Leitartikel

Der Katastrophen-Sommer

Hitze, Brände, Hagelsteine: Die Klimakrise ist Realität. Durch Ignorieren wird sie nicht verschwinden. Doch die Politik übernimmt zu wenig Verantwortung.

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Brütende 46 Grad in Rhodos. Verzweifelte Griechenland-Touristen, die vor tobenden Waldbränden flüchten und auf Evakuierungsflüge warten. Riesenhagelsteine mit der Rekordgröße von 19 Zentimetern in Italien. Tornados, die mit 217 Stundenkilometern durch die Schweiz fegen. Hitzewellen quer durch Europa. Hundertausende Menschen tagelang ohne Strom und Wasser in Sizilien. Willkommen im apokalyptischen Sommer 2023, der den Urlaub zum Horrortrip machen kann!

Derartig gruselige Hiobsbotschaften aus den einstigen Ferien-Sehnsuchtsländern dominieren die Nachrichten. Die Wetter-Momentaufnahmen hierzulande klingen nicht viel besser, im Gegenteil: Gewitterserien mit Starkregen und Stürmen in Kärnten, die Kirchtürme und Häuser abdecken. Murenabgänge. Überflutungen. Entwurzelte Bäume, umgefegte Wälder – allein 600.000 Festmeter Schadholz allein im Juli allein in Tirol. Verheerende Unwetter, die Zuggleise unbefahrbar machen, Passagiere sitzen stundenlang fest – unter ihnen das Staatsoberhaupt, Bundespräsident Alexander Van der Bellen, am Weg zu den Bregenzer Festspielen. Unwetterschäden von über zehn Millionen Euro binnen weniger Tage in der Landwirtschaft. Davor: Hitzetage mit Hitzetoten, konzentriert in den glühenden Städten.

Beklemmende Szenen, die sich zu einem bedrohlichen Bild verdichten: Dieser Juli 2023 war weltweit der heißeste Monat seit Beginn der Aufzeichnungen. Das Mittelmeer hat mit besorgniserregenden 28,71 Grad alle Temperaturrekorde hinter sich gelassen. Die Eisfläche in der Antarktis ist um über zwei Millionen Quadratkilometer kleiner als im langjährigen Durchschnitt. Zum Vergleich: Das ist 24 Mal die Fläche Österreichs. Angesichts dieser gesammelten Schreckens-daten will UNO-Generalsekretär António Guterres nicht mehr von „Erderwärmung“ sprechen. Diese Phase hält er für beendet. Nun dominiere die „Ära des globalen Kochens“.

Die Klimakrise ist längst auch zur Ideologieschlacht geworden.

Das klingt beängstigend, ist es auch. Und wird nicht besser, wenn verstockte Zweifler und ultracoole Beschwichtiger mit ihren Lieblingseinwänden auffahren und Theorien anbieten wie: Auch früher war es im Sommer heiß! Hagel gab es immer! Die Waldbrände sind alle gelegt! Niemand darf (Un-)Wetter mit Klima verwechseln! Die Temperatur ist nur so hoch, weil sie direkt am Asphalt gemessen wird! Es nützt nichts, wenn Europa/Österreich sich anstrengt, solange die USA/China Klimasünder sind! Die Liste der Ausreden ist lang und zeigt: Die Klimakrise ist längst auch zur Ideologieschlacht geworden. Trotzige Bestemm-Argumente helfen aber niemandem, schon gar nicht dem Klima.

Sicher: Nicht alle verzweifelten Versuche, den Klimaausnahmezustand zum völligen Normal schönzureden, sind hanebüchener Unsinn, manch Wald etwa steht in der Tat wegen Brandstiftung in Flammen. Aber: Auch mit noch so spitzfindiger Detailkritik ist der große Generalbefund, über den sich alle seriösen Wissenschafter einig sind, nicht wegzuargumentieren: Wetterextreme nehmen durch die Klimakrise deutlich zu, die Hitzewellen im Juli in Südeuropa und in den USA etwa wären ohne Klimawandel praktisch unmöglich. Und: Rekordtemperaturen und andere Superlativ-Ereignisse werden häufiger und in immer schnellerer Abfolge passieren. Können Sie sich etwa noch an den Jänner 2023 erinnern, als es 19,7 Grad am Schneeberg hatte und sich in Skigebieten bizarre Kunstschneestreifen zwischen grasgrünen Berghängen ins Tal schlängelten? Oder an den Extremsommer 2022 mit Jahrhundertdürre und Ernteausfällen?

Die unangenehme Wahrheit lautet: Die Klimakrise ist Realität, und ihre Auswirkungen kommen rasanter und radikaler als befürchtet. Wegschauen und Ignorieren werden gar nichts daran ändern, leere Versprechungen genauso wenig. Dennoch will kaum jemand Verantwortung übernehmen. Schon gar nicht gewählte Verantwortungsträger – sprich: Politikerinnen und Politiker.

Keine Frage: Es ist unbequem, dem Wahlvolk langjährige Gewohnheiten durch lästige Fakten abzugewöhnen. Das erfordert Mut, auch zum Unpopulären. Doch den gab es immer wieder: Rauchen im Auto, die Kleinkinder am Rücksitz, im Flugzeug, Büro oder Lokal, galt zum Beispiel einmal als „normal“ – ist aber aus verflixt guten Gründen längst verboten. Und heute breit akzeptiert. Verhaltensänderungen sind also möglich.

Und weitermachen wie bisher ist bei der Klimakrise keine Option. Vielleicht ist die Bevölkerung durchaus weiter als die Politik, Photovoltaik-Anlagen etwa erweisen sich als große Renner, die Züge sind mittlerweile knackevoll. Bereitschaft zum Umdenken und Umstieg ist durchaus da. Einzelpersonen aber können nicht die Verantwortung für die Klima-Wende übernehmen – das ist eine klassische Aufgabe der Politik. Und die agiert nach wie vor zu mutlos und zögerlich: Österreich verfehlt die Klimaziele, schafft nur die Hälfte des geplanten Windkraft-Ausbaus und ist nach wie vor Weltmeister im Bodenversiegeln. Äcker und Wiesen in der Größe von 16 Fußballfeldern werden täglich zubetoniert, in den letzten 20 Jahren ging dadurch eine Fläche von 72.000 Hektar verloren – so groß wie die versammelten Ackerflächen von Salzburg, Kärnten, Tirol und Vorarlberg. Das hat Folgen: Zu viel Bodenverbrauch macht die Versorgung mit heimischen Lebensmitteln schlechter. Oder: Gegen milliardenschwere klimaschädliche Subventionen fehlt Gegensteuerung.

Keine Frage: All diese Maßnahmen sind anstrengend, manche davon unpopulär. Nur: Was ist die Alternative? Auf den nächsten Katastrophen-Sommer zu warten?

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin