Leitartikel

Das Comeback der FPÖ

Der Mittelstand ist verunsichert, Ängste vor Abstieg und Wohlstandsverlust spülen die Rechtspopulisten nach oben. Grenzzäune helfen dagegen wenig.

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Laute Fanfarenklänge im prachtvoll renovierten Parlament, ein würdiger Rahmen im wuchtigen Historischen Sitzungssaal. Dort zog Bundespräsident Alexander Van der Bellen alle Humorregister, mit lässig-heiterer Gelassenheit und dem Mantra „wir kriegen das hin“ Zuversicht zu verströmen. Dennoch machte sich seltsame Endzeitstimmung beim festlichen Staatsakt Antrittsrede breit – wegen der heimlichen zweiten Hauptperson der Zeremonie: FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Um ihn kreisten Van der Bellens Warnungen, die Nachbetrachtung dominierte die heikle Frage, ob er einen Wahlsieger Kickl zum Kanzler macht. 

Damit ist Comeback-Kid FPÖ dort zurück, wo sie in den 1990er-Jahren und 2015/2016 lag: im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Sie bildet erneut das Gravitationszentrum der Innenpolitik. Auch eine Methode, Rechtspopulisten aufzuwerten.

Wieder wird mit Angstlust ihr Aufstieg auf Platz eins in Umfragen beäugt, die rauschende Party für den blauen Sieg in Niederösterreich galt schon Wochen vor der Wahl als fix. Und der alte Satz von Schriftsteller Mark Twain „Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“ kann wieder zitiert werden. Spesenaffäre von Jörg Haider, Knittelfeld, BZÖ-Abspaltung, Ibiza-Skandal, Spesenaffäre von Heinz-Christian Strache, NS-Material und Finanzermittlungen bei der FPÖ Graz: Immer wieder sprengte sich die FPÖ selbst in die Luft und verlor Regierungsmacht und Wähler. Aber nur kurz. Keiner anderen Partei verzeiht die eigene Klientel derart rasch und vergisst die erkleckliche Sammlung von Postenschacher-Korruptionsaffären. Mittlerweile braucht die FPÖ nicht einmal einen demagogisch-schillernden Popstar wie Haider oder Strache, den die Fans mit heißen Herzen feiern. In der dritten Auflage des blauen Höhenflugs reicht Anti-Publikumsmagnet Kickl.  

Die Woge an Politikverdrossenheit spült die FPÖ nach oben. Sie muss dafür wenig bieten: Ausgefeilte Konzepte, wie sie auf Multi-Krisen reagieren würde, erwartet von einer Partei, die bei jedem Versuch des Mitregierens hochkant scheiterte, ohnehin niemand. 

Menschenschlangen vor Arztordinationen. Medikamentenmangel. Explodierende Mieten. Die Zahl der Beunruhigungsfaktoren steigt.

Ankrakeelen gegen „die da oben“ und „die Politik“, garniert mit Anti-Migrations-Parolen, genügt. Und wie seinerzeit SPÖ-ÖVP-Regierungen in den 1990er-Jahren und 2015/2016 findet Türkis-Grün kein Rezept dagegen. Immer lauter beklagt die Koalition von Kanzler Karl Nehammer und Vizekanzler Werner Kogler abwärts, wie ungerecht Wahlvolk und Medien urteilen, wie wenig sie Fantastilliarden an Krisenmaßnahmen zu würdigen wissen. Klingt wehleidig, Dankbarkeit war nie eine politische Kategorie, ist aber nicht ganz falsch: In der Tat ist die Regierung besser als ihr grottenschlechter Ruf. Sie hat von der Abschaffung der kalten Progression bis zum Klimaticket allerhand vorzuweisen. Auch das Krisenmanagement funktioniert leidlich, keine der prognostizierten Katastrophen wurde Wirklichkeit: Schulen blieben im Winter nicht kalt, Unternehmen wurde nicht das Gas abgedreht, zur vorhergesagten Pandemie-Massenarbeitslosigkeit kam es nie. Bloß: Das ändert wenig an der explosiven Grundstimmung, die von Sorge, Wut, Frustration  und Unsicherheit geprägt ist.

Auch noch so martialische Grenzzäune helfen dagegen wenig. Keine Frage, das Thema Asyl muss gelöst werden, am besten auf EU-Ebene. Nur: Die Sicherheits-Furcht wurzelt wesentlich tiefer. Sie besteht aus Abstiegssorgen, Ängsten vor Wohlstandsverlust, Ohnmachtsgefühlen, und dem beklemmenden Eindruck, um die eigene Zukunft betrogen zu werden. Eine gefährliche Mischung –  die nicht auf die Ränder der Gesellschaft beschränkt ist, sondern weit in den Mittelstand hineinreicht. 

Aus nachvollziehbaren Gründen: Menschenschlangen vor Arztordinationen. Engpässe bei Operationen. Medikamentenmangel in Apotheken. Inflation. Drückende Energierechnungen. Steigende Preise. Fehlende Lehrerinnen und Lehrer. Explodierende Mieten. Dünne weiße Schneestreifen auf grünen Bergen. Die Zahl der Beunruhigungsfaktoren steigt – und verstärkt das bange Gefühl, dass Österreichs Wirtschafts- und Wohlfahrtsmodell knirscht und knarzt.

Regierenden in Bund und Ländern wird dabei wenig Lösungskompetenz zugetraut. Auch aus der Erfahrung, dass Probleme eher zerredet als gelöst werden. Am Beispiel Kindergärten: Im fernen Jahr 2002 wurde das sogenannte EU-Barcelona-Ziel für genügend Betreuungsplätze fixiert. 20 Jahre und verbissene Ideologiedebatten später hat Österreich das Ziel immer noch nicht erreicht und hinkt international hinterher. Das ist nicht mehr nur eine Hürde für Eltern, sondern auch für alle Unternehmen, die händeringend Arbeitskräfte suchen. Sogar die seltene Allianz aus Industriellenvereinigung, Arbeiter- und Wirtschaftskammer drängt einhellig auf mehr und bessere Kinderbetreuung. Ohne nennenswerte Reaktion. Erst jetzt, in den Landtagswahlkämpfen, versprechen Niederösterreich, Kärnten und Salzburg Abhilfe. Noch Fragen, warum immer weitere Teile der Bevölkerung das Gefühl beschleicht, ihre (Alltags-)Sorgen werden wenig ernst genommen?

Die Liste derartiger Beispiele ist lang. Selbstredend hat die FPÖ für keine der Zukunftsherausforderungen taugliche Lösungen anzubieten. Aber sie gibt Unzufriedenen und Verunsicherten ein Ventil. Es sollte den Regierenden eine Warnung sein. Oder will sie dem Anstieg der FPÖ tatenlos zusehen?

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin