Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Deutschlands Dominanz-Dilemma

Deutschlands Dominanz-Dilemma

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Es sind inzwischen nicht mehr nur die Griechen, die das Bild des hässlichen Deutschen zeichnen. Nicht nur sie munkeln von einem „Vierten Reich“. Auch im übrigen Europa wird die aktuelle deutsche EU-Politik vielfach als germanischer Imperialismus interpretiert.

Die anschwellende Germanophobie mag ungerecht und unangemessen sein. Gänzlich unverständlich aber ist sie auch wiederum nicht. Geschichtlich gewachsenes Misstrauen verschwindet so schnell nicht.
Es werden historische Parallelen gezogen. So etwa in einem Leitartikel der „Neuen Zürcher Zeitung“, der kürzlich mit der Überschrift „Die neue deutsche Frage“ einen Blick in die Vergangenheit wirft: Der deutschen Einigung 1870 folgte eine wirtschaftlich schwierige Zeit. Dann, ab 1895, ging es aber steil bergauf. Innerhalb von knapp 20 Jahren verdoppelt sich die Industrieproduktion. Dieses erste deutsche Wirtschaftswunder ging mit einer auftrumpfenden Außenpolitik einher, die im Anspruch auf einen Platz an der Sonne gipfelte. Was dies in den darauffolgenden dreißig Jahren an Furchtbarem brachte, ist nur allzu bekannt.

Da fallen Ähnlichkeiten zu Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit auf, meint die Schweizer Tageszeitung: Nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 folgte ebenfalls eine ökonomisch und politisch krisenhafte Entwicklung. „Unterdessen sind aber die anscheinend unvermeidbaren Anlaufschwierigkeiten des ‚nation building‘ überwunden.“ Die Wirtschaft prosperiert. „Man hat seinen Sonnenplatz zurückerobert.“

Da höre aber die Parallele auf. Dass dieser wieder erreichte „Sonnenplatz“ Ausgangspunkt für deutsche Großmachtambitionen wäre, glaubt das Züricher Blatt nicht. Ganz im Gegenteil. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung wünsche sich „vielmehr für ihr Land eine Rolle als große Schweiz im Herrgottswinkel der Weltpolitik“.

Diese Diagnose deckt sich auch mit der Analyse von Christoph Schönberger. Der Rechtsprofessor an der Uni Kons­tanz stellt im Intellektuellenblatt „Merkur“ in einem viel diskutierten Artikel unter dem Titel „Hegemon wider Willen“ fest: Der mit Abstand größte, bevölkerungsstärkste und wirtschaftskräftigste Mitgliedsstaat der EU werde „unausweichlich“ in die Führungsrolle gedrängt, sei aber nicht bereit, diese ernsthaft wahrzunehmen. Ganz im Gegenteil: Deutschlands immer zentraler werdende Stellung in Europa schlage sich im Land in einer „bemerkenswerten Selbstprovinzialisierung“ nieder.

Tatsächlich kann man die von Berlin forcierte Austeritätspolitik, die für die EU-Südstaaten so desaströse Auswirkungen hat, wohl kaum auf imperiale Gelüste zurückführen. Viel eher drückt diese Politik das Verfolgen unmittelbarer und bornierter nationaler ökonomischer Interessen aus. Da steckt keine europäische Strategie dahinter.

Eine erfolgreiche Hegemonie sieht anders aus. Wie eine solche gestaltet werden kann, hat Washington nach 1945 gezeigt: Im Widerspruch zu ihren kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen haben die USA – nicht zuletzt mittels Marshallplan – das darniederliegende Europa wieder aufgepäppelt, sich so die eigene Konkurrenz herangezüchtet, aber gleichzeitig für einen großen Markt für Produkte made in USA und für jahrzehntelange amerikanische Vorherrschaft und europäische Loyalität gesorgt. Wäre die US-Nachkriegspolitik gegenüber Europa nicht ein Vorbild für die deutsche Politik gegenüber den notleidenden EU-Staaten?

Es zeigt sich ein Dilemma – auf das Christoph Schönberger hinweist: In Bünden, in denen das Zentrum stark und relativ eigenständig von den Teilstaaten agieren kann, entsteht keine Hegemonialmacht: So dominiert in den USA New York genauso wenig wie irgendein Kanton in der Schweiz. Aber bei loseren Zusammenschlüssen braucht es – so zeigt die Geschichte – eine dominierende Macht, die im Interesse des Ganzen die Führung übernimmt. „So stach Athen im zweiten Attischen Seebund der Antike hervor, hatte die Provinz Holland eine besondere Stellung innerhalb der neuzeitlichen Republik der Vereinigten Niederlande und gab es schließlich die Hegemonie Preußens in Deutschland bis hinein in das 20. Jahrhundert“, schreibt Schönberger. In der EU aber, bei der bis dato der Rat der Regierungschefs und nicht die Brüsseler Kommission das große Sagen habe, sei ein Hegemon absolut vonnöten. Und da böten sich, ihrer objektiven Stärke wegen, nur die Deutschen an – die sich aber verweigern.

Was ist der Ausweg? Deutschland scheint auf absehbare Zeit nicht willens und auch nicht in der Lage zu sein, den amerikanischen Weg der Nachkriegszeit zu beschreiten und sich zu einem benevolenten Hegemon zu mausern. Das wissen die Politiker in Berlin: Deswegen propagieren sie nun den Weg zu einem echten und starken Bundesstaat Europa.
Jene aber in der EU, die sich heute über die Dominanz der Deutschen beklagen, mögen Angela Merkel und Co beim Wort nehmen, wenn die für eine beschleunigte politische Integration eintreten. In den Vereinigten Staaten von Europa gäbe es garantiert keinen deutschen Hegemon. Das müsste vor allem den Franzosen klar werden, die sich bisher noch bei jedem Vorschlag von Souveränitätstransfers an Brüssel querlegten.

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Georg Hoffmann-Ostenhof