Gernot Bauer: Niemand ist eine Brücke

Nach dem Gedenkjahr sollten wir eine Zukunftsfrage des Landes klären: Wollen wir eigentlich zum Westen oder zum Osten gehören?

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Die Republik Österreich beging das Gedenk- und Erinnerungsjahr 2018 in Würde und auf angemessene Weise. Das Gebotene fand den richtigen Ton und eine gute Mitte zwischen Scham und Stolz. Ab dem Jahreswechsel sollten wir uns allerdings einer latent vorhandenen Zukunftsfrage widmen, deren Formulierung allein schon schwer fällt: Wollen wir – als Republik Österreich – zum Westen oder zum Osten gehören?

Die Schwierigkeit beginnt bei der Begriffsdefinition. Unter „Westen“ kann man verstehen: Demokratie pur, Marktwirtschaft pur, Sozialstaat, Wohlstand, Freihandel, Sicherheit, eine offene Geisteshaltung, Optimismus, Modernität, Multilateralismus. Demgegenüber – ohne Schnittmenge – der „Osten“: gelenkte Demokratie, Staatswirtschaft, Aufweichung von Bürgerrechten, Protektionismus, weniger Wohlstand, Abhängigkeit, Verengung, Unilateralismus, Skepsis.

Nach dieser Einteilung wäre das heutige Italien ein östliches Land. Und Österreich? Auf den ersten Blick ist wohl klar, wohin wir gehören. Bei näherer Betrachtung des Landes, seiner Politiker und seiner Bürger wachsen Zweifel.

Am leichtesten fällt die Beurteilung der Freiheitlichen. Eine Regierungspartei, die Liebesgrüße nach Moskau, Budapest und Warschau schickt, ist anti-westlich. Man muss der Strache-FPÖ zugutehalten, dass eine derartige Ost-Neigung legitim ist und die Freiheitlichen diese nie verbargen.

In der ÖVP fanden sich vor nicht allzu langer Zeit sogar NATO-Anhänger. Wolfgang Schüssel war als Außenminister (1995 bis 2000) einer davon. Als Kanzler (2000 bis 2007) hielt er sich zurück. Aber immerhin: Schüssels Sentenz vom Oktober 2001, „die alten Schablonen Lipizzaner, Mozartkugeln oder Neutralität“ würden „in der komplexen Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts nicht mehr greifen“, ist so gültig wie damals. Schüssel war Westler. Und er wollte, dass unsere Nachbarn im Osten und Südosten Europas ebenfalls Westler werden. Aus dem jungen ungarischen Regierungschef des Jahres 1998, Viktor Orbán, wurde sogar einer. Als älterer Regierungschef des Jahres 2018 würde es Orbán (gemeinsam mit Kollegen aus Polen und Tschechien) gern sehen, wenn seine Nachbarn im Westen Ostler würden.

Die Standortbestimmung, ob wir zum Westen oder zum Osten gehören wollen, ist keine moralische Frage, sondern eine mentale.

Wie dagegen eine konservative Politik mit starker Westorientierung aussehen kann, demonstriert derzeit der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei für die EU-Wahl 2019, Manfred Weber. Der CSU-Mann vertritt bei illegaler Migration zwar dieselbe Härte wie Kanzler Sebastian Kurz, im Gegensatz zu diesem unterstützt er allerdings multilaterale Lösungsansätze wie den UN-Migrationspakt. Kurz sieht sich lieber als „Brückenbauer“: in der Asylfrage, im Russland-Streit, zwischen Macron und Orbán, West und Ost. Manchmal braucht man aber keine Brücken, sondern klare Grenzlinien. Dann muss man sich entscheiden, wohin man gehört. Zu jenen, die mehr oder weniger Integration in der EU wollen? Zu westlichen Optimisten oder östlichen Pessimisten? Zu den Russland-Gegnern oder den Russland-Unterstützern?

Die Bevölkerung ist in der letzten Frage auf Strache-Linie, wie eine aktuelle Umfrage (1000 Teilnehmer) des US-Nachrichtensenders CNN zeigt. Demnach haben 18,5 Prozent der Österreicher eine positive Meinung von Russland, von den USA aber nur 17,5 Prozent. Umgekehrt hegen 49,5 Prozent eine negative Meinung gegenüber den USA, aber nur 33,6 gegenüber Russland. Der Trump-Faktor mag dabei eine Rolle spielen. Dennoch kann das Ergebnis nur als Ausfluss einer weit verbreiteten antiamerikanischen Haltung in der österreichischen Bevölkerung gedeutet werden.

Dieser Antiamerikanismus findet sich seit jeher auch in Teilen der SPÖ und bei den Grünen (samt Liste Pilz). Die anti-westlichen Einstellungen auf der Linken sind ebenso manifest wie jene auf der Rechten, allerdings in anderen Politikfeldern. Sie zeigen sich beim rot-grünen Abwehrkampf gegen Freihandelsabkommen wie TTIP, beim Kampf gegen die Globalisierung, bei der NATO-Ablehnung, der Skepsis gegenüber allem Militärischen, der Verklärung der Neutralität. Bleibt als einzige pro-westliche Partei NEOS. Mutmaßlich: Denn auch die Pinken lassen klare Bekenntnisse zu ungeteilten westlichen Werten – etwa in der Sicherheitspolitik – vermissen.

Die Standortbestimmung, ob wir zum Westen oder zum Osten gehören wollen, ist keine moralische Frage, sondern eine mentale. Und es geht auch um nationale Interessen. Denn es macht für unser aller Zukunft eben einen Unterschied, ob wir Verbündete in Berlin, Paris und Washington (trotz Trump) haben oder in Budapest, Moskau und Rom (mit Salvini). Darüber sollten wir nach Ablauf des Gedenkjahres reden. Ein paar österreichische Atlantiker würden der Diskussion guttun. Wo sind sie geblieben?

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Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.