Großer Pomp und kleine Boote
Kaum eine Nation beherrscht die Kunst der Zeremonie wie die Briten, und diese Woche bot sich dafür eine ganz besondere Gelegenheit. Am Mittwoch reiste Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach London, es war der erste Staatsbesuch eines europäischen Regierungschefs seit dem Brexit. Umso wichtiger war es, die richtigen Bilder um die Welt zu schicken: Macron, wie er beschwingt aus dem Flugzeug steigt, Prinz William begrüßt und Prinzessin Kates Hand küsst; Macron mit Gattin Brigitte in der goldverzierten royalen Kutsche; Macron mit der Ehrengarde, vor der Militärkapelle, beim Empfang des Königs und beim Staatsbankett.
Pompöser geht es nicht, und das hat Gründe. Die Botschaft: Die Beziehungen sind wieder gut, endlich, nach Jahren des Streits wegen des Brexits, nach gefühlt unzähligen britischen Premierministerinnen und Premierministern, die für Frankreich und die EU nichts übrighatten. Macron hat fünf britische Regierungschefs erlebt, und bis zum aktuellen, dem Labour-Chef Keir Starmer, waren die Beziehungen miserabel.
Nach dem Wahlsieg Starmers vor einem Jahr haben Frankreich und Großbritannien einen „Reset“ ausgerufen, einen Neustart also, und seither war Starmer schon fünf Mal in Paris. Im Frühjahr organisierten die beiden an Washington vorbei mehrere Verteidigungsgipfel, im Mai reisten sie zusammen nach Kyiv, immer wieder telefonierten sie gemeinsam mit US-Präsident Donald Trump. Und sie riefen die „Koalition der Willigen“ aus, ein informelles Staatenbündnis, das zuverlässig Geld und Waffen in die Ukraine schickt und den Frieden sichern will, zur Not auch mit Bodentruppen.
Für Macron war es wichtig, noch vor Trump nach London eingeladen zu werden, für Starmer bedeutet die Normalisierung der Beziehungen zu Paris auch eine Annäherung an die EU. Abseits von Pomp und wortreichen Freundschaftsbekundungen verfolgt Starmer ein realpolitisches Ziel: ein Ende der Migration über den Ärmelkanal. „Small boats“ ist längst zum politischen Kampfbegriff geworden. Die kleinen Boote, mit denen die Menschen von Frankreich nach Großbritannien gelangen, sind die große offene Frage zwischen Großbritannien und Frankreich.
In der ersten Jahreshälfte sind heuer fast 20.000 Menschen über den Ärmelkanal nach Großbritannien gekommen, das sind 8500 mehr als im Vergleichszeitraum 2024. Die Zahlen steigen, da helfen auch die 750 Millionen Euro nicht, die London Paris für schärfere Kontrollen überwiesen hat. Als die BBC vorige Woche ein Video zeigte, in dem französische Polizisten an der Küste von Calais ein mit Migranten voll besetztes Schlauchboot aufschlitzen, um sie am Losfahren zu hindern, jubelte der britische Boulevard. Und der Rechtspopulist Nigel Farage wird mit seinem Antimigrationskurs immer beliebter. In Umfragen liegt seine Reform Party mittlerweile auf dem ersten Platz.
Wie die Premierminister vor ihm verspricht auch Starmer, die Route über den Ärmelkanal dichtzumachen. Doch seit dem Brexit hat London keine Möglichkeit mehr, die Flüchtlinge in jenes Land zurückzuschicken, in dem sie erstmals EU-Boden betreten haben. Deswegen braucht Starmer Macron. Vereinbart wurde nun ein Deal nach dem One-in-one-out-Prinzip: Für jeden Migranten, den Frankreich zurücknimmt, soll Großbritannien einen Flüchtling mit Bezug zum Vereinigten Königreich aufnehmen. Damit gäbe es keinen Anreiz mehr, es über den Ärmelkanal zu versuchen, die kleinen Boote wären endlich Geschichte, so die Hoffnung. Zuvor hatte Frankreich an so einem Abkommen wenig Interesse gezeigt, doch nun klappte es. Gelingt ihm die Schließung der Flüchtlingsroute, wäre das Starmers größter Erfolg in der bisher eher glücklos verlaufenen Amtszeit. Kein Wunder also, dass Macron in London empfangen wurde wie ein König.
17 Jahre sind seit dem letzten Staatsbesuch Frankreichs im Vereinigten Königreich vergangen, und Macron hatte eine besondere Überraschung parat. Er kündigte an, die berühmte Tapisserie von Bayeux nach London bringen zu lassen. Das 68 Meter lange, kunstvoll bemalte Tuch aus dem Hochmittelalter zeigt Szenen der Eroberung Englands durch die Normannen. Das letzte Mal war es vor 900 Jahren in England, ab September soll es für zehn Monate im British Museum ausgestellt werden – rechtzeitig zum 1000. Geburtstag des Normannenherzogs Wilhelm der Eroberer. Auch der französische Präsident weiß um die Macht der Symbole.