Kolumne

Eine Abrechnung mit Social Media

Nicht nur Elon Musks Plattform X hat tiefgehende Probleme. Allgemein stecken soziale Medien in einer Krise, von Instagram bis TikTok.

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In meinen Augen stecken soziale Medien derzeit in einer Krise: Sie sind nicht mehr en vogue, der Enthusiasmus, den Plattformen wie einst Facebook, dann Instagram, dann TikTok in ihren Anfangsphasen auslösten, ist verflogen. Gewiss: Schon seit vielen Jahren führen wir viele negativ besetzte Debatten über Social Media, so sind etwa Falschmeldungen spätestens seit 2016 ein riesiges Thema – und auch der Hamas-Terror gegen Israel offenbarte zuletzt, wie anfällig Plattformen wie X oder TikTok für Propaganda sind. Mittlerweile sind wir aber an einem Tiefpunkt angekommen, an dem soziale Medien ein Thema voller Frustration geworden sind. Social Media fühlen sich unlustiger, mühsamer, weniger relevant als früher an. Und nicht nur mir geht es so. Die renommierte Zeitschrift „New Yorker“ publizierte einen Artikel mit dem Titel „Why the internet isn’t fun anymore“. Autor Kyle Chayka schreibt vor allem über soziale Plattformen und meint: „Das Internet von heute fühlt sich leerer an, wie ein hallender Flur, obwohl es mit mehr Inhalten als jemals gefüllt ist.“ Das trifft es gut.

Das Internet von heute fühlt sich leerer an, wie ein hallender Flur, obwohl es mit mehr Inhalten als jemals gefüllt ist.

Kyle Chayka

"The New Yorker"

Viele Apps sind in die Jahre gekommen und übermäßig kommerzialisiert worden, sie wirken wie eine veraltete Shoppingmall, in die man früher gerne einkaufen ging, aber wo man jetzt nur noch selten vorbeischaut. Hier eine Liste, was mich an einigen Apps frustriert:

Facebook ist uralt geworden, in der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen nutzt weniger als jede zweite Person diesen Dienst (47 Prozent). Das besagt der Digital News Report. Facebooks Image ähnelt zunehmend jenem des „Seniorenclubs“, es hat aber den Vorteil, dass es über ein paar Funktionen mit Alleinstellungsmerkmal verfügt: Zum Beispiel sind lokale Gruppen für Facebook sehr wichtig, ebenso die Event-Funktion und die Geburtstagserinnerungen.

Instagram war einst die junge Alternative zu Facebook, aber frisch ist diese App auch nicht mehr: Der Meta-Konzern ist geschickt darin, innovative Funktionen anderer Apps auf Insta zu kopieren (etwa Storys oder Reels). Das führt dann aber zum Vorwurf, dass die App ein Abklatsch anderer Dienste ist. Meines Erachtens stellt die Kommerzialisierung ein noch größeres Problem dar: Man sieht viele Werbeeinblendungen im Feed, in ihren Beiträgen machen Influencer:innen zusätzlich Werbung. Und Bots bewerben in den Kommentaren unseriöse Accounts. Instagram verfügt über viele hilfreiche und unterhaltsame Profile, aber die starke Kommerzialisierung dämpft die Freude daran.

TikTok ist passiv. Natürlich stellt sich bei dieser chinesischen App die Frage, wie viel Druck der chinesische Staat auf das Unternehmen dahinter ausüben kann. Auch abseits dieser politischen Sorgen gibt es ein Manko: TikTok ist für viele User:innen ein passiver Kanal. Die App ähnelt Fernsehen, man sieht sich kurze unterhaltsame Videos an, der Feed läuft ewig weiter. Natürlich gibt es auch auf TikTok kluge Beiträge. Aber mehr als andere Apps bietet TikTok Berieselung statt Dialog.

In der ohnehin schon schlechten Stimmung gegenüber Social Media schafft es Elon Musk, Leute wiederholt vor den Kopf zu stoßen, etwa indem er Verschwörungsmythen und wilde Spekulationen postet.

Elon Musk hat Twitter in X umbenannt und zu seinem Spielplatz gemacht. Der Milliardär verschlechtert dabei die Plattform: Spam-Bots sind jetzt äußerst sichtbar, aggressive Accounts wurden wieder freigeschaltet und fühlen sich beflügelt, gleichzeitig haben Journalist:innen das blaue Häkchen der Verifizierung verloren. Man kann heutzutage schlechter erkennen, wer professioneller Journalist oder professionelle Journalistin ist – und wer nicht. Auch die EU macht nun Druck auf X: Das Unternehmen muss erklären, welche Schritte es gegen Desinformation setzt. In der ohnehin schon schlechten Stimmung gegenüber Social Media schafft es Elon Musk, Leute wiederholt vor den Kopf zu stoßen, etwa indem er Verschwörungsmythen und wilde Spekulationen postet.

Einige Apps sind in die Jahre gekommen, ihr Lack ist ab. Insgesamt haben wir als Gesellschaft etliche ernüchternde Momente rund um Social Media erlebt. Mein Verdacht ist: Diese Ernüchterung rund um Social Media gehört zur normalen Evolution des Internets – wir werden zunehmend sowohl abgeklärter als auch aufgeklärter.

Eine Anmerkung: Ein bisschen Aufbruchsstimmung findet man aber derzeit auf Bluesky, einer Konkurrenzplattform zu Twitter, pardon X. Speziell im deutschsprachigen Raum wächst Bluesky. Wird es X ersetzen? Ich weiß es nicht, aber viele diskutieren dort freundlich miteinander, die App wirkt recht lebendig, und man wird seltener beschimpft als auf X. Das ist mal ein guter Start.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.