Kolumne

Gekünstelte Intelligenz

Der Glaube daran, dass Menschen dümmer sind als die Dinge, die sie nutzen, hält sich hartnäckig. Das ist nicht klug.

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In dieser Folge meiner profil-Kolumne muss ich ein wenig persönlich werden, wofür ich mich gleich zu Beginn entschuldige. Ich bin kein großer Freund des Ich-Journalismus, der jeden Schritt seiner Textwerdung auf Instagram dokumentiert.

Mir geht das auf die Nerven.

Das liegt daran, womit wir ins Thema kommen, dass ich computermäßig ein wenig oldschool bin, also altmodisch. Ich glaube beispielsweise, dass Technik dem Menschen dienen soll und nicht umgekehrt. Ich weiß, das klingt gestört. Zumal in Zeiten, in denen ständig jemand „aber die KI!“ ruft, was wiederum stark an das geflügelte Wort vom „zu allem eine Meinung, von nichts eine Ahnung“ erinnert.

Ich bin kein Feind der Technik, im Gegenteil. Ich habe mehrere Laufmeter zum Thema Digitalisierung geschrieben und besitze nicht einen, nicht zwei, sondern acht wunderbare Rechner, die sich alle nützlich machen, und die Schubladen in meinem Arbeitszimmer quellen über von Kabeln und Netzteilen. Es ist eine Pracht. Vor vielen Jahren habe ich in diesem schönen Magazin eine Computerseite begründet, Cyberama hieß die, und sehr oft habe ich die alte Programmiererweisheit zitiert: Garbage in, Garbage out. Müll rein, Müll raus.

Sie ergänzt ihre Schwesterweisheit, nach der das Problem mit dem Computer direkt vor dem Bildschirm sitzt. Das ist richtig – und gilt für Benutzer und Programmierer gleichermaßen.

Wer nicht mit dem PC, dem Web, der KI kann, der geht – hören wir. Es ist die permanente Drohung des Überflüssigwerdens, die Angst, mit „der KI nicht mithalten zu können“, wie mir vor Kurzem eine Frau (in gehobenerer Managementposition) im Publikum einer Veranstaltung sagte. Das ist der Kammerton der Plattformen und der Verkäufer: Friss oder stirb.

Die Idee dahinter ist einfach: Digitalisiere dich total, und du bist auf einmal doppelt, ach was, dreimal so schlau wie früher. Ein Wunder.

Früher gingen windige Verkäufer übers Land, um arglosen Bauern Kühltruhen zu verkaufen, obwohl die noch gar keinen Anschluss ans Stromnetz hatten. Und heute? Künstliche Intelligenz macht schwache natürliche Intelligenz nicht besser.

Ein Computer an sich macht uns noch nicht produktiver, kreativer, klüger. Die Digitalisierung ist kein Hirnersatz. Als Computer für alle erschwinglich wurden, dann noch das Internet dazu kam, hofften viele, dass Menschen nun ihre eigene Kreativität, ihre Wissensfähigkeit, besser nutzen könnten. Die Hoffnung ist okay, wenn die Leute, die sie hegen, dafür auch was tun. Aber gemeint ist halt oft einfach Teilhabe ohne Mühe. Jetzt herrscht endlich „Gerechtigkeit“. Es gibt keine Gescheiten und keine Dummen mehr, der große Gleichmacher hilft uns. Diese Hoffnung wird nicht aufgehen.

Digitalisierung ist eine Blackbox. Es fehlt an Grundbildung in der Frage, was die von Werbung und Marketing gepriesenen Prozesse und Techniken eigentlich wirklich sind. Das macht die Arbeit für die Verkäufer leichter. Die künstliche Intelligenz ist einiges, aber intelligent ist sie nicht. Intelligenz setzt eigenständiges Denken voraus, und dafür genügen aufgeblasene Automatisierungstechniken nicht. Wenn Systeme einfach nur mit dem arbeiten, was sie sich im Netz, aus Büchern, Archiven, Werken und persönlichen Daten von Menschen, zusammenklauben und zusammenklauen, dann ist das bestenfalls gekünstelte Intelligenz, so tun als ob, was ja wieder sehr gut in die Zeit passt. Wer so was „maschinelles Lernen“ nennt, der sagt zu einem Raubüberfall wahrscheinlich auch „spontane Eigentumsübertragung“.

Die Blackbox, die Unbildung, macht’s möglich. Gescheiter wird man halt aber nur durch eigene Anstrengung, auch wenn das nicht sehr populär ist. Dazu gehört heute: Verstehen, wie digitale Werkzeuge funktionieren, um sie zu „beherrschen“. Im Wortsinn. Wir sind der Chef, nicht das Werkzeug. Karl Kraus hat uns das vor mehr als einem Jahrhundert ins Stammbuch geschrieben, lange bevor es Computer gab, denn das Problem mit der Technikreligion ist älter, als wir denken: „Wir waren kompliziert genug, die Maschine zu bauen, und wir sind zu primitiv, uns von ihr bedienen zu lassen. Wir treiben Weltverkehr auf schmalspurigen Gehirnbahnen.“

Aber niemand muss da mitfahren. Vielleicht wechseln wir mal das Werkzeug. Ein wenig Verstand wäre einen Versuch wert.

Wolf  Lotter

Wolf Lotter

ist Autor und Journalist und schreibt einmal monatlich eine Kolumne für profil, wo er von 1993 bis 1998 Redakteur war.