Elfriede Hammerl: Die Überflüssigen

Elfriede Hammerl: Die Überflüssigen

Elfriede Hammerl: Die Überflüssigen

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Sagt die Großmutter zum kleinen Mädchen: Iss deinen Spinat, damit du groß und stark wirst. Antwortet das kleine Mädchen: Ich will nicht groß und stark werden, sondern ein magersüchtiges Supermodel.

Ja, schlechter Witz, weil die moderne Oma eh weiß, dass groß und stark keine Qualifikationen sind, mit denen man heutzutage punktet. Groß und stark, das war einmal notwendig, als man sich seinen Lebensunterhalt mit körperlicher Arbeit verdienen musste. Jetzt zählen andere Skills.

Und zwar welche? Na, Wissen. Bildung. Ausbildung. Zumindest wird das ständig behauptet. Wieder ist eine neue Studie herausgekommen, von einem Harvard-Ökonomen, derzufolge nicht die Globalisierung schuld ist am immer größeren Wohlstandsgefälle in den Industrieländern. Was stattdessen der Grund dafür ist, lässt die Studie offen, aber Kommentatoren tippen einmal mehr auf die fortschreitende Automatisierung, die den Ungebildeten die Jobs wegnimmt.

Stimmt. Tut sie. Aber leider nimmt sie sie auch den (Aus-)Gebildeten weg. Gleich nach einem einschlägigen Kommentar zur Harvard-Studie und nach einem Interview mit einer Jungunternehmerin, die ebenfalls in die Kerbe Für-Analphabeten-habe-ich-keinen-Arbeitsplatz schlägt, lese ich einen Bericht über die Eröffnung eines Vier-Sterne-Hotels in Wien, in dem es keine Rezeption und demzufolge auch kein Rezeptionspersonal mehr gibt. Der Gast bucht online, zahlt online und bekommt als Zimmerschlüssel einen Zugangscode auf sein Smartphone. Basta.

Sie werden wegrationalisiert wie viele andere durchaus qualifizierte Arbeitskräfte.

Was das für diejenigen bedeutet, die auf eine solide Ausbildung im Hotelgewerbe gesetzt haben, im Glauben, damit hätten sie einen halbwegs sicheren Arbeitsplatz, ist schnell gesagt: Die haben sich halt geschnitten.

Sie werden wegrationalisiert wie viele andere durchaus qualifizierte Arbeitskräfte: Bankangestellte, VerkäuferInnen, Reisebürokaufleute, Schalterpersonal in Flughäfen – kurzum, Fachkräfte aller Art, für deren Fachkenntnisse das Unternehmen nicht mehr zahlen will.

Ausbildung schützt also keineswegs vor Jobverlust. Das sollte man einmal aussprechen, statt Personaleinsparungen stets nur mit mangelnder Qualifikation des eingesparten Personals zu begründen. Personaleinsparungen dienen der unternehmerischen Gewinnsteigerung, und die steigenden Gewinne, von denen immer weniger an Arbeitskräfte abgegeben werden muss, lassen die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgehen. So schaut’s aus.

Die Forderung, ArbeitnehmerInnen müssten sich halt auf lebenslanges (Um-)Lernen einstellen, ist so lange eine billige Ausrede, wie es weder zuverlässige längerfristige Arbeitsmarktprognosen noch die ernsthafte Absicht gibt, nicht auch das umgeschulte Personal im Handumdrehen einzusparen, wenn es der Profitmaximierung dient.

Zu meiner Schulzeit haben wir jedenfalls noch geglaubt, dass Bildung uns weiterhilft im Leben.

Daneben existiert freilich auch das Problem der Ungebildeten. Erschreckend viele SchulabgängerInnen können, heißt es, nicht rechnen, schreiben oder sinnerfassend lesen. Waren frühere Generationen lerneifriger, wissbegieriger?

Zu meiner Schulzeit haben wir jedenfalls noch geglaubt, dass Bildung uns weiterhilft im Leben. Ein A-Posten im öffentlichen Dienst schien uns zwar nicht sonderlich sexy, aber sicher war: Matura und Studium verschaffen gesellschaftliches Ansehen und bessere Bezahlung. Heute könnten Teenager den Eindruck gewinnen, dass es genügt, ein Foto seiner Genitalien ins Internet zu stellen, um was herzumachen, ja, berühmt zu werden.

Wir haben seinerzeit auch von (Star-)Ruhm geträumt, aber in unserer Vorstellung war er an besondere Leistungen geknüpft. Mittlerweile haben die Superstars, Supertalente, Topmodels was Inflationäres, sie punkten vor allem mit hysterischem Exhibitionismus. Wie sollen Jugendliche dabei auf die Idee kommen, dass gescheit zu sein was Erstrebenswertes wäre? Die Berufswünsche vieler Teenager schauen dementsprechend aus, sie halten Promi für eine Profession und die Absicht aufzufallen für das nötige Rüstzeug.

Wissen ist Macht, hat es früher einmal geheißen.

Ist ja auch nicht leicht, handfeste Berufswünsche zu entwickeln in einer Gesellschaft, die sich von handfesten Berufsbildern immer mehr verabschiedet.

(Auffallend übrigens die wachsende Zahl an Coaches, BeraterInnen und persönlichen Trainern unter den Freiberuflern. Eine merkwürdige Entwicklung: Zwar sind wir ganz auf uns selber gestellt, wenn es um alltägliche Dienstleistungen geht, niemand hilft uns mehr beim Einchecken oder so, aber gegen Honorar können wir lernen, wie wir Veränderungen annehmen und unsere mentalen Ressourcen mobilisieren beim Kampf mit dem Check-in-Automaten. Wenn das kein Trost ist.)

Wissen ist Macht, hat es früher einmal geheißen, deswegen sollten Kinder ihren Spinat auch nur essen, um groß und stark, nicht jedoch, um klug zu werden, denn allzu viele wissende Untertanen wären den Machthabern nicht recht gewesen. Und heute? Heute ist Google allwissend. Das scheint den Teenies – und nicht nur ihnen – bequem. Aber wie ist das mit der Macht, an wen haben wir die abgegeben?