Lieber JJ!

Ein offener Brief an JJ – und alle, die wie er Israel vom Song Contest ausschließen wollen.

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Bevor ich zum Anlass dieses Briefes komme, möchte ich Ihnen zu Ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest gratulieren und zu Ihrem Talent, Ihren Countertenor in Sounds unserer Zeit zu betten!

Ich gestehe, diese Gratulation fiele mir leichter, wenn Sie darauf verzichtet hätten, den Ausschluss Israels vom Eurovision Song Contest zu fordern. Dieser Boykottaufruf war auf mehreren Ebenen falsch, und ich möchte Ihnen – und allen, die denken wie Sie – erklären, weshalb Sie irren. In manchen Punkten will ich Sie in Schutz nehmen.

Sie standen am vergangenen Samstag in Basel auf derselben Bühne wie Yuval Raphael, die israelische Sängerin, die in ihrem Lied „New Day Will Rise“ das Grauen verarbeitet hat, das sie selbst bei dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 erlebte. Sie versteckte sich damals in einem Bunker unter Leichen, um nicht getötet zu werden. Wenn Sie einen Boykott Israels fordern, so richtet sich dies auch gegen Yuval Raphael. Das ist unsensibel und übel.

Sie sind in Österreich geboren, aber nicht hier aufgewachsen. Man kann Ihnen deshalb Ihr Unwissen nachsehen. Es liegt in Ihrer Verantwortung, sich dringend darüber zu informieren, welche historische Dimension Boykottaufrufe gegen Juden oder gegen den Staat der Juden enthalten, wenn sie von Österreichern (oder Deutschen) geäußert werden.

Was Sie wahrscheinlich auch nicht wissen, ist weiters, dass der staatliche israelische Sender „Kan“ (das Gegenstück zum ORF), den ein Ausschluss direkt träfe, keinesfalls mit der Regierung von Benjamin Netanjahu gleichgesetzt werden darf. Im Gegenteil, weil die Redaktionen von Kan unabhängig und kritisch berichten, soll Netanjahu kürzlich überlegt haben, dem Sender die Finanzierung zu kappen.

Der Song Contest ist auch in Israel ein Ereignis der Zivilgesellschaft, vor allem der queeren Community. Die Transgender-Sängerin Dana International, die den ESC 1998 für Israel gewann, ist bis heute eine Leitfigur der LGBTQ-Bewegung und gleichzeitig wüsten Angriffen ultrakonservativer Gruppierungen ausgesetzt. Ein Boykott Israels träfe die Falschen.

Warum dürfen Staats- und Regierungschefs Sanktionen gegen Israel fordern und Sie nicht?

Gut möglich, dass Sie sich ungerecht behandelt fühlen, wenn man Sie jetzt als Antisemiten bezeichnet. Schließlich verlangen derzeit Staats- und Regierungschefs vieler westlicher Staaten Sanktionen gegen Israel. Warum dürfen die das und Sie nicht?

Entscheidend bei Sanktionen ist, dass diese als Reaktion auf konkrete Verfehlungen ausgesprochen werden – etwa wegen der absichtlich herbeigeführten Unterversorgung der Bevölkerung von Gaza oder wegen der Fortsetzung eines unverhältnismäßig brutal geführten Krieges. Genau dies tun Leute wie Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und Großbritanniens Premier Keir Starmer. Sie ziehen die Regierung zur Verantwortung und verlangen von ihr, dass sie sich an die Bestimmungen des Völkerrechts hält und die Menschenrechte der Palästinenser achtet. Die Sanktionen – der Stopp von Waffenverkäufen an Israel, der Abbruch von Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen, ein mögliches Aussetzen eines Assoziierungsvertrags mit der EU – richten sich also direkt gegen Handlungen der Regierung und betreffen die Sphäre der Politik. Ein Ausschluss Israels vom ESC bestraft hingegen die israelische Gesellschaft, die sich mehrheitlich gegen die Regierungspolitik ausspricht.

Sie werden einiges an Kritik abbekommen, teils zu Recht, teils übertrieben. Sie haben sich mitten in eine Propagandaschlacht begeben. Macron und anderen Kritikern der israelischen Kriegsführung wirft etwa Israels Außenminister Gideon Sa’ar allen Ernstes vor, sie trügen Mitverantwortung an einem mörderischen Attentat auf zwei Mitarbeiter der israelischen Botschaft in Washington. Das ist abstrus.

Auch wenn ich der Meinung bin, dass Ihre Aussage falsch ist, sehe ich darin keinen Anlass, Sie als Person zu ächten oder Ihre Karriere behindern zu wollen. Sie haben nicht zu Gewalt aufgerufen, ein Boykottaufruf ist prinzipiell eine zulässige Form des Protests.

Noch ein persönlicher Rat: Lassen Sie sich von einem israelischen Freund schildern, in welch schwieriger Lage sich sein Land befindet und wie sehr der Gedanke an die von der Hamas immer noch gefangen gehaltenen Geiseln die ganze Bevölkerung quält.

No love is wasted.

Robert Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur