Kuchen für alle

Was die Sollen-sie-doch-Burger-essen-Society von untergegangenen Aristos unterscheidet.

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Wir müssen noch einmal über Karl Nehammers Marie-Antoinette-Moment reden. Weil: unzulässiger Vergleich. Ja, eh, ziemlich sicher war’s gar nicht Marie Antoinette, die den berüchtigten Kuchen-Satz gesagt hat, sondern ein anderes ahnungsloses Aristo-Girl von anno dazumal (stand schon in profil), aber das ist insofern egal, als es hier um etwas anderes geht, nämlich darum, dass sich die Ignoranz à la Nehammer grundlegend von der Ignoranz à la Marie Antoinette unterscheidet. „Sollen sie doch Kuchen essen“ zeugt von einem in gewisser Weise geradezu egalitären Weltbild. Diejenige, die das gesagt hat, ging in ihrer grenzenlosen, unwissenden Naivität offenbar davon aus, dass Kuchen für alle verfügbar sei. Und sie meinte mit Kuchen Nahrung, wie sie es selber gewöhnt war.

Der Kanzler jedoch ging, ebenfalls irrtümlich, davon aus, dass Burger für alle verfügbar, soll heißen: leistbar seien, aber er meinte damit Nahrung, wie er sie selber eher nicht konsumiert. Nahrung für den Pöbel halt.

Erneut wiegt das Sich-Kümmern um Gewinnspannen schwerer als das Sich-Kümmern um kranke Menschen.

Elfriede Hammerl

Während Corona, in den Lockdowns, ist plötzlich ein anderes Gespür für Lohn und Leistung aufgekommen. Mit einem Schlag hat sich gezeigt, wer das Land am Laufen hält. Systemrelevant haben Supermarktbedienstete, Pflegekräfte und das Reinigungspersonal plötzlich geheißen, Berufsgruppen, die nie zuvor mit Anerkennung oder gutem Geld verwöhnt wurden. Bei der Erkenntnis, dass sie unverzichtbar sind, hat man es dann aber bewenden lassen. Vorübergehende Anerkennung ja, gutes Geld nein. Ende Gelände. Erneut wiegt das Sich-Kümmern um Gewinnspannen schwerer als das Sich-Kümmern um kranke Menschen.

Nebenbei: Sie wähnen sich auf Augenhöhe mit den richtig Reichen und Mächtigen, die Sollen-sie-doch-Burger-essen-Verkünder. Deswegen verteidigen sie den Reichtum der Reichen. Aber, Fehleinschätzung, sie werden nie auf deren Augenhöhe sein und als gleichrangig respektiert werden. Sie werden als Personal gesehen. Als Handlanger. Wer sagt es ihnen?

Sie kennen keine bitterkalten Wohnungen, sondern allenfalls angenehm kühle Wintergärten.

Elfriede Hammerl

Menschen wie Marie Antoinette waren schlicht desinteressiert an den Armen. (Kein schöner Zug, aber trotzdem was anderes als Missachtung wider besseres Wissen.) Menschen wie der Kanzler und all jene, die zu seiner Burger-Behauptung zustimmend nickten, sind interessiert daran, die Armen auf Abstand zu halten. Das ist der entscheidende qualitative Unterschied.

Die Sollen-sie-doch-Burger-essen-Society lebt nicht so üppig wie die Sollen-sie-doch-Kuchen-essen-Gesellschaft seinerzeit, aber doch deutlich bequemer als viele andere. Sie essen nicht bei McDonald’s. Sie warten nicht monatelang auf Termine bei der Kassenärztin. Sie wohnen nicht in Zinskasernen. Sie „sparen“, indem sie sich nur drei Abendkleider kaufen statt zehn. Ob ihre Kinder am Skikurs teilnehmen können, ist bei ihnen kein Thema. Sie brauchen keine öffentlichen Ganztagsschulen, weil die Privatschulen, die sie sich für ihren Nachwuchs leisten, selbstverständlich Nachmittagsbetreuung anbieten. Sie putzen ihre Fenster nicht selber. Sie kennen keine bitterkalten Wohnungen, sondern allenfalls angenehm kühle Wintergärten. Sie sind eingeladen und laden ein, ihr soziales Leben leidet nicht unter einem zu knappen Budget. Und so weiter.

Die Privilegierten nennen ihre Privilegien freilich nicht Privilegien, sondern Lohn für Leistung.

Elfriede Hammerl

Man könnte meinen, sie wissen nicht, wie privilegiert sie sind, und reden deswegen unbedarft daher. Aber sie sind weder unbedarft noch ahnungslos. Es ist schlimmer. Sie wissen um ihre Privilegien und wollen sie sich erhalten. Als Privilegien. Privilegien, die alle haben, sind keine Privilegien mehr. Schon deswegen sagen sie: Es geht sich nicht aus. Das wäre wirtschaftlicher Wahnsinn. Wohin kommen wir denn, wenn jeder.

Sie warnen vor Gleichmacherei. Gleichmacherei ist nach ihrer Definition schädlich, schrecklich, Untergang. Stimmt ja: Die Privilegien würden untergehen. Aber Gleichmacherei könnte auch bedeuten: Schluss mit krasser Ungleichheit. Prompte MRT-Termine für alle. Zahnimplantate von der Gesundheitskasse. Genug Wohnraum für alle und leistbare Mieten.

Die Privilegierten nennen ihre Privilegien freilich nicht Privilegien, sondern Lohn für Leistung. Und, was soll ich

sagen: Ich kann das Geschwafel von der Leistung, die sich lohnen muss, einfach nicht mehr hören, solange die Privilegierten zu ihrem Nutzen definieren, was eine Leistung ist und was nicht und wie viel Lohn welche Leistung abwerfen muss.

Warum fallen mir jetzt Hietzinger und Döblinger Gattinnen beim Vormittags-Prosecco ein, junge Frauen, die erwerbstätig sein könnten, vielleicht sogar Vollzeit, während ihre Kinder in den umliegenden Klosterschulen geparkt sind, und die stattdessen ihre Energien in die Planung von Golfklub-Events stecken? Sie fallen mir ein, weil der Kanzler mit Sicherheit nicht an sie dachte, als er über Teilzeit arbeitende Frauen gelästert hat. Was in der eigenen Kaste als standesgemäßes Verhalten gilt, hat nichts mit dem zu tun, was anderen Kasten zugemutet oder zumindest dringend empfohlen wird. Die erwerbslose Charity-Lady ist keine arbeitslose Verkäuferin.