Franziska Tschinderle

Warum Rechtsextreme die Taliban bewundern

Ist es widersprüchlich, dass die Neue Rechte gegen Muslime wettert, aber manche ihrer Anhänger den Taliban zujubeln? Ganz und gar nicht.

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Via Messaging-Dienst Telegram den Monologen von Martin Sellner zu lauschen, ist nur bedingt zur Unterhaltung zu empfehlen. Doch es kann sehr erhellend sein, wenn man in die Gedankenwelt der Rechtsextremen eintauchen möchte. Sellner ist der Posterboy der Identitären Bewegung (IB) in Österreich und hat sich in seiner Jugend im Umfeld des verurteilten Neonazis Gottfried Küssel bewegt. Jetzt will er diese „pubertäre Phase“, wie er sagt, hinter sich gelassen haben und bezeichnet sich als einen patriotischen Aktivisten der Neuen Rechten.

Derzeit läuft es weniger gut für Sellner. Seit vergangenem Sommer sind seine Profile in sozialen Netzwerken gesperrt. Twitter, YouTube, Soundcloud – alles weg. Der Grund? Twitter wirft den Identitären vor, „Terrorismus und Gewalt“ zu verherrlichen. Der deutsche Verfassungsschutz bezeichnet sie als „geistige Brandstifter“, die die Gleichheit der Menschen infrage stellen. Im Februar wurde die IB in Frankreich verboten, hierzulande sind ihre Symbole nicht mehr zugelassen.

Auf Telegram hingegen ist Sellner höchst aktiv. Nachdem der Pressesprecher der Taliban der „Kronen Zeitung“ ein Interview gab, kommentierte Sellner am 30. August: „Seine Ansichten wirken 10mal vernünftiger als das, was Politiker bei uns über Migration und Asyl labern.“ Der Grund? Die Taliban würden „kriminelle Afghanen“ per Abschiebungen zurücknehmen.

Ein Gründungsmitglied der Identitären äußerte sich unlängst auf Twitter wie folgt zum Aufstieg der Taliban: „Dragqueens, Homoparaden und Menschenrechtsideologie haben dort Sendepause. Wird Zeit, dass auch Europa sich aus seinem Zustand als amerikanischer [sic!] Kolonie befreit!“

Er ist nicht der Einzige, der sich freut. Nick Fuentes, ein rechtsextremer YouTuber aus den USA, schreibt auf Telegram: „Die Taliban werden Abtreibung, Impfungen und die Homo- Ehe verbieten. Vielleicht haben wir 20 Jahre lang auf der falschen Seite gekämpft.“ Es gibt noch weitere Wortmeldungen von ihm, die es in die „New York Times“ geschafft haben: „Die Taliban sind eine konservative, religiöse Macht. Die USA sind liberal und gottlos. Die Niederlage der US-Regierung in Afghanistan ist eine positive Entwicklung.“ Tucker Carlson, ein Fox-News-Moderator, den Viktor Orbán kürzlich nach Budapest einlud, behauptete, die USA hätten den Afghanen Gender-Kurse auferlegt, etwas, das die Bevölkerung ganz und gar nicht wollte. „Sie hassen ihre eigene Männlichkeit nicht. Sie denken nicht, dass das toxisch ist. Sie mögen das Patriarchat. Und einige ihrer Frauen auch.“ Jetzt, so Carlson, bekämen sie all das zurück. Mit den Taliban.

Rechtsextreme, die radikalen Islamisten zujubeln? Oder sich hämisch darüber freuen, dass sie jetzt an der Macht sind? Moment. Wollten die nicht eben noch die „Islamisierung des Abendlandes“ bekämpfen? Auf Martin Sellners Telegram-Kanal kursiert eine Petition gegen den Bau einer „Mega-Moschee“ mit „Riesenkuppel“ in Vöcklabruck und Fotos von einem acht Meter großen Holzkreuz, das anonyme Täter aus Protest dorthin gestellt haben. Wie passt so etwas mit der Taliban-Verherrlichung in manchen Kreisen zusammen? 

Das ambivalente Verhältnis lässt sich erklären und hat sogar einen Namen: White Sharia – Weiße Scharia. 

Der Begriff stammt aus den USA, genauer gesagt aus den Untiefen rechtsextremer Blogs, wo weiße Männer den Untergang des Patriarchats beklagen. (Interessierte Nachfrage: Ist es wirklich schon weg?) Eine „white sharia“, so das Argument, könne aus den von Liberalismus und Feminismus verweichlichten Männern wieder echte Kerle machten. Es ist der Traum vom prämodernen Traditionalismus, demgemäß der Vater das Oberhaupt der Familie ist und die Frau möglichst viele Kinder zeugt.

Fehlt nur noch eine Frau, die sich mit diesem Weltbild anfreunden kann. Auch die gibt es: Eine hohe Funktionärin des „Rings Freiheitlicher Jugend“ (RFJ), einer Vorfeldorganisation der FPÖ, feiert auf ihrem Instagram-Profil den Siegeszug der Taliban als einen „Krieg der Befreiung“. Screenshots davon kursierten kürzlich auf Twitter. „Die westliche Propaganda stellt sie [Anm. die Taliban] als extremistisch dar und verunglimpft sie aber sie kämpfen gegen den Imperialismus, für die eigene Souveränität, Freiheit und Integrität“, schreibt sie. Und: „Die elenden Spielfiguren der Nato haben dort [Anm. Afghanistan] nichts mehr zu suchen.“ 

Langsam erscheint die Wertegemeinschaft aus Radikal-Islamisten und Rechtsextremen aus Europa und den USA logisch. Antisemitismus, Frauenhass und ein gemeinsames Feindbild: der liberale Westen.

Womit wir wieder bei Sellner wären. „Ich bin gegen diese interventionistischen, globalistischen Kriege der linksliberalen Globohomo-Eliten, die uns ihren Wahnsinn einimpfen“, sagt er in einer Aufnahme auf Telegram, fügt aber einschränkend hinzu: „Ich bin kein Taliban-Fanboy.“

Die „white sharia“ finde er übrigens lächerlich, das sei ein Internet-Gag, den niemand im rechten Lager so wirklich ernst nehme. 

Wer weiß. Unter Sellners Posting schreibt ein User: „Eine Terrororganisation hat bessere Lösungen zur Migration, als der ach so zivilisierte Westen. Kranke Welt.“

Kranke Welt. 

 

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.