Gernot Bauer: Werch ein Illtum!

Zum 50-jährigen Bestehen des profil blicken wir ins Jahr 2010 zurück: Über den unproduktiven Zwang, ein Nachrichtenmagazin ideologisch zu verorten.

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Anmerkung: Dieser Text erschien ursprünglich im profil Nr. 36/2010 vom 06.09.2010.

Warum profil liberaler ist als befürchtet – und bürgerlicher als vermutet. Gernot Bauer über den unproduktiven Zwang, ein Nachrichtenmagazin ideologisch zu verorten.

Hoch zu Floß verteilte der Bundeskanzler Haltungsnoten. Das profil – ein „linkes Magazin“ durch und durch und deshalb logischerweise auch „Amtsblatt des österreichischen Widerstands“. Es war August 2000, die schwarz-blaue Koalition noch jung. Wolfgang Schüssel und Wilhelm Molterer hatten Journalisten nach Oberösterreich zu einer Wanderung im Nationalpark Kalkalpen und einer Flussfahrt auf der Enns geladen. Auf dem Holzschinakel spielte die Blasmusik, aus Molterers Entourage stellte sich ein vergnügter Sekretärs-Neuzugang vor („Sepp Pröll, bin verwandt“). Die Gegend war prächtig, und Schüssel kam ins Räsonieren – Widerstand gegen seine Zuordnungen war zwecklos.

Die fast zwanghafte profil-Lokalisierung links von Mao durch Hobby-Zeitungswissenschafter österreichischer Parlamentsparteien fällt im Ton unterschiedlich aus. Jovial-provinziell: „Mei, ihr seids hoit oiwei scho lings gwen.“ Ophthalmologisch: „Das profil ist auf dem linken Auge blind.“ Aggressiv-freiheitlich: „Links-linkes Kampfblatt.“

Unerreicht bleibt freilich die „Kronen Zeitung“, deren Kommentator unter dem Pseudonym „Observator“ das profil 1997 als „rotfaschistisches Magazin“ bezeichnete. Wir antworteten mit einer schärferen Waffe, als sie das Medienrecht damals kannte – Reinhard Tramontana: „Betroffen und niedergeschmettert von derlei Durchschauungsvermögen, müssen wir Demaskierte gestehen, dass der gnamenlose Autor ganz Recht hat.“

Wie links ist das profil wirklich? Eine Standortbestimmung in vier Kapiteln.

Der Begriff

Wo ist eigentlich „links“ abseits politikwissenschaftlicher Kategorien? Wo das Herz schlägt (Oskar Lafontaine)? Nirgends, wie die blamablen Wahlergebnisse linker SPÖ-Politiker wie Erich Haider in Oberösterreich und auch der Grünen zeigen? Der französische Sozialist und Ex-EU-Kommissar Pascal Lamy, seit 2005 Generaldirektor der Welthandelsorganisation WTO und damit oberster Freihandelsfan, bekannte in einem „Presse“-Interview im August, „ein Linker“ zu sein, weil er „an die Menschen glaube“. Links zu sein bedeute, „Fragen der Gerechtigkeit und Chancengleichheit einen besonderen Stellenwert einzuräumen“. Wenn das reicht, ist Werner Faymann ein Paradelinker.

Trotz aller Vorbehalte aus Praxis und Wissenschaft bleibt die „Links-rechts-Einstufung in der Politik ein mächtiges Ordnungsschema“, schreiben die Autoren des Standardwerks „Politik in Österreich“. Heimische Spitzenpolitiker verwenden die Begriffe meist zur Fremd- und nicht zur Selbstbeschreibung. Freiwillig als „Linke“ bezeichneten sich in der SPÖ in den vergangenen Jahren nur Erwin Buchinger, ein paar Gewerkschafter und die vereinigte Parteijugend. Innerhalb der ÖVP gilt als Rechter, wer die jeweils aktuelle Führung für zeitgeistverdorbene Linksabweichler hält. Mainstream-SPÖ und -ÖVP raufen seit 20 Jahren um den Platz zwischen links und rechts: die Mitte. Wo diese liegt, wissen Rot und Schwarz genau, nämlich exakt am jeweils eigenen Aufenthaltsort. Und bis zur Lehman-Pleite galt: je breiter die Mitte, desto schmäler die Ränder. Diese überließ man kampflos den Grünen und der FPÖ.

Die Wirtschaftskrise sorgte im Standortwettbewerb von ÖVP und SPÖ für Links- und Rechtsverschiebungen, vorerst allerdings nur rhetorisch, wie etwa in der Debatte um Vermögensteuern. Aus Beobachtersicht erweisen sich die groben politikwissenschaftlichen Schablonen dabei wieder als durchaus brauchbar: Links bedeutet egalitär, progressiv, kollektivistisch, sozialistisch – rechts elitär, konservativ, individualistisch, kapitalistisch.

Die Politiker

Von der Besessenheit der Spitzenpolitiker, alle Teilnehmer und Beobachter des öffentlichen Lebens ideologisch zu verorten, bleiben naturgemäß auch die Journalisten nicht verschont. In der ÖVP dominiert in der gehobenen Funktionärsklasse folgendes Denkschema: Junge Leute aus bürgerlichem Hause studieren etwas Gescheites (Jus, BWL, Medizin) und werden Anwälte, Manager, Ärzte. Linke brechen ihr Weltverbesserungsstudium (Publizistik, Politik, Soziologie) nach dem 27. Semester ab und werden Journalisten. Da dies ein Naturgesetz ist, sind die meisten Medien – vor allem der ORF – auf ewig in linker Hand. Und die paar Bürgerlichen, die es in den Journalismus verschlagen hat, behandeln die Volkspartei besonders kritisch, weil sie im Gegensatz zu den Linken keinen Parteigehorsam kennen und der bürgerliche Mensch als solcher sich durch höhere innere Unabhängigkeit auszeichnet.

In der Vorstellungswelt der aktuellen SPÖ-Führung zerschellen die ambitionierten sozialdemokratischen Reformpläne allein am Widerstand der bürgerlichen Verlage. Gegen eine ÖVP-dominierte Presse lässt es sich eben nicht regieren. Vor allem die so genannten Raiffeisen-Medien („Kurier“ und profil) hätten den Auftrag von oben, den Bundeskanzler zu bekämpfen. Die Inseraten-getriebene Kooperation der SPÖ mit „Kronen Zeitung“ und „Österreich“ ist daher ein Notwehr-Akt gegen eine feindliche mediale Übermacht. Dass sich viele Journalisten mit roter Programmatik identifizieren, wird aus Löwelstraßen-Sicht in der Praxis zum Bumerang. Denn nichts ist schlimmer als ein von der SPÖ enttäuschter Linker mit täglicher Gelegenheit zum öffentlichen Nörgeln.

Eher geht der ÖVP-Vorstand am Karfreitag geschlossen ins Steakhouse oder die Wiener SPÖ am 1. Mai ohne Umweg über den Rathausplatz direkt in die Prater-Biergärten, als dass sie auf Punzierungen nach ihrer Logik verzichteten. Der Gedanke, Medien könnten unabhängig, ohne äußere Einflüsse und nach rein journalistischen Kriterien funktionieren, ist heimischen Berufspolitikern wesensfremd.

Im ORF nimmt die politische Zwangseinteilung bereits obsessiv-neurotische Züge an. Wer auch immer eine Führungsposition anstrebt, muss mit Brachialverortung bis zur Kreditschädigung rechnen. In abgemilderter Form betrifft das auch das profil: Rechts der Mitte gilt es als links, links davon als rechts. Ernst Jandls Gedichtklassiker „lichtung“ hat auch in diesem Zusammenhang seine Gültigkeit: „manche meinen/lechts und rinks/kann man nicht velwechsern/werch ein illtum!“ Die ÖVP hält das profil für rot, die SPÖ für schwarz. Nur die Grünen glauben, es sei gleichfarbig, was zwangsläufig ein hohes Kränkungspotenzial zur Folge hat. Durch präzisen Realismus zeichnen sich in der Frage der Farbenlehre nur die Freiheitlichen aus.

Die Journalisten

Vor der Nationalratswahl 1999 ergab eine redaktionsinterne Umfrage unter den profil-Journalisten eine Mehrheit für eine Partei, die am Wahltag aus dem Parlament flog: das Liberale Forum. „Na logisch“, würde der Simmeringer Peter Westenthaler sagen, „quod erat demonstrandum“, der Hietzinger aus Tirol, Andreas Khol: Linke Journalisten wählen eben das linke Forum. Aus politikwissenschaftlicher Sicht war das LIF keine linke Partei, wie es im Handbuch „Politik in Österreich“ heißt: „Das Liberale Forum ist mit dem (kurzen) Wahlprogramm von 1995 die bisher am weitesten rechts positionierte Partei, eine Folge ihres ausgeprägten Wirtschaftsliberalismus.“ Aus linker Sicht war das LIF eigentlich unwählbar: ehemalige Freiheitliche um Heide Schmidt, Friedhelm Frischenschlager und Helmut Peter, personell verstärkt durch einen Großindustriellen (Hans Peter Haselsteiner). Im besetzten Audimax würde ein solches Quartett bestenfalls ausgebuht. Warum wählte die profil-Belegschaft, als es möglich war, mehrheitlich liberal? Weil die Liberalen individualistischer und lebensnäher waren als die Grünen? Fortschrittlicher als die SPÖ? Wirtschaftsliberaler als die Volkspartei?

Etwa ein Viertel der heutigen profil-Redakteurinnen und -Redakteure schrieb für die 1989 verwichene „Arbeiter Zeitung“. Nur zwei Aktive wechselten direkt von der „AZ“ ins Nachrichtenmagazin. profil-Redakteure waren und sind ehemalige Mitarbeiter von „Kurier“, „Salzburger Nachrichten“, „News“, „Presse“, „Falter“, Austria Presse Agentur, „Kleine Zeitung“ und „Standard“.

Als Herausgeber an der Spitze des Magazins standen: ein solitärer Kreisky-Kritiker (Peter Michael Lingens), ein späterer Gemeinderat der Wiener ÖVP (Franz Ferdinand Wolf), ein ORF-Mann und „Kurier“-Chefredakteur (Peter Rabl), ein Angehöriger des österreichischen Hochadels (Hubertus Czernin), ein Kirchenexperte (Josef Votzi), ein früherer Chefredakteur der marktliberalen, 1996 eingestellten „WirtschaftsWoche“ (Christian Rainer). Gäbe es einen Masterplan zur Links-Infiltrierung der profil-Herausgeberschaft, hätte er kläglich versagt.

Laut einer aktuellen Umfrage des Wiener Medienhauses, an der auch profil-Mitarbeiter teilnahmen, ordnen sich 63 Prozent der österreichischen Politikjournalisten links der Mitte ein, 22 Prozent genau in der Mitte, 16 Prozent rechts davon. Diese Selbsteinschätzung lässt laut Umfrage freilich keine Rückschlüsse auf Parteinähe oder Wahlverhalten zu. Nur fünf Prozent der österreichischen Politikjournalisten gaben an, SPÖ zu wählen. Für die Grünen stimmten 28 Prozent. Die ÖVP kommt bei den sich Deklarierenden auf 17 Prozent. Für FPÖ und BZÖ erwärmen sich nur fünf Prozent. 30 Prozent der politischen Journalisten behaupten, sie neigten keiner Partei besonders zu, 15 Prozent verweigerten die Antwort.

Das Nachrichtenmagazin

Wie der Politologe Jan A. Fuhse in seinem Essay „Links oder rechts oder ganz woanders?“ ausführt, kann das Links-rechts-Schema als Überkategorie interpretiert werden – ohne fixe politische Inhalte und damit offen für Wandlungen. In Westeuropa zu Beginn des 19. Jahrhunderts galten liberale, republikanische Kräfte als „links“. Durch den Aufstieg der Arbeiterbewegung rückten diese bereits etablierten Kräfte nach „rechts“.

So gesehen ist jedes Nachrichtenmagazin („Time“, „Newsweek“, „Der Spiegel“) „links“, wenn es die jeweils regierende politische Macht hinterfragt, ebenso das profil. Dessen Geburt 1970 erfolgte auch aus dem Geist des Jahres 1968. Sein neuartiger „linker“ Journalismus konzentrierte sich freilich auf die übermächtige SPÖ und Bruno Kreisky.

Gerade in Österreich galt Widerspruch gegen die rot-schwarze Obrigkeit jahrzehntelang als ungehörig und damit „links“, ebenso die Lust an Keppeleien und prinzipieller Fehlersuche („Warum seht ihr immer alles so negativ?“), die der Job Description sowohl eines Berufsquerulanten als auch eines Magazinjournalisten entspricht.

Die zeitweilige Punzierung des profil als dogmatisch-linkes Magazin mag auch an den großen Geschichten der letzten 15 Jahre liegen. Die Affären Waldheim und Groer sowie die Auseinandersetzung mit Schwarz-Blau im Jahr 2000 erregten vor allem die bürgerliche Klientel. Überdies gelten Antifaschismus und die von profil intensiv betriebene Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte hierzulande absurderweise eher als linke Domäne.

Fazit: Auch wenn es Politiker nicht glauben können – ein Nachrichtenmagazin wie profil mag sich mitunter der Besserwisserei und des Moralin-Missbrauchs schuldig machen, es kennt aber seine Grenzen. Für die Gestaltung der Politik sind andere zuständig. profil beobachtet – mit voller Sehstärke auf dem linken und dem rechten Auge.

Gernot Bauer, 40, arbeitet seit 1997 bei profil und sieht auf beiden Augen schlecht.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.