Kolumne

Fakenews aus Nahost: Vom Schüren des Hasses

Wie Falschmeldungen über Israel und Gaza Polarisierung und Ressentiment nähren.

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Die „New York Times“ schrieb über den Konflikt zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas: „Die Flut an Online-Propaganda und Desinformation ist nach Angaben von Regierungsbeamt:innen und unabhängig Forschenden größer als alles zuvor Gesehene – ein Spiegelbild der geopolitischen Spaltung der Welt.“ Mein Eindruck ist, dass selbst Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine nicht so viele Falschmeldungen hervorbrachte, wie sie nun nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel und die darauffolgende israelische Militäroperation zu beobachten sind. Es sagt auch viel über uns (als Gesellschaft oder als Einzelne) aus, welche Falschmeldungen weit reisen. Dies verrät, woran Menschen glauben wollen und wen sie als Feindbild sehen. Hier drei Muster, die sich in vielen Falschmeldungen widerspiegeln (Achtung, manche Beispiele beinhalten schreckliche Kriegsbilder):

Viele Falschmeldungen verwenden schreckliche Bilder von Kindern, da mit dem Leid von Kindern starke Emotionen geschürt werden können. Manches davon ist komplett erfunden.

1. Angebliche „crisis actors“: wie reales Leid heruntergespielt wird

Nach Terroranschlägen, Amokläufen oder Militäreinsätzen verbreitet sich oft die Behauptung: Das Leid wäre nicht real, sondern Schauspieler:innen würden so tun, als wären sie Opfer. Auf X (vormals: Twitter) teilten zuletzt einige Accounts ein Video, das eine Person in einem weißen Leichentuch zeigt, die auf ihrem Handy herumdrückt. Dabei wurde unterstellt, die Hamas würde Tote im Gazastreifen nur inszenieren, und das Video wäre ein Beweis dafür. Eine Falschmeldung: Das Video stammt aus Thailand und zeigt in Wirklichkeit ein Kind in einem Halloween-Kostüm. Ähnliche Vorwürfe gab es gegen Israel: Ein Video zeigt Dreharbeiten, man sieht einen Buben am Boden liegen, neben seinem Kopf eine rote Flüssigkeit. Behauptet wurde, die Israelis würden die Tötung von Kindern durch die Hamas erfinden. Tatsächlich handelt es sich um eine alte Aufnahme von Dreharbeiten zu einem propalästinensischen Film. Derartige Falschmeldungen, wonach Todesfälle fingiert würden, sollen wohl die Glaubwürdigkeit der Gegenseite diskreditieren. Dabei wird reales Leid als „Schauspiel“ abgetan: Denn es ist wahr, dass Hamas-Terroristen Kinder ermordet und entführt haben. Und es ist auch wahr, dass bei den militärischen Angriffen Israels auf den Gazastreifen Zivilist:innen, darunter viele Kinder, sterben. Mit solchen „crisis actor“-Behauptungen wird die Empathie für reales Leid erschwert, weil damit suggeriert wird, dass Meldungen über Entführte oder Getötete nicht ernst zu nehmen seien.

2. Kinder als Opfer des Krieges – und als Opfer von Desinformation

Viele Falschmeldungen verwenden schreckliche Bilder von Kindern, da mit dem Leid von Kindern starke Emotionen geschürt werden können. Manches davon ist komplett erfunden. Ein Bild zeigt ein Baby inmitten von Trümmern, der Blick wirkt traumatisiert. Das Bild dürfte mit künstlicher Intelligenz erstellt worden sein. Noch öfter werden reale Aufnahmen in einen falschen Kontext gesetzt: Ein herzzerreißendes Video zeigt einen Buben, der den Tod seiner zwei Schwestern beweint. Doch dieser Bub stammt nicht aus dem Gazastreifen. Das Video ist neun Jahre alt und aus Syrien, der Pressefotograf Hosam Katan hat es aufgenommen. Die „New York Times“ zitierte den Fotografen: „Vielleicht versuchen einige Leute, so mehr Empathie für Gaza zu wecken, aber gleichzeitig werden solche gefälschten Videos oder Fotos den gegenteiligen Effekt haben und die Glaubwürdigkeit der eigentlich wichtigen Geschichte untergraben.“ Die Zeitung schreibt in diesem Text auch: Manche aus dem Kontext gerissene Aufnahmen können eine Form der Reviktimisierung darstellen, weil Opfer wiederholt (wenn auch in irreführender Weise) mit diesen schrecklichen Bildern vorgeführt werden. Auch bei proisraelischen Accounts gibt es Fakes mit Kindern: Als die Hamas Israel angriff, zirkulierte ein Video, bei dem man Kleinkinder in einem Käfig sah. Das Video hat nichts mit dem aktuellen Konflikt zu tun, es wurde schon früher auf TikTok hochgeladen. Kinder sind allzu oft Opfer von Terror und Krieg – und manche von ihnen werden in weiterer Folge auch noch für Desinformation instrumentalisiert.

3. Wut schüren: antisemitische und antimuslimische Falschmeldungen

Der aktuelle Nahost-Konflikt wird dafür genutzt, sowohl antisemitische als auch antimuslimische Feindbilder zu bestärken. So postet ein Account auf X ein Schwarz-Weiß-Foto, das Leichen aufgereiht am Boden zeigt – und behauptet, Israelis wären daran schuld. Tatsächlich handelt es sich um ein Foto des deutschen Konzentrationslagers Mittelbau-Dora. Das bedeutet: Ausgerechnet ein historisches Dokument, das die Gräueltaten der Nazis an Jüd:innen belegt, wird nun genutzt, um antisemitische Gefühle zu bestärken. Auf Facebook und X kursiert derweil ein Video, das suggeriert, man würde Hamas-Unterstützer in Schweden sehen, die auf einem Polizeibus herumspringen. Mit solchen Postings wird Stimmung gegen Palästinenser:innen und Migrant:innen gemacht. Doch das Bildmaterial ist veraltet: Es zeigt zwar Schweden, hat aber nichts mit dem aktuellen Nahost-Konflikt zu tun. Die „Allahu-Akbar-Rufe“ wurden nachträglich hinzugefügt, berichtet die Redaktion Correctiv.org.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.