Elfriede Hammerl: Weil ich ein Mädchen bin

Klaglos entbinden, aber Mitgefühl für den Männerschnupfen aufbringen – so gehört es sich. Oder?

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Neulich auf Twitter: Junge Frauen schildern einander, wie sie prämenstruell und menstruell auszucken. Sie übertreffen einander mit Schilderungen der launenhaften Ausbrüche, durch die sie ihre Umwelt und vor allem ihre Partner angeblich nerven. Jede möchte noch anstrengender und unberechenbarer sein als alle anderen. Ich lese es mit Befremden. Haben wir uns nicht immer dagegen gewehrt, als hormongebeutelte Zicken gesehen zu werden, vernunftresistent, wankelmütig und verantwortungslos? Wie sollen wir Führungsaufgaben für Frauen einfordern, wenn Frauen selber lauthals verkünden, dass sie alle vier Wochen zu Unguided Missiles werden?


Dann denke ich mir: Vielleicht geht es bei solchen Outings ja auch darum, die Dominanz der männlichen Physis infrage zu stellen. Einem derartigen Versuch könnte ich was abgewinnen, denn tatsächlich haben wir uns vielleicht zu sehr in die Vorstellung hineintheatern lassen, wir müssten die tafferen Männer sein, wenn wir, wie unsere deutschen Freundinnen sagen würden, bei den großen Jungs mitspielen wollen. Regelbeschwerden ignorieren, in der Schwangerschaft hackeln, ohne zu schnaufen, gleich nach der Entbindung straff und fit wieder auf dem Posten sein, das Klimakterium einfach wegatmen. Aber Mitgefühl aufbringen für den Männerschnupfen. So lauten die ungeschriebenen Leitlinien, denen wir uns mehr oder weniger unterwerfen.


Das sollten wir, oh ja, infrage stellen. Wir haben ein Recht auf Teilhabe und Mitbestimmung, nicht obwohl, sondern weil wir Frauen und damit die halbe Menschheit sind. Unser Ziel sollte  nicht sein, bei den großen Jungs mitspielen zu dürfen, sondern nach Regeln zu spielen, die wir gemeinsam gestalten, mit Rücksicht auf Frauen(körper) wie auf Männer(körper). Wie das gehen soll, darüber können wir diskutieren. Aber ich halte es für extrem problematisch, dabei in alte Zuschreibungen zu verfallen.Wenn wir anfangen,den weiblichen Zyklus zum Freibrief für schlechtes Benehmen zu erklären, dann landen wir in der Gesetzgebung von anno dazumal, die Frauen als ungezogene bzw. als zu erziehende Subspezies behandelte. Eine angebliche Bedachtnahme auf die „weibliche Natur“ ist ja die Wurzel unserer Diskriminierung.


Frauen wurden vor Mitsprache und Selbstbestimmung „bewahrt“, weil sie wegen ihrer physischen Beschaffenheit – aus der intellektuelle und soziale Defizite abgeleitet wurden – als minder befähigt galten. Deshalb: Vorsicht. Wer Rücksicht auf angeblich unkontrollierbare hormonbedingte Launen einfordert, muss aufpassen, dass sich die Rücksicht nicht
demnächst in Entmündigung äußert.


Ich schreibe das, weil ich den Eindruck habe, dass sich allenthalben so etwas wie eine Weil-ich-ein-Mädchen-bin-Koketterie breitmacht, die nicht nach gleichen, sondern nach speziellen Rechten ruft. Junge Frauen bestätigen augenzwinkernd verstaubte Vorurteile und glauben, damit dem Sexismus ein Schnippchen zu schlagen. Sie kämpfen nicht, sie diskutieren nicht, sie übernehmen spielerisch alte Definitionen von Weiblichkeit und fordern die angeblich damit verbundenen Privilegien ein.


„Keine Widerrede, Mann, weil ich ja sowieso gewinn, weil ich ein Mädchen bin“, sang Lucilectric in den 1990er-Jahren, und damals konnte man das als mutmachende Ansage tolerieren, wenngleich auch damals schon klar hätte sein sollen, dass Zuversicht allein Machtverhältnisse nicht ändert. Die Chancen, dass aus einer willkürlichen Behauptung Realität wird, haben sich seitdem nicht verbessert. Aber massive Angebote schon für kleine Mädchen, in illusionäre Prinzessinnenwelten abzutauchen. Die Mädchen- und Bubenabteilungen in den Konsumtempeln sind mittlerweile, wir wissen es, streng getrennte Territorien. Glitzer, Flitter, Funkel, rosa Rüschen, Schminkkoffer, magische Einhörner für die kleine Fee; Action-Heroes, Raumschiffe, Monster, Dinos, Laserschwerter für den kleinen Champion.


Ob der Markt damit geschlechtsspezifischen Bedürfnissen von Kindern entgegenkommt oder ob er sie erst erzeugt, ist nicht ganz klar, jedenfalls fahren die kleinen Mädels in großer Zahl auf den Glitzerflitterfunkel-Plunder ab, und wer wollte sie dafür schimpfen? Die rosarote Prinzessinnenwelt hat durchaus was Verführerisches. Sich jedoch auch postpubertär darin niederlassen zu wollen, ist riskant. Sagen wir es so: Das magische Einhorn hat einen begrenzten Wirkungskreis. Und kapriziöser Mädchentrotz nützt rein gar nichts gegen den Gender-Pay-Gap.


Wie wenig Glitzer und Flitter der Alltag für Frauen leider bereithält, hat sich ja gerade wieder gezeigt. Frauen haben während des Lockdowns in schlecht bezahlten Berufen das System erhalten, sie haben sich zwischen Homeoffice, Homeschooling, Homecooking und dem Putzen des vielstrapazierten Heims zerspragelt, der Anstieg der Arbeitslosigkeit durch Corona trifft sie jetzt zu 85 Prozent, und wenn es schlecht läuft, dann werden die Schulen demnächst wieder geschlossen, im Vertrauen darauf, dass es die Mama zu Hause schon richten wird. Und kein Schwein wird sich dafür Mamas PMS-Beschwerden interessieren.

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