Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Pussys und Putin

Pussys und Putin

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Wohl in kaum einem anderen Land ist die Politik so männlich wie in Russland. Nicht nur in der Zeit der Politbüros und Zentralkomitees, auch nach dem Untergang des Kommunismus und dem Ende der Sowjetunion waren kaum Frauen an den Hebeln der Macht zu entdecken. Und als sich im Land mit dem ehemaligen Geheimdienstchef Wladimir Putin wieder ein autoritärer Staat zu etablieren begann, ­zeigte sich: Auch die russische Opposition ist weitgehend Domäne der Männer.

Bis vor Kurzem war das jedenfalls so. Jetzt aber ändert sich das. Der Einbruch des Weiblichen in die russische Politik kommt freilich von unerwarteter Seite: Ihr inzwischen verstorbener Vater Anatoli Sobtschak war der erste liberale Bürgermeister von Sankt Petersburg und der politische Förderer Putins. Die 1981 geborene Xenia Sobtschak konnte die längste Zeit politikferner nicht sein. Sie galt als Russlands Antwort auf Paris Hilton. Eine schöne Blondine, die sich im Porsche Cayenne von ihrem bewaffneten Chauffeur von Party zu Party kutschieren ließ, die Reality-Shows der billigsten Art moderierte und das Publikum mit Modetipps, Affären und dem Buch „Wie heirate ich einen Millionär“ erfreute, fasste an ihrem 30. Geburtstag im vergangenen November einen Entschluss: Ab nun wollte sie sich in die russische Politik einmischen.

Sie hatte schon zuvor in Interviewsendungen bewiesen, dass sie das Zeug zu einer ernsthaften und klugen Journalistin hat. Aber als sie im Dezember des Vorjahrs auf die Tribüne stieg und vor hunderttausend Moskauern, die gegen Wahlfälschungen demonstrierten, die autoritäre Herrschaft Putins anprangerte, wurde sie noch ausgepfiffen. Dem Glamour-Girl nahm man sein politisches Engagement nicht ab.

Zu einer zentralen Figur der demokratischen Opposition wurde Xenia aber durch ein Video. Man sieht sie blass und unsicher einen Text herunterleiern. „Ich habe beschlossen, für diesen Kandidaten zu stimmen, weil die Wirtschaft und der Lebensstandard in unserem Land viel besser geworden sind.“ Als sie zu Ende gesprochen hat, schwenkt die Kamera, und man sieht, dass sie an einen Stuhl gefesselt ist. Männer in schwarzen Uniformen applizieren ihr ein Klebeband über den Mund und tragen sie mitsamt dem Sessel fort.

Zwar nennt niemand den Namen des von der Promifrau „beworbenen“ Kandidaten. Wer gemeint ist, wissen aber die Hunderttausenden Russen, die inzwischen auf YouTube den Clip gesehen haben.

Nicht minder Furore gemacht hat ein anderes Video: Es zeigt einen fünfminütigen Auftritt der feministischen Punkband Pussy Riot in der Moskauer Erlöser-Kathedrale: „Mutter Gottes, werde Feministin“, kreischen die in schrille Netzstrümpfe, bunte Kleider und gehäkelte Wollmasken gekleideten jungen Frauen. „Heilige Mutter, vertreibe uns den Putin.“ Auch das Oberhaupt der orthodoxen Kirche bekommt sein Fett ab: Patriarch Gundjajew „glaubt an Putin, sollte lieber an Gott glauben, das Arschloch“. Dazwischen Choralpassagen.

Das war nicht der erste provokante Blitzauftritt der Punkerinnen. Zuvor zelebrierten sie unter anderem bereits auf dem Moskauer Roten Platz und auf einem Gefängnisdach die Austreibung Putins, des Symbols der nachhaltig-autoritären Machogesellschaft. Inzwischen ist Pussy Riot Kult.
Nicht nur wurden die Aufnahmen der kraftvollen Inszenierungen mit den derb-poetischen Songtexten bereits von Millionen Russen auf YouTube begeistert angeklickt. Auch Musik- und Kunstkritiker sind voll des Lobs für die Band.

Die Machthaber nehmen die jüngsten Emanationen russischer Frauenpower ebenfalls ernst. Das zeigen ihre Reaktionen. Drei junge Frauen, denen man vorwirft, an der Aktion in der größten Kirche Russlands teilgenommen zu haben, sitzen wegen „Rowdytums“ in Isolationshaft. Ihnen drohen sieben Jahre Gefängnis. Auch Xenia Sobtschak könnte demnächst einsitzen müssen. Journalisten regimetreuer TV-Sender haben die Oppositionelle beschuldigt, sie tätlich angegriffen und ihnen ihre Kamera zerschlagen zu haben. Xenia: „Alles nicht wahr. Das ist inszeniert. Man will mich fertig­machen.“ Ihr blühen zwei Jahre Kerker.

Es sieht ganz so aus, als ob sich in diesem durch und durch patriarchalischen Land – wie auch in anderen autoritären Regimen – Frauen an die Spitze der Bewegung gegen Diktatur und für demokratische Erneuerung stellen. Sie erweisen sich offenbar auch in Russland als das dynamische Element der Gesellschaft. Sie haben auch am meisten zu gewinnen.

PS: Ganz von null muss der russische Feminismus ­jedoch nicht beginnen. Es gibt eine Tradition weiblicher Emanzipation – die allerdings arg verschüttet ist. Als die Bolschewiken die Macht ergriffen, war auch eine frauenbewegte Revolutionärin mit von der Partie: Alexandra Kollontai. Sie forderte vehement völlige Gleichberechtigung der Geschlechter und propagierte die freie Liebe (die sie auch praktizierte). Sie gehörte 1918 als erste Frau dem revolutionären sowjetischen Kabinett an und war damit gleichzeitig die erste ­Ministerin der Weltgeschichte. Frau Kollontai überlebte – durch Anpassung – die bleierne und blutige Stalin-Zeit. Von ihrem radikalen Emanzipationsansatz blieb in der Sowjet­union aber nicht viel mehr als die verlogenen Kitschbilder heroischer Traktoristinnen und Kranführerinnen.

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Georg Hoffmann-Ostenhof