Leitartikel

Martin Staudinger: Trump bleibt

Auch wenn der amtierende US-Präsident die Wahl verlieren sollte – seine Anhänger und ihre Ideen verschwinden deswegen nicht so einfach.

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Bleibt uns Donald Trump erhalten? Ja, auf jeden Fall – und zwar egal, wie die Wahl (und seine Corona-Erkrankung: Gute Besserung jedenfalls!) ausgeht. Dass der skandalöse Präsident auch nach dem 3. November nicht einfach verschwinden wird, hat allerdings weniger mit seinen Drohungen zu tun, das Ergebnis nicht zu akzeptieren, wenn es gegen ihn ausfallen sollte; und auch nicht mit den vorhersehbaren Verzögerungen durch die langwierige Auszählung der Briefwahlstimmen und die erwartbare Anfechtung von Resultaten.

Verliert Trump, worauf die Umfragen derzeit stark hindeuten, dann wird er gehen müssen: Die Institutionen der US-Demokratie sind trotz aller Unterminierungsversuche so untadelig, dass ihre Beteiligung an einem Verfassungsputsch undenkbar ist – das gilt auch für den Obersten Gerichtshof, der nach dem Tod der liberalen Richterin Ruth Bader Ginsburg nun mehr konservativ dominiert ist und die zentrale Rolle bei der Entscheidung über strittige Wahlen spielt.

Bleiben wird jedoch das, wofür Trump steht und was er repräsentiert. Das zeigt ein Blick auf die Prognosen für die sogenannte popular vote, also die Gesamtheit der bundesweit abgegebenen Stimmen. Sie ist nicht zwangsläufig wahlentscheidend, weil im komplizierten US-System die einzelnen Ergebnisse der Bundesstaaten den Ausschlag geben – wie das Jahr 2016 gezeigt hat, kann man landesweit unterliegen und trotzdem gewinnen.

Heuer haben sich rund 146 Millionen US-Bürger für die Wahl registrieren lassen, tatsächlich zur Abstimmung gehen im langjährigen Schnitt 120 bis 130 Millionen. Wenn die Meinungsforschung nicht völlig irrt, werden sich rund 43 Prozent von ihnen (Stand vergangener Woche vor Bekanntwerden der Covid-Infektion Trumps) neuerlich für den Amtsinhaber entscheiden. Das sind in absoluten Zahlen mehr als 55 Millionen Wählerinnen und Wähler.

Ihre Motivation, einem gefährlich verhaltensoriginellen Politiker wie Trump nach allem, was er sich in den vergangenen vier Jahren geleistet hat, erneut ins Weiße Haus zu verhelfen, ist bei Weitem nicht nur die blanke, irrationale Wut und der Rechtsextremismus, die Anhängern des 45. Präsidenten gerne – und vielfach zu Recht – attestiert werden. In Interviews und Umfragen treten auch völlig legitime Anliegen in großer Zahl zutage.

Trump-Wähler sind nicht zwangsläufig Trumpianer. Viele stimmen trotz Trump für Trump. Sie sind sich völlig im Klaren darüber, wie bizarr sein Verhalten ist, aber sie sehen darüber hinweg, weil sie sich gut von ihm vertreten fühlen. „Ich würde ihn nicht als besten Freund oder überhaupt als Freund haben wollen. Auch finde ich manches, was er tut, verletzend“, sagt die ehemalige Krankenpflegerin Mary Small aus dem Bundesstaat Washington im Gespräch mit profil. Für Trump stimmen wird sie trotzdem – weil sie davon überzeugt ist, dass er 80 Prozent seiner Ankündigungen und Versprechen eingehalten hat.

Immer wieder genannte Wahlargumente für Trump sind sein Eintreten für christliche Werte; sein Staatsegoismus im Interesse der USA; sein Konfrontationskurs gegen China; seine harte Einwanderungspolitik. Viele schätzen ihn dafür, dass er den Obersten Gerichtshof mit konservativen Juristen umzudrehen versucht. Und gar nicht wenige halten ihm ganz individuelle Verbesserungen zugute: wieder einen Job gefunden zu haben, beispielsweise.

Man muss sich all das nicht zu eigen machen und sich schon gar nicht politisch damit identifizieren: Irrationale Entscheidungsgrundlagen sind es aber keineswegs. Und selbst wenn Trumps angebliche Erfolge einem Faktencheck vielfach nicht standhalten – wer noch nie von einer Partei enttäuscht wurde und ihr trotzdem wieder seine Stimme gegeben
hat, der werfe den ersten Wahlzettel.

Es besteht wenig Zweifel, dass Donald Trump den Vereinigten Staaten kein gutes Erbe hinterlassen wird: Die vorsätzliche Beschädigung der Demokratie und die komplette Verrohung der Politikgehören ebenso dazu wie die Salonfähigkeit von Verschwörungstheoretikern und neuen rechtsextremen Bewegungen. Sein (eigentlich nicht beabsichtigtes) Verdienst besteht aber darin, schmerzhaft sichtbar gemacht zu haben, was Millionen und Abermillionen von Amerikanerinnen und Amerikanern zu tun glauben müssen, um ihren unerfüllten Hoffnungen und Ideen zum Durchbruch zu verhelfen – nämlich jemanden wie ihn nicht nur ein, sondern sogar zwei Mal zu wählen.

Gut möglich, dass viele von ihnen wieder in der Unsichtbarkeit verschwinden, aus der sie 2016 gekommen sind, wenn Donald Trump nach dem 3. November tatsächlich Geschichte ist. Jetzt weiß man aber, dass es sie gibt. Und dass es angeraten ist, sie nicht einfach mit den neurechten Extremisten gleichzustellen, in deren Ecke sie von Trump gezwungen wurden – sondern sich bewusst mit ihnen auseinanderzusetzen.

 

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