Eva Linsinger
Leitartikel

Eva Linsinger: Impfschaden

Die Stimmung kippt, der Bevölkerung reißt der Geduldsfaden. Daran ist das verstörende Corona-Missmanagement der Politik mitschuldig.

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Eine kolossale Portion Dreistigkeit. Fehlendes Unrechtsbewusstsein. Garniert mit praller Betonung der eigenen Wichtigkeit: Es ist eine gefährliche Mischung, mit der Bürgermeister quer durch Österreich mit nachgerade jämmerlichen Ausreden zu rechtfertigen versuchen, warum sie bei Corona-Impfungen die Ellbogen ausfahren und sich ungeniert vordrängeln. Sie seien ständig mit Pflegeheimbewohnern in Kontakt, sagen die Bürgermeister – und staunende Zuhörer fragen sich: Echt jetzt? Ständig in Kontakt? Wie geht das – in einer Zeit, in der Besuche in Pflegeheimen strikt limitiert sind auf ein einziges Familienmitglied nicht öfter als ein Mal pro Woche? Und: Wie in aller Welt kommen Ortskaiser auf die Idee, dass Regelungen und Reihungen für andere gelten mögen, für sie selbst aber nicht?

Keine Frage: Der Impfneid, die Corona-Wortkreation der Woche, kann kleinkarierte Züge annehmen, gerade in Österreich, das reichlich Erfahrung mit hysterischen Neiddebatten hat. Bloß: Die gehäuften Berichte über Lokalpolitiker, die ihr Amt ausnützen, um sich Vorteile zu verschaffen, entfalten explosive Wirkung, weil sie mitten in eine
ohnehin heikle Pandemie-Phase platzen.

Die Serie von Lockdowns zehrt zusehends an den Nerven, das Verständnis für Beschränkungen und Ausnahmeregeln schwindet, die Bereitschaft, sich an Regeln zu halten, ebenso. Kurz: Immer größeren Teilen der Bevölkerung droht der Geduldsfaden zu reißen, beileibe nicht nur den Tausenden Hobbyvirologen, notorischen Besserwissern und Verschwörungsanfälligen, die mit Aluhüten als Trend-Kopfbedeckung  in Parallelwelten abtauchen. Die Stimmung kippt, mit jedem Bericht (oder Gerücht) über manche, die gleicher sind als andere, ein Stück mehr.

Diese Gemengelage ist brandgefährlich – und das Pleiten-Pech-und-Pannen-Corona-Missmanagement der Politik trägt gehörige Mitschuld daran. Lockdown 1 im Frühjahr funktionierte weitgehend nahtlos. Jetzt, in Lockdown 3, wird unkoordiniert dahingewurschtelt. Es regiert das Chaos. Beispiele gefällig? Mitten im angeblichen Lockdown können ungeniert Skilehrerausbildungen für Briten, Deutsche und Co stattfinden – und sorgen für immer neue Corona-Cluster. Offenbar sind problemlos Quartiere für Skiurlaube zu finden, weitgehend unbehelligt von Kontrollen.

Einreise- und Quarantänebestimmungen kommen über das Stadium unverbindlicher Empfehlungen nicht hinaus. Manche Bundesländer sind mit dem Impfmanagement heillos überfordert, produzieren endlose Warteschleifen bei der Anmeldung und ein Wirrwarr an unterschiedlichen Kriterien, wer wann geimpft wird. Impfdrängler-Bürgermeister kommen mit halbherzig-trotzigen Entschuldigungen davon, mehr Konsequenzen von ihren Parteichefs drohen ihnen nicht. Die Corona-Ampel, das viel gepriesene Instrument zur regionalen Steuerung, wurde in Frühpension geschickt, funktioniert nicht mehr und blinkt durchgehend rot. Warum welche Unternehmen wie viel an Krisenförderungen erhalten, bleibt Geheimnis. Masken werden versprochen, kommen aber nicht oder zeitverzögert an. Und die Zahl der Neuinfektionen und Todesfälle verharrt auf erschreckend hohem Niveau.

Die Liste der Beispiele wäre beliebig fortsetzbar. Und trotzdem spricht die Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz abwärts bevorzugt im Superlativ und proklamiert, dass Österreich am besten, schnellsten, tollsten durch die Krise kommt. Das stimmt schon lange nicht mehr und klingt wie blanker Hohn. Daran ändern auch Impf-shows, Marketingsprech, PR-Tricks und die üblichen Message-Control-Mätzchen nichts.

Als geschickter Stimmungswellenreiter spürt Kanzler Sebastian Kurz, dass das Unbehagen steigt, und sucht, wie so oft, einen Außenfeind als Blitzableiter. Diesmal soll die EU-Arzneimittelbehörde am Impfschlamassel schuld sein. Klingt billig und bedingt glaubwürdig – denn als frühere Schuldige für Corona-Malheurs aller Art mussten schon der Balkan, die Wiener oder das Chinavirus herhalten.

Alle Ablenkungsmanöver helfen nicht: Letztverantwortlich für das Corona-Management ist und bleibt der Regierungschef. Kurz muss jetzt beweisen, ob er bei Gegenwind als oberster Krisenmanager taugt. Nachvollziehbare Regeln, ehrliche Fehlerkultur und transparente Impfreihenfolgen würden ziemlich sicher helfen. Parteipolitisches Tricksen und untergriffige Keppeleien zwischen Bund, Ländern und Parteien ziemlich genauso sicher nicht. Falsche Versprechen à la „Licht am Ende des Tunnels“ genauso wenig.

Denn wahr ist: Die Corona-Krise wird noch dauern. Inklusive aller wirtschaftlichen Folgen: Unternehmenspleiten, Langzeitarbeitslosigkeit, soziale Verwerfungen. Höchste Zeit, die Stimmung zu drehen.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin