Martin Staudinger: Anschlags-Blabla

Sieben Sätze über den islamistischen Terrorismus, die niemand mehr hören kann.

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Donnerstag vergangener Woche in der Innenstadt von Antwerpen, Mittwoch auf der Westminster Bridge in London, am Samstag zuvor im Flughafen Paris-Orly: zwei Angreifer erschossen, einer verhaftet; mindestens vier Unbeteiligte tot und mehr als drei Dutzend verletzt – das ist die vorläufige Bilanz von zwei ausgeführten Anschlägen und einem gerade noch verhinderten, bei denen noch nicht klar ist, ob sie vom „Islamischen Staat“ (IS) als Terrorwelle konzipiert wurden oder nur eine zufällige zeitliche Häufung eigenständiger Taten waren.

Rund zwei Dutzend einschlägige Attacken haben selbst ernannte „Soldaten“ oder Sympathisanten des IS seit Ende 2014 in Europa verübt. Die Reaktionen darauf erschöpfen sich in den immer gleichen Stehsätzen, die mehr ideologischen Bestemm beweisen als das Bedürfnis nach Lösungen.

Eine Auswahl (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) von Plattitüden:

1.Die Sicherheitsbehörden brauchen größere Befugnisse

Wenn es tatsächlich darum gehen sollte, den Terrorismus einzudämmen, dann leisten Polizei und Geheimdienste bereits jetzt gute Arbeit. Soweit es sich nachvollziehen lässt, ist die Zahl der von ihnen vereitelten Anschläge weitaus größer als jene der Attentate, die durchgeführt werden. Offenbar reichen die prinzipiellen Befugnisse der Behörden also aus, um erfolgreiche Prävention zu betreiben. Dass es einzelnen Tätern oder Zellen trotzdem immer wieder gelingt zuzuschlagen, wäre nicht einmal von einem totalitären Polizeistaat zu verhindern – angesichts der Vielzahl von potenziellen Terroristen, über deren Gefährlichkeit oft nur Zufälligkeiten oder Nuancen der Radikalisierung entscheiden.

2. Es darf nicht mehr Überwachung geben

Überwachungskameras verhindern keine Anschläge, das ist mittlerweile hinlänglich bewiesen. Terroristen können zudem darauf spekulieren, durch die Veröffentlichung von Videos ihrer Attentate noch mehr Öffentlichkeitswirkung zu erzielen. Aber: In Echtzeit können die Aufnahmen dazu dienen, auf der Flucht befindliche Angreifer zu verfolgen; als Aufzeichnungen sind sie nützlich, um die Vorgangsweise der Täter zu rekonstruieren und dadurch Rückschlüsse auf ihr Umfeld von Tätern und ihre möglichen Vernetzungen zu ziehen – wie auch durch Vorratsdatenspeicherung. All diese Maßnahmen sollten jedoch nicht in ein nicht mehr hinterfragtes Gewohnheitsrecht übergehen, sondern verpflichtend immer wieder neu verhandelt und auf die Gefährdungslage abgestimmt werden.

3. Die europäischen Geheimdienste müssen sich besser ­koordinieren

Stimmt – und diesen Satz kann deshalb niemand mehr hören, weil nichts dagegen spricht und trotzdem keine entschlossenen Schritte in diese Richtung erkennbar sind.

4. Die Grenzen müssen dichtgemacht werden

Ohne Asylwerber und Zuwanderung kein Terrorismus? Das ist ebenso illusorisch wie die Hoffnung, Anschläge durch Abschottung verhindern zu können. Die wenigsten Attentäter der vergangenen Jahre kamen als Flüchtlinge oder waren zuvor für Mordbrigaden wie den IS in den Krieg gezogen; bei der Mehrzahl handelte es sich um Kleinkriminelle mit Migrationshintergrund, die in Europa aufgewachsen waren und den Kontinent nie verlassen hatten.

5. Die Muslime sind an allem schuld

Das ist ungefähr so treffend, als hätte man in den 1970er-Jahren die gesamte Linke für die Verbrechen der RAF in die Verantwortung genommen. Egal wie konservativ viele Muslime in religiöser und gesellschaftlicher Hinsicht sein mögen – zu Terroristen wird nur eine verschwindende Minderheit, die sich nicht einmal zwangsläufig durch besondere Glaubensfestigkeit auszeichnet.

6. Der Islam hat nichts damit zu tun

Nein, nicht ganz allgemein und pauschal. Aber als Bezugssystem, auf das sich Mordbrigaden wie der IS berufen und das auch als Legitimation für barbarische Justizsysteme wie jenes in Saudi-Arabien dient, spielt die Religion zweifellos eine Rolle.

7. Wir müssen mit dem Terror leben lernen

Müssen wir nicht – auch wenn nicht abzusehen ist, dass die islamistisch motivierten Anschläge in absehbarer Zeit aufhören werden. Sich damit abzufinden, ist aber ein viel zu resignativer Ansatz. Das Ziel muss es natürlich sein, der islamistischen Gewalt die Grundlage zu entziehen, und dazu gehören nicht nur geeignete Fahndungsmaßnahmen, sondern – auch wenn die Forderung danach allgemein belächelt wird – genauso intensive Sozial- und Integrationsbemühungen. Die Geschichte früherer Terrorbewegungen lehrt: Ihr Ende kommt erst, wenn sich Unterstützer und Sympathisanten von ihnen abwenden.

„Entschlossenheit allein wird diesen Feind nicht besiegen. Dafür müssen Terroristen nicht nur ihrer Waffen, sondern auch ihrer Ideologie entledigt werden“, kommentierte die Londoner „Times“ nach den jüngsten Anschlägen: „Das ist eine Generationenaufgabe vom Ausmaß der Entnazifizierung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.“

Und für die braucht es vor allem großen Ideenreichtum – aber keine Stehsätze.

[email protected] Twitter: @martstaudinger

Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 13 vom 25.3.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.