Kommentar

Niederösterreich-Wahl: Die FPÖ im Nacken

Aus dem Comeback in Blau muss auch die Bundespolitik ihre Lehren ziehen.

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Damals, vor einem Jahr, waren sich viele sicher: Die Höhenflüge der FPÖ sind Geschichte. Vom Tiefpunkt Ibiza-Sandal, den Korruptionsprozessen, dreisten Spesenskandalen inklusive, werde sich die FPÖ nicht so schnell erholen. Denn auch blaue Fans haben die dreisten Nehmerqualitäten der FPÖ gesehen, niemand nehme ihr den Schmäh von der „Kleine-Mann-Partei“ ab. Und außerdem: Die Anti-Corona-Linie von FPÖ-Chef Herbert Kickl sei viel zu radikal, nur ein kleines Häufchen an Verschwörungstheoretikern werde der  FPÖ die Stange halten – und die Anti-Corona-Stimmen ohnehin an die neuen Shooting-Stars von der MFG gehen. Nicht zuletzt: In den Mega-Krisen brauche es  seriöse Politik und keine Rechtspopulisten.

So hieß es damals, vor einem Jahr, als der Ukraine-Krieg seine Schatten vorauswarf, der letzte Corona-Lockdown gerade vorbei war, und die Teuerung an Fahrt aufnahm. All diese Abgesänge erwiesen sich als komplett falsch. Denn heute, ein Jahr später, erweist die FPÖ ihrem Ruf als Comeback-Kid der Innenpolitik alle Ehre und ist mit Wucht zurück.

Schon bei der Tirol-Wahl im September 2022 legte sie um 3,3 Prozentpunkte auf 18,8 Prozent zu und errang Platz 2 vor der SPÖ. Das war ein klarer Wahlerfolg, aber noch kein glorioser Sieg. Die Wahl in Niederösterreich aber geriet für die FPÖ zum fulminanten Triumph: Das historisch beste Ergebnis in Niederösterreich, Stimmen und Mandate fast verdoppelt, die absolute Mehrheit der abgestürzten ÖVP gebrochen, die SPÖ deklassiert und auf Platz 3 verwiesen, die MFG überhaupt in der Bedeutungslosigkeit. Damit ist die FPÖ dort zurück, wo sie schon mehrmals war: Im Zentrum der Innenpolitik.

Ein paar Lehren aus der Niederösterreich-Wahl haben weit über das Bundesland hinaus Bedeutung.

Erstens, die frühere Regel vom Schmied und vom Schmiedl in der Asyl-Migrationspolitik gilt wieder. Unter Superstar Sebastian Kurz gelang es der ÖVP, die Themen Zuwanderung und Flüchtlinge für sich zu nutzen, mit Law-and-Border-Politik zu punkten und der FPÖ Stimmen abzujagen. Seine Nachfolgerinnen und Nachfolger schaffen das nicht mehr. Wem das Thema Asyl-Migration wichtig ist, wählt die FPÖ – wie damals, bevor Sebastian Kurz die Politbühne betrat.

Zweitens: Die SPÖ konnte, genau wie in Tirol, von Verlusten der von Korruption und Co gebeutelten ÖVP null profitieren. Damit sind auch ihre Kanzlerinnenträume vorerst ausgeträumt. Die FPÖ liegt in Umfragen im Bund auf Platz 1 – bisher war das eine theoretische Dominanz. Die Niederösterreich-Wahl belegt, dass die FPÖ auch in der Praxis wieder siegen kann.

Drittens: Nach Niederösterreich wählen im Frühjahr noch Kärnten und Salzburg. In beiden Bundesländern ist die FPÖ traditionell wesentlich stärker als in Niederösterreich, sehr wahrscheinlich also, dass die blaue Siegesserie weiter anhält. Und die türkis-grüne Bundeskoalition unter Druck setzt.

Viertens: Die Grundstimmung ist explosiv, Sorge, Wut, Frustration, Unsicherheit dominieren. Abstiegsängste, Sorgen vor Wohlstandsverlust, Ohnmachtsgefühle gegenüber all den Krisen reichen mittlerweile in den Mittelstand hinein. Politikerbeschimpfung war in Österreich schon länger Volkssport, mittlerweile ist das Vertrauen in Politik und Demokratie auf einem Tiefstand. Die FPÖ schreit diese Sorgen laut hinaus – und erreicht damit Verunsicherte und Unzufriedene. Keine Frage: Lösen kann die FPÖ die Probleme nicht, aus guten Gründen ist sie noch bei jeder Regierungsbeteiligung hochkant gescheitert. Das ist ihrer Klientel aber genauso egal wie die zunehmende Radikalisierung der FPÖ, die etwa an der verächtlichen Häme bei der Rede des Bundespräsidenten deutlich wurde.

Bis zur nächsten Nationalratswahl sind planmäßig noch eineinhalb Jahre Zeit. Wenn die anderen Parteien die Lehren aus Niederösterreich nicht ernst nehmen, wird dieser Wahlsonntag nicht der letzte gewesen sein, der mit einem blauen Sieg endet.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin