Georg Hoffmann-Ostenhof: Tauschrausch

Die Veränderung der Grenze zwischen Kosovo und Serbien könnte den gesamten Westbalkan destabilisieren.

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Ein paar Tage schien es ganz so, als ob der serbische Präsident Aleksandar Vučić und sein kosovarischer Gegenpart Hashim Thaçi den Konflikt zwischen ihren Staaten durch ein Tauschgeschäft lösen wollten: Der fast nur von Serben bewohnte Norden des Kosovo soll Serbien, ein mehrheitlich von Albanern bewohntes Gebiet im Südwesten Serbiens dem Kosovo zugeschlagen werden. Damit scheint es nun wieder vorbei zu sein.

Zumindest vorläufig. Die beiden Balkan-Politiker haben wieder auf Streitmodus geschaltet. Das Projekt des „territory swap“ steht nicht mehr auf der Tagesordnung. Und das ist gut so. Denn der angedachte Deal, der auf den ersten Blick Stabilität zu verheißen scheint – Gebietstausch, gegenseitige Anerkennung, Weg nach Europa –, könnte genau das Gegenteil bewirken. Er ist dazu angetan, die ganze Region, die nach den furchtbaren Balkankriegen der 1990er-Jahre einen prekären Frieden erlangte, aufs Neue zu destabilisieren.

Allein schon die Gespräche über neue Grenzziehungen geben zu Sorge Anlass.

Dabei liegt die Gefahr nicht erst in einer Realisierung der „Grenzkorrekturen“. Dass Belgrad und Pristina sich tatsächlich auf einen Austausch der Territorien einigen, ist nicht sehr wahrscheinlich. Aber allein schon die Gespräche über neue Grenzziehungen geben zu Sorge Anlass.

Zweifellos fühlen sich nun andere politische Akteure in der Vielvölkerregion Balkan geradezu ermutigt, die Grenzen infrage zu stellen. Im serbischen Teil Bosnien-Herzegowinas arbeitet man seit Langem an einer Sezession. Kroatische Politiker in Zagreb machen kein Hehl daraus, dass sie eigentlich den kroatischen Teil Bosniens „heim“ holen wollen. Und wenn darüber geredet wird, dass der Kosovo die von Albanern bewohnten serbischen Gebiete bekommen soll, was kann dann die mazedonischen Albaner davon abhalten, sich von Mazedonien abzuspalten?

Eine Büchse der Pandora würde geöffnet werden. Der Balkan könnte wieder brennen. Der frühere Balkan-UN-Vermittler und österreichische Diplomat Albert Rohan sieht es prinzipiell: Die Vorstellung, „dass Angehörige unterschiedlicher ethnischer Gruppen nicht in Frieden miteinander leben können und daher getrennt werden müssen“, sollte im Europa des 21. Jahrhunderts keinen Platz haben.

Neben der britischen Regierung hält nur Angela Merkel am bisherigen westlichen Konsens fest.

Das hatte die EU begriffen. Seit den blutigen Jugoslawienkriegen der 1990er-Jahre galt die Veränderung der Grenzen bei den westlichen Schutzmächten als Tabu. Dieses wird aber nun gebrochen: Washington, Brüssel und Paris signalisieren, keine Einwände mehr gegen Grenzkorrekturen zu haben. Neben der britischen Regierung hält nur Angela Merkel am bisherigen westlichen Konsens fest: Die territoriale Integrität der Staaten des westlichen Balkans sei „unantastbar“, mahnt sie.

„Wir erleben die Rückkehr der Idee, es sei einfach und für die Stabilität sogar förderlich, auf dem Balkan monoethnische Staaten zu schaffen“, diagnostiziert Carl Bildt, der schwedische Politiker und ehemalige UN-Sonderbeauftragte für den Balkan in einem Interview mit der „FAZ“. „Doch das ist eine Illusion, wie die Vergangenheit der Region gezeigt hat.“ Eine blutige Illusion.

Und auf die Argumentation von Thaçi, man dürfe sich nicht zu Geiseln von Grenzen machen, die während der kommunistischen Diktatur festgelegt worden sind, erwidert Bildt: „Sind wir in Europa nicht alle Geiseln von Grenzen, die von der Geschichte festgelegt wurden? Die meisten Grenzen in Europa wurden mit Blut gezogen, und in einigen Fällen mag ihre Weisheit fraglich sein.“

Der Schwenk Europas und der USA in der Balkanfrage ist vor dem Hintergrund des wachsenden Nationalismus zu sehen.

Nicht nur in Europa. Man denke an Afrika, wo die Kolonialmächte einst den Kontinent völlig willkürlich – quer durch Völker, Ethnien und Sprachen hindurch – aufgeteilt haben. Die Organisation für Afrikanische Einheit (OUA) aber hat einen Grundsatz, den sie nur ganz selten verletzt (Südsudan): Die Grenzen, so zufällig und teilweise bösartig sie auch einst gezogen wurden, sind unverrückbar. Denn die OAU weiß: Beginnt man diese einmal zu verschieben, droht alles ins Rutschen zu geraten.

Der Schwenk Europas und der USA in der Balkanfrage ist vor dem Hintergrund des wachsenden Nationalismus zu sehen. Überall blüht die rückwärtsgewandte Sehnsucht nach Homogenität. Diese drückt sich in separatistischen Bewegungen aus, steckt hinter dem Furor des Mauerbauers im Weißen Haus und beflügelt den Kampf gegen die angebliche Gefahr der Islamisierung Europas. Die Suche nach der verloren gegangenen Homogenität ist jedoch im Zeitalter der Globalisierung vergeblich. Man wird diese nicht finden. Und wenn doch, dann nur über Leichenberge.

Nur in einem wieder destabilisierten Balkan kann Moskau Einfluss zurückgewinnen.

Im 21. Jahrhundert gilt es nicht, Grenzen zu verschieben, nicht, sie hochzuziehen oder zu befestigen, sondern ihre Bedeutung zu verringern. Und die Menschen und Gruppen in all ihrer Unterschiedlichkeit müssen eben lernen, innerhalb der Grenzen friedlich zusammenzuleben.

Im Übrigen ist auch Putins Russland für einen Gebietstausch zwischen Serbien und Kosovo. Kein Wunder: Nur in einem wieder destabilisierten Balkan kann Moskau Einfluss zurückgewinnen.

Georg Hoffmann-Ostenhof