Franz Schellhorn
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Franz Schellhorn: Augen zu und durch

Österreich reagiert auf die vielen Herausforderungen unserer Zeit mit einem bekannten Muster: Ausblenden und verharmlosen. Das wird nicht gut gehen.

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Franz Schellhorn

Der Direktor des Thinktanks Agenda Austria schreibt regelmäßig Gastkommentare für profil.

Nichts beherrschen die Bürgerinnen und Bürger  dieses Landes so sehr, wie sich selbst etwas vorzumachen. Während Finnland und Schweden den sicherheitspolitischen Weckruf gehört haben, lässt sich Österreich nicht um seinen Schlaf bringen. Sollten nicht auch wir unsere Neutralität überdenken und einen NATO-Beitritt überlegen? Ach wo! Wir sind (angeblich) sehr freundliche Zeitgenossen, hervorragende Gastgeber und begnadete Kongressveranstalter. Zudem sind wir ja nicht nur neutral, sondern auch weitgehend unbewaffnet. Wer will einem derart harmlosen Land schon etwas tun? Nun weiß zwar schon jeder Teenager, dass die Wehrlosen die ersten Opfer jedweder Aggression sind, aber deren Eltern halten die sicherheitspolitische Trittbrettfahrerei noch immer für eine Tugend. Während die Finnen und Schweden die Zeichen der Zeit erkannt haben. 

Den Kopf aus dem Sand zu ziehen und den vielen großen Herausforderungen direkt ins Auge zu blicken, wäre vermutlich ein guter Anfang. Wir diskutieren seit Jahrzehnten, dass den Menschen in diesem Land zu wenig Geld von ihrer Arbeit bleibt. Wer beispielsweise seine eigenen vier Wände für 600 Euro ausmalen lässt, muss knapp 1062 Euro an Arbeitsleistung erwirtschaften, um die Rechnung bezahlen zu können. Sofern sich noch irgendwo ein Maler finden lässt, bleiben diesem netto 268 Euro übrig. Der Staat kassiert die Differenz von 794 Euro. Niemand soll sich wundern, dass der Arbeitseifer vieler Menschen ein überschaubarer ist.

Statt diese hohe Besteuerung des Faktors Arbeit zu thematisieren, machen sich Arbeitnehmervertreter lieber über den Mitarbeitermangel in vielen Betrieben lustig. Müssen sie halt mehr zahlen, die geizigen Unternehmer! Stimmt, nur bekommt der Staat davon wieder mehr als die Beschäftigten.

Die Finnen und die Schweden haben die Zeichen der Zeit erkannt.

Selbst jenen, die ihre Arbeit verloren haben, bietet der Staat keinen Anreiz, mehr zu arbeiten. So dürfen Arbeitslose bis zur Geringfügigkeit von 485 Euro im Monat dazuverdienen. Brutto für netto. Dagegen gibt es nichts einzuwenden, zumal Arbeitslose mit ihrer geringfügigen Beschäftigung Kontakt zur Arbeitswelt halten. Wer rechnen kann, wird sich aber dreimal überlegen, überhaupt noch eine Vollzeitstelle anzunehmen. So müsste ein arbeitslos gewordener Durchschnittsverdiener mit 3000 Euro brutto im Monat 28 Stunden pro Woche arbeiten, um finanziell besser auszusteigen als mit dem Arbeitslosengeld und dem geringfügigen Einkommen. Bei Niedrigverdienern mit 1500 Euro brutto sind es 38 Stunden in der Woche. 

Statt allen Arbeitnehmern, die sich trotz niedriger Einkommen tagtäglich auf den Weg zur Arbeit machen, einen Orden zu verleihen, wird intensiv über eine Anhebung des Arbeitslosengeldes diskutiert. Das kann man natürlich machen. Aber man darf nicht erwarten, dass viele Arbeitssuchende rascher eine Stelle annehmen. Stattdessen könnte sich die heimische Regierung an Schweden oder Dänemark orientieren, die ein höheres, aber mit der Zeit absinkendes Arbeitslosengeld eingeführt haben. Die Arbeitssuchenden stehen zudem unter protestantischem Druck, sich rasch eine neue Stelle zu suchen: Das Arbeitslosengeld ist zeitlich befristet, nach 24 Monaten gibt es nur noch die Sozialhilfe. 

Im heimischen Arbeitsministerium wird derzeit ebenfalls an einem degressiven Arbeitslosengeld getüftelt. Herauskommen dürfte eine alpine Variante des skandinavischen Vorbilds: Das Arbeitslosengeld soll zu Beginn höher sein als bisher, aber maximal auf das aktuelle Niveau absinken. Anders als in Schweden und Dänemark ist die Auszahlung zeitlich auch nicht befristet, wird im Extremfall also bis zur Pensionierung gewährt. Anders ausgedrückt: Die österreichische Bundesregierung hat die negativen Arbeitsanreize erkannt – und verstärkt sie noch erheblich. So etwas nennt man dann wohl eine paradoxe Intervention. 

Paradox ist die Reaktion der Bevölkerung auf die enormen Preisanstiege. Einer aktuellen Umfrage des Instituts für Demoskopie & Datenanalyse zufolge sind 89 Prozent der Befragten dafür, dass der Staat den Anstieg der Energiepreise begrenzt, also Preisobergrenzen einzieht. Am besten finden das FPÖ-Wähler mit 92 Prozent Zustimmung, am „wenigsten begeistert“ sind NEOS-Anhänger mit 83 Prozent. Leider wird damit die hinter den explodierenden Preisen stehende Knappheit nicht gelöst. Sondern verschärft.

Wie wäre es damit, die Wettbewerbssituation am heimischen Energiemarkt zu diskutieren? Oder zu hinterfragen, ob es wirklich sinnvoll ist, dass der Strompreis günstig produzierender Wasserkraftwerke am teuersten Gaskraftwerk hängt?  

Zu kompliziert. Österreich bevorzugt die einfachen Lösungen. Während andere Länder fieberhaft nach alternativen Gaslieferanten suchen, lässt sich die heimische Bundesregierung nicht aus der Ruhe bringen. Nur keine Eile, die Russen werden uns schon beliefern. Wir sind schließlich ein herziges Land. Gastfreundschaftlich, neutral und weitgehend unbewaffnet. Was soll da schon schiefgehen?