Meinung

Darf Donald Trump antreten?

Ja. Die Gerichte können ihn nicht stoppen. Soll er dennoch angeklagt werden? Besser nicht.

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Es ist nicht ganz einfach, bei den einzelnen zivil- und strafrechtlichen Verfahren gegen Donald Trump und seine Unternehmen auf dem jeweils letzten Stand zu sein – es sind schlicht verdammt viele. Die zu untersuchenden Delikte reichen von der betrügerischen Übertreibung seiner Vermögenswerte über kriminelle Geschäftspraktiken bis zum Versuch der Wahlmanipulation, respektive eines Putschversuchs am 6. Jänner 2021 beim Sturm auf das Kapitol. Die Razzia, die das FBI am Montag in Trumps Anwesen in Mar-a-Lago (Florida) durchführte, erfolgte im Zusammenhang mit einem bisher wenig beachteten Verfahren, bei dem die Justiz annimmt, der Ex-Präsident habe Dokumente privat gelagert, anstatt sie wie gesetzlich vorgeschrieben dem National-Archiv zu übergeben.

Vor dem Hintergrund der anderen Anschuldigungen nimmt sich der letztgenannte Vorwurf eher harmlos aus, doch die US-Gesetze sind in dieser Angelegenheit streng: Wer „willentlich und ungesetzlich“ Regierungsdokumente versteckt, begeht laut der Bestimmung in Title 18, Section 2071 ein Verbrechen. Damit nicht genug: Die angedrohte Strafe reicht bis zu drei Jahren Haft und – Achtung! – der Sanktion, dass der Verurteilte für „untauglich“ erklärt wird, ein öffentliches Amt auszuüben.

In Kommentaren wird seit der Hausdurchsuchung gemutmaßt, dass Donald Trump damit per Gesetz aus dem Rennen um die Präsidentschaftswahl 2024 geworfen werden könnte, denn wer kein bundesstaatliches Amt ausüben darf, kann wohl unmöglich für das höchste Amt im Staat kandidieren?

Doch, er kann. Die Verfassung der Vereinigten Staaten sieht ausschließlich drei Kriterien vor, die jemand erfüllen muss, um Präsident werden zu können: Er oder sie muss in den USA geboren, mindestens 35 Jahre alt und seit mindestens 14 Jahren im Land wohnhaft sein. Nichts – auch keine strafrechtliche Bestimmung – darf diesem Katalog etwas hinzufügen. Ein derartiger Versuch würde unweigerlich vor dem Supreme Court, dem Obersten Gericht der USA, landen und dort abgeschmettert werden.

Die Justiz ist nicht die Institution, auf der die Hoffnungen für den 5. November 2024 ruhen sollten.

An dieser Stelle lohnt es, Eugene Debs’ Bekanntschaft zu machen. Debs (1855–1926), US-Arbeiterführer und Sozialist, kandidierte – erfolglos – bei fünf Präsidentschaftswahlen. Bei seinem letzten Anlauf 1920 tat er dies vom Gefängnis aus. Er war wegen mehrfachen Aufrufs zum Widerstand gegen die Beteiligung der USA am Ersten Weltkrieg zu zehn Jahren Haft und lebenslangem Entzug der Bürgerrechte verurteilt worden. Kandidieren durfte der politische Gefangene trotzdem, und er errang 3,4 Prozent der abgegebenen Stimmen. Der Wahlsieger, US-Präsident Warren G. Harding, begnadigte Debs später.

Wir lernen: Die Strafjustiz kann niemanden an einer Kandidatur hindern, und das hat einen einfachen Grund, den Alexander Hamilton, einer der Gründerväter der USA, in einer Rede 1788 so formulierte: „Das Volk soll wählen, von wem es regiert werden möchte“, und bei der Wahl solle die „weitestgehend uneingeschränkte Freiheit“ gelten.

Das lässt eine andere Frage unbeantwortet: Soll man Trump vor einem Strafgericht anklagen? Das Editorial-Board der „Los Angeles Times“ hat sich festgelegt: Ja, Trump soll angeklagt werden, und zwar wegen seiner mutmaßlichen Täterschaft im Zusammenhang mit dem Versuch, am 6. Jänner 2021 den demokratischen Prozess der Zertifizierung der Wahlmännerstimmen zu verhindern. Die „Los Angeles Times“ nennt auch den schwerwiegendsten Einwand gegen eine solche Anklage: Das Verfahren könnte mit einem Freispruch enden und Trump nützen. Doch die „Times“ verwirft dies, denn Gerechtigkeit zu üben sei weitaus bedeutsamer als jegliche politisch-taktische Überlegung.

Dieser Gedanke ist ehrenwert, kühn – und leider ziemlich riskant. Tatsächlich wäre ein Verfahren zwar wohl begründet, doch nach Meinung von Top-Juristen wie etwa Andrew Goldstein, einem der Mitglieder des Teams um Robert Muller, das Trumps Verwicklungen in russische Manipulationen rund um die US-Wahl 2016 untersuchte, auch mit großen Unwägbarkeiten behaftet. Vor allem müsste die Staatsanwaltschaft zweifelsfrei beweisen, dass Trump in böser Absicht handelte und Handlungen setzte, die geeignet waren, den Kongress daran zu hindern, die Wahlmännerstimmen zu zählen. Dazu kommt, dass Trump zu diesem Zeitpunkt formal noch Präsident war und ein Strafgericht deshalb eigentlich unzuständig …

Zum Gruseln hier das Szenario des Schreckens: Donald Trump muss vor ein Strafgericht; das Verfahren zieht sich über das Jahr 2023 und darüber hinaus; bis zum Wahltag am 5. November 2024 ist kein Urteil gesprochen – oder gar ein Freispruch. Dann hat Donald Trump zwei Amtsenthebungsverfahren und ein Strafverfahren hinter sich, ohne je verurteilt worden zu sein. Und selbst im Falle einer Verurteilung würde Trump kandidieren. Wollen wir uns seine Wahlkampfreden ausmalen? Die Begeisterung seiner Anhänger?

Nein, die Justiz ist nicht die Institution, auf der die Hoffnungen für den 5. November 2024 ruhen sollten. Trump muss, wenn er antritt, von einem besseren Kandidaten oder einer besseren Kandidatin geschlagen werden. Ach, übrigens: Die Mehrheit der Wähler will nicht, dass Joe Biden noch einmal antritt.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur