werden, ist hoch; das bringt das öffentliche Agieren in einem situationselastischen rechtlichen Gefüge mit sich.

Nochmals apropos Löger (oder Schramböck oder Kern oder weiland Vranitzky): Für Quereinsteiger bringt der Berufswechsel oft einen enormen Einkommensverlust mit sich; noch schwerer wiegt die Unvermittelbarkeit nach der Politik. Anhand der genannten Namen auch schnell ersichtlich: Die Behauptung, wegen der widrigen Bedingungen stünden immer weniger Spitzenmanager für die Politik zur Verfügung, ist Unsinn – man kennt nur wenige, die dem Ruf nicht folgen würden.

Warum also? Wo liegt die Rationalität im Irrationalen? Es muss eine spezielle Fantasie sein, welche die Protagonisten über den Vorhöllencharakter der hohen Politik hinwegtäuscht. Die Worte „Minister“, „Bundeskanzler“, „Vorsitzender“, natürlich auch „Präsident“ haben einen nachgerade mythischen Charakter. Die Vorstellung, diese Bezeichnung vor dem eigenen Namen auf einer Visitenkarte zu sehen, macht blind und taub ob der wahren Verhältnisse. Ein großes Segment der politischen Elite ist in jenem Umfeld aufgewachsen. Sie müssten am besten die Tragik dieses Berufs kennen und lassen sich dennoch verführen: Machtlosigkeit im Zentrum der Macht; Intrige in den eigenen und fremden Reihen; Arbeit, Präsenz und Transparenz ohne Pause – und eben das absehbare Ende.

Ist diese Fantasie eine Form von Eitelkeit? Nein, sie ist nur deren Schwester. Eitelkeit kratzt regelmäßig an der Oberfläche, die Fantasie vom Politikerdasein geht tiefer. Sie ist ein Gemengegefühl von Machterotik, Gestaltungkraft, Öffentlichkeitsverzauberung, Bewunderungsbefriedigung.

Im Spannungsfeld dieser Fantasien des Einzelnen und der brutal realen Welt müssen Menschen wie Pamela Rendi-Wagner und alle anderen mittelfristig scheitern.