Leitartikel

Das entpersonalisierte Böse

Die FPÖ hat sich gelöst von ihren Führerfiguren. Das ist eine schlechte und eine gute Nachricht.

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Darf ein Journalist die FPÖ als „böse“ bezeichnen, darf ich das im Titel dieses Kommentars tun? Bleibt man da noch innerhalb eines objektiven Verfasstheitsbogens? (Im Verfassungsbogen – aus dem der damalige ÖVP-Klubobmann Andreas Khol die FPÖ übrigens einst ausgeschlossen hatte, um sie für die Schüssel-Koalition dann flugs wieder hereinzuholen – bleibt man als Kommentator damit jedenfalls. Meinungsfreiheit! Aber das wäre eine ganz andere Diskussion.)

Wenn man den Einzelnen für das Ganze nimmt, pars pro toto, wenn man damit das politische Personal meint und nicht die Wählerinnen und Wähler, dann darf man die FPÖ „böse“ nennen. Deshalb zum Beispiel: Der niederösterreichische Politiker Gottfried Waldhäusl hat vergangene Woche einer Gruppe von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund die Daseinsberechtigung im Sinne der Hier-Dalebensberechtigung entzogen. Bei einer TV-Sendung sagte er einem Mädchen auf den Kopf zu, ohne sie wäre „Wien noch Wien“ – also wohl sein Wien, ein utopisches Wien ohne kroatische, tschechische, türkische Familien, stattdessen prall mit klangvollen deutschen Namen. Lauter Waldhäusls in einem lauteren Wien. Johanna Mikl-Leitner nannte ihren freiheitlichen Landesrat daraufhin „jenseitig“. Wir setzen voraus, dass die Landeshauptfrau mit dem Waldhäusl-Jenseits nicht den Himmel meint, sondern die Hölle: In der Hölle ist das Böse, also ist Waldhäusl böse. Aus den eigenen Reihen hat niemand Waldhäusl kritisiert, bis auf Weiteres ist also die FPÖ böse. Waldhäusl sei Dank können wir uns also heute sparen, die Abgründe der FPÖ inhaltlich in Erinnerung zu rufen. Wir müssen nicht bei A wie Ausländer beginnen und mit Z wie Zigeuner schließen.

Die FPÖ des Wahres-Wien-Waldhäusl und des Lustiges-Liederbuch-Landbauer hat die Wahl in Niederösterreich krachend gewonnen. In der jüngsten profil-Umfrage liegen die Freiheitlichen bundesweit mit vier Prozentpunkten Vorsprung an erster Stelle. Das  ist mehr als vor sieben Jahren. Damals durften Christian Kern (vergeblich) und Sebastian Kurz (eigennützig) den Karren aus dem Dreck ziehen.

Die Titelgeschichte dieser Woche schildert eindrücklich, wie die Freiheitlichen immer und immer wieder von den Scheintoten auferstehen konnten. Haider und die Beschäftigungspolitik. Haider, Knittelfeld, die Parteispaltung. Der Hypo-Skandal. Das Ibiza-Video. Ich habe niemals geglaubt, die FPÖ würde auf ihr Kernpublikum reduziert schrumpfen, ich habe wider die meisten Kommentatoren immer recht behalten.

Haider galt als Ausnahme im globalen Populismusgeschiebe. Bei Kickl war man sich sicher, mit ihm würde die FPÖ nicht über 20 Prozent kommen.

Was mich beunruhigt, und dieser Aspekt kam in der Analyse bisher zu kurz: Der Erfolg der FPÖ hat sich von den Parteivorsitzenden losgelöst; das Böse hat sich entpersonalisiert. Ein Blick zurück in die Geschichte: Jörg Haider galt ab der Übernahme der Partei 1986 als eine Ausnahmefigur im globalen Populismusgeschiebe. Seine Rhetorik, seine Skrupellosigkeit, sein Sensorium für die Weichteile der Menschen waren außergewöhnlich. Man führte den Erfolg der FPÖ zu Recht auf ihn zurück. Er hatte den Zuspruch vervielfacht. Als er sich zerfranste und abtrat, erwartete man den Niedergang. Der Wiener Heinz-Christian Strache – etwas später – war eine grobe Billigversion des oberösterreichischen Beute-Kärntners: auch Populist und rechtsextrem, aber weniger intelligent, weniger empathisch, weniger diszipliniert (wohl auch weniger psychopathologisch verformt). Doch die FPÖ erholte sich schnell, der Schmalspur-Populist zog sie in neue Höhen, bevor er sie mit Ibiza in die Tiefe warf. Dann Norbert Hofer: langweilig bis zum Abwinken, harmonieversessen. Doch fast die Hälfte der Bevölkerung wollte den verkappten Deutschnationalen als österreichischen Bundespräsidenten. Auftritt Herbert Kickl: Nun war man sich sicher. Einer wie er ist nicht populismustauglich. Der schlaue Mann aus dem Hintergrund wäre dem Vordergrund in Lautstärke und Rampenlust nicht gewachsen. Mit ihm würde die FPÖ nicht über 20 Prozent kommen. Jetzt liegt sie bei 28 Prozent.

Österreich wählt die FPÖ nicht mehr wegen der jeweiligen Führung und deren Kampfrhetorik. In Frankreich mit der starken Marine Le Pen verhält es sich anders. Umgekehrt ist die Schwäche der deutschen AfD auf das erbärmliche Personal zurückzuführen. Warum läuft es hier, wie es läuft? Vielleicht liegt es am sogenannten Ausländerthema, das hier mächtiger wirkt als anderswo, durchaus von tatsächlich hoher Zuwanderung gefüttert, in Niederösterreich der Wahlimpuls Nummer eins. Andere, gut belegte Thesen kann ich nicht aufbieten. Die „Mehrheit rechts der Mitte“ darf nicht mit dem Zuspruch zu einer extrem rechten Partei verwechselt werden. An Armut, Arbeitslosigkeit oder einem auffälligen Wohlstandsgefälle kann es nicht liegen, im Gegenteil.

Die schlechte Nachricht also: Die FPÖ kann ohne Abhängigkeit von einer Lichtgestalt durchmarschieren, vielleicht auch einen Kanzler stellen. Die gute Nachricht: Wenn Sozialdemokratie und Volkspartei endlich ihre personellen und inhaltlichen Probleme auf die Reihe kriegen, können sie die Freiheitlichen besiegen. Egal wer dort gerade auf der Bühne steht.

Christian   Rainer

Christian Rainer

war von 1998 bis Februar 2023 Chefredakteur und Herausgeber des profil.