Leitartikel

Politik zum Abgewöhnen

Die schrille Daueraufgeregtheit kommt verfrüht, ein Jahr gereizter Wahlkampf ist niemand zumutbar.

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Vizekanzler Werner Kogler kam aus dem prallen Selbstlob gar nicht mehr heraus. „Monumental“. „Historisch“. Eine „Transparenz-Revolution“. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler stand in der Begeisterung über den eigenen Arbeitsnachweis nicht nach und jubelte über den „Paradigmenwechsel nach 100 Jahren Amtsgeheimnis“.

Dieses vollmundige Frohlocken passte nicht wirklich zum Anlass: dem Entwurf zum Informationsfreiheitsgesetz. Ja, endlich fällt die Lizenz zum Schweigen, das Amtsgeheimnis. Bisher landete Österreich mit seinem Prinzip Herrschaftswissen, wo Fragen nach Gutdünken und oft gar nicht beantwortet werden, unter 136 Staaten gemeinsam mit dem Südpazifik-Staat Palau auf dem hochnotpeinlichen letzten Platz. Ja, die Infofreiheit ist ein wichtiger Schritt von der vordemokratischen Geheimniskrämerei zu moderner Transparenz, mehr als Vorgängerregierungen schafften.

ÖVP und Grüne wollen miteinander regieren – und sich gleichzeitig gegeneinander profilieren.

Bloß: Die üppigen Ausnahmen für Gemeinden unter 5000 Einwohnern sind mehr als eine Lücke und machen die Infofreiheit zum Minderheitenprogramm. Nur 259 der 2093 Gemeinden übersteigen die magische Bevölkerungsgrenze, ab der Bürgerinnen und Bürger automatisch Auskünfte bekommen, was mit ihrem Steuergeld passiert. 1834 Gemeinden und damit 3,4 Millionen Bewohner bleiben in der Dunkelkammer, Informationen werden dort keine Bringschuld. Weitere gravierende Haken: Mit der „Ewigkeitsklausel“ (Reformen nur, wenn alle Bundesländer zustimmen – also in der Realität: nie) entzieht sich die Infofreiheit der Evaluierung und Verbesserung. Beides gehört zu grundlegenden Bestandteilen moderner Transparenz. Und: Unabhängige Info-Beauftragte fehlen, die kontrollieren, wie ernst es Ministerien, Landesregierungen und andere Behörden mit der Abkehr vom Pst-Prinzip meinen. Nicht zuletzt: Die Zustimmung von SPÖ oder FPÖ für die notwendige Zweidrittelmehrheit steht aus.

So weit war die türkis-grüne Regierung schon fast einmal – als sie im Februar 2021, ebenfalls unter dröhnendem Jubel, einen Entwurf zur Informationsfreiheit in Begutachtung schickte. Und nach diesem groß verkündeten Start zweieinhalb Jahre lang ins Blockieren geriet. Ob diesmal der Ankündigung wirklich Taten folgen, ob, wie und wann die Informationsfreiheit beschlossen wird, ist ungewiss. Bleibt unter dem Strich: Niemand will einen Etappenerfolg der Regierung kleinreden. Aber um mehr handelt es sich nicht. Die enthusiastischen Lobgesänge der Koalition klingen reichlich übertrieben. Weniger aufgeregt kann mehr sein, die nüchterne Wahrheit ohne schrille Begleittöne ist dem Wahlvolk durchaus zumutbar. Und würde sogar der Koalition guttun. Denn wer so lauthals derart hohe Erwartungen schürt, erzeugt fast zwangsweise Enttäuschung – und verstärkt damit den ohnehin enormen Verdruss über Politik.

Anderer Anlass, selbes Muster: Auch beim zähen Ringen um Milliarden beim Finanzausgleich gelang diese Woche eine Grundsatzeinigung. Das ist ein Lebenszeichen der Koalition – aber: um den gloriosen „Kraftakt“, zu dem die ÖVP und Grüne die vagen Zielvorgaben prompt hochjazzten, handelt es sich nicht. Vieles ist vage oder reines Lippenbekenntnis, die schwierigen Detailgespräche zur Gesundheitsreform fehlen, andere konkrete Inhalte zur Pflege oder Kinderbetreuung ebenso, die Gelder für Klimaschutz werden nicht reichen. Kurz: Eine Zwischeneinigung ist erzielt, nicht mehr, nicht weniger. Kein Anlass für die Koalition, sich selbst im Superlativ zu preisen.

Es ist menschlich verständlich, dass die Regierung nach den Chaoswochen jeden Beweis ihrer Handlungsfähigkeit überschwänglich feiert und selbst Zwischenerfolge bejubelt. In der Tat agiert die Koalition insgesamt besser als ihr grottenschlechter Ruf und hat von der Abschaffung der kalten Progression bis zu Anti-Teuerungsmaßnahmen einiges vorzuweisen. Das liegt, auch wenn es auf den ersten Blick paradox klingt, auch an den Serien von Megakrisen: Corona-Krieg-Klima-Energie-Inflationskrise schweißten Türkis und Grün zusammen. Schon allein deshalb, weil das Geld abgeschafft war – und sich Differenzen leichter übertünchen lassen, wenn Milliarden verteilt werden können.

Der Kitt, der die Regierung zusammenhält, wird aber immer dünner. Allein die lange Liste der wichtigen Posten, über deren Besetzung sich ÖVP und Grüne seit Monaten nicht einigen können – von der Bundeswettbewerbsbehörde bis zur Nationalbank – zeigt, wie groß die Uneinigkeit ist. Dazu kommt: Wie auch immer die nächste Nationalratswahl ausgeht, sie wird eine andere Regierungskonstellation bringen. ÖVP und Grüne wollen miteinander regieren – und sich gleichzeitig gegeneinander profilieren.

Jeder gegen jeden! Wer ruhig bleibt, geht unter! Dieses Hektik-Motto erklärt die permanente schrille Aufgeregtheit, von der die Innenpolitik derzeit dominiert ist. Pläne für U-Ausschüsse auch gegen den eigenen Koalitionspartner. Hektisches Hyperventilieren über Strategiepapiere und Videoleaks. Kurz: Politik zum Abgewöhnen. Taktieren, Intrigieren, verbal vernichten, übertrieben hochjubeln: Diese Form von Hyperpolitik mag Berufspolitiker und Funktionäre begeistern. Das Gros der breiten Mehrheit wendet sich von derartigen Mätzchen aber mit Grauen ab, aus verflixt guten Gründen.

Zumal die wirtschaftliche Lage ernst ist: Österreichs Wirtschaft ist in der Rezession. Das ist der schlechtestmögliche Zeitpunkt, ein Jahr schrillen Dauerwahlkampf einzuläuten. Denn ein Jahr gereizte Aufgeregtheit, das ist niemand zumutbar.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin