Georg Hoffmann-Ostenhof: Die Kunst des Doppelpasses

Georg Hoffmann-Ostenhof: Die Kunst des Doppelpasses

Es ist an der Zeit, dass auch der österreichische Gesetzgeber der nationalen Monogamie ade sagt.

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Da wollte Karin Kneissl kein Missverständnis aufkommen lassen: Die Austrotürken dürfen nicht.

Österreicher in Großbritannien können nach dem Brexit einen britischen Pass beantragen, ohne ihren österreichischen zu verlieren, verkündete die Außenministerin. Südtiroler deutscher oder ladinischer Sprache sind eingeladen, die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen, ohne ihre italienische zurücklegen zu müssen. Auch Überlebenden des Holocaust und deren Nachfahren soll nun die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft offenstehen.

Die türkischstämmigen Österreicher dürfen keine zwei Pässe haben, betont Kneissl dezidiert. Die von der österreichischen Regierung verkündeten Ausnahmen vom prinzipiellen Verbot der Doppelstaatsbürgerschaft haben ganz unterschiedliche Hintergründe.

Den Österreichern in England soll damit pragmatisch geholfen werden, auch nach dem Brexit weiter wie bisher hier leben und arbeiten zu können.

Den türkischstämmigen Österreichern wird aber nicht nur eine ähnliche Regelung verwehrt, sie wurden in den vergangenen Monaten geradezu in ihrer Existenz bedroht.

Nichts gegen italienische Bürger mit österreichischem Pass. Aber das Angebot an die Südtiroler scheint ideologisch motiviert zu sein: Ist es der Regierung in Wien ein Dorn im Auge, dass in dieser Region Deutschsprachige, Ladiner und Italiener im italienischen Staatsverband inzwischen friedlich zusammenleben? Wird da – wie man früher sagte: „revanchistisch“ – gezündelt?

Der Doppelpass für Opfer des Nationalsozialismus wiederum ist als eine Art später Wiedergutmachung gedacht.

Den türkischstämmigen Österreichern wird aber nicht nur eine ähnliche Regelung verwehrt, sie wurden in den vergangenen Monaten geradezu in ihrer Existenz bedroht. Zehntausende Verfahren strengte das Innenministerium an, um jenen, die ihren türkischen Pass bei der Einbürgerung behalten hatten – was bisher mehr oder weniger stillschweigend toleriert wurde – ihre österreichische Staatsbürgerschaft abzunehmen. Als dieser Kampagne vom Verfassungsgerichtshof Einhalt geboten wurde, verkündete Vizekanzler Heinz-Christian Strache, man werde von nun an eingewanderte Türken überhaupt nicht mehr einbürgern. Doppelte Staatsbürgerschaft sei bei uns eben verboten. Das Gesetz müsse durchgesetzt werden.

Muss es nicht. Im Gegenteil. Dieses Gesetz sollte besser heute als morgen abgeschafft werden.

Das haben immer mehr Staaten erkannt. Was noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Seltenheit war, ist jetzt geradezu zur Norm geworden. Zwei Drittel der Länder weltweit und 18 der 28 EU-Mitglieder erlauben inzwischen ihren Bürgern zwei, wenn nicht sogar mehrere Pässe. Die Gründe für diese Entwicklung liegen auf der Hand. Die Menschen sind mobil geworden, Migration ist ein Massenphänomen. Leben und arbeiten in „fremden“ Ländern üblich.

Schließlich hat die Frage der Loyalität gegenüber dem Staat einen Wandel durchgemacht.

Die Emanzipation hat auch zu diesem Trend beigetragen. Solange die Frau bei der Heirat automatisch die Staatsbürgerschaft des Mannes annehmen musste, was für die meisten Länder bis in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts galt, war die Nationalität des Nachwuchses von „Mischehen“ eindeutig festgelegt. Jetzt, da diese Regelung fast nirgendwo mehr gilt, befindet sich selbst in Ländern, wo Doppelstaatsbürgerschaft verboten ist, diese auf dem Vormarsch. Kinder von binationalen Paaren dürfen zwei Pässe haben – auch in Österreich. Das Regime der exklusiven Staatsangehörigkeit ist durch die vielen Ausnahmen völlig ausgehöhlt.

Schließlich hat die Frage der Loyalität gegenüber dem Staat einen Wandel durchgemacht. Wenn Krieg zwischen Ländern nicht ungewöhnlich ist, hat die „Treue“ der Bürger zu ihrem Staat eine reale Bedeutung. In unserer Zeit, die auch nicht friedlich ist, in der Gewalt aber meist innerhalb der Länder und kaum zwischen ihnen auftritt, muss nicht mehr befürchtet werden, dass Doppelstaatsbürgerschaften destabilisierend wirken. Die nationale Loyalität wird mehr und mehr zu einer bloß sentimentalen Kategorie.

Idee einer einzigen Identität sei im 21. Jahrhundert eine rückwärtsgewandte und gefährliche Illusion.

Und was ist mit den Türken, die in Wien für Erdoğan auf die Straße gehen? Dürfen die das überhaupt? Zunächst: So wenig das gefallen mag – in der Demokratie ist das Demonstrationsrecht unteilbar. Und mit der Staatsbürgerschaft hat das nichts zu tun. Wie sehr sich Austrotürken für die Politik am Bosporus und in Ankara interessieren und sich für diese engagieren, hängt zuallererst davon ab, wie sehr sie in ihrer neuen Heimat integriert sind. Und da zeigen alle Untersuchungen, dass eine doppelte Staatsbürgerschaft die Integration nicht behindert, wie vielfach befürchtet wird, sondern, ganz im Gegenteil, diese befördert.

Man könne keine „zwei Heimats haben“, sagte einst ein leicht betrunkener Antisemit in einer der legendären „Alltagsgeschichten“ von Elizabeth T. Spira. Er hat Unrecht. Die Idee einer einzigen Identität sei im 21. Jahrhundert eine rückwärtsgewandte und gefährliche Illusion, stellt der indische Wirtschaftswissenschafter und Nobelpreisträger Amartya Sen fest. Der moderne Mensch kombiniere mehrere Identitäten, habe eine pluralisierte Identität.

Statt verbissen die Doppelstaatsbürgerschaft zu bekämpfen, gilt es, diese generell zu erlauben. Das würde Menschen mit Einwanderungsgeschichten Loyalitäts- und Identitätskonflikte ersparen und entspricht den realen Lebensumständen von Menschen, die Österreich als ihre Heimat betrachten und ihre und ihrer Familie Wurzeln nicht aufgeben wollen.

Es ist an der Zeit, dass auch der österreichische Gesetzgeber der nationalen Monogamie ade sagt.

Georg Hoffmann-Ostenhof