Leitartikel: Michael Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh Blick zurück im Zorn

Blick zurück im Zorn

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Wer Dienstag vergangener Woche Josef Prölls ersten Budgetmonolog im Parlament aufmerksam verfolgte, musste zu der Einsicht gelangen, da habe einer morgens zu viel rohes Fleisch abbekommen: Von einer „Kampfansage an die Krise“ war ebenso die Rede wie von „vernichteten Werten“, „fanatischen Gegnern der Marktwirtschaft“ oder von der „Jagd auf immer höhere Renditen“. Bei all der emotional aufgeladenen Krisenrhetorik ging eine knappe Passage beinahe unter: „Dennoch bleiben die hohen Schulden, die wir geerbt haben, eine schwere Last, die wir durch die Krise zu tragen haben.“Am Abend des gleichen Tages wurde der Finanzminister im „ZiB 2“-Studio dann noch deutlicher: „Die Schulden aus den siebziger Jahren belasten uns bis heute.“

Kommt Ihnen daran etwas bekannt vor? Sollte es. Mittwoch, 18. Oktober 2000: Karl-Heinz Grasser wagt sich an seine (zweite) Budgetrede: „Wir haben unser Land mit mehr als 2000 Milliarden Schilling Schulden übernommen. Hohe Rückzahlungen für Altschulden führen zu Manövrierunfähigkeit, dem Verlust von Gestaltungsspielraum und massiver Einschränkung von Zukunftsinitiativen.“

Seit mehr als zwei Jahrzehnten sitzt die ÖVP nun ohne Unterbrechung in der Bundesregierung, seit bald einem Jahrzehnt stellt sie en suite den Finanzminister. Und selbst wenn sie es immer noch nicht wahrhaben will: Sie ist längst Teil jener Vergangenheit, auf die sie sich immer ausredet. Wer heute noch die „siebziger Jahre“ strapaziert – Namen wie Bruno Kreisky oder Hannes Androsch müssen nicht erst ausgesprochen werden, es weiß ja eh jeder, wer gemeint ist –, macht es sich jedenfalls zu leicht.

Als Kreisky im Frühjahr 1983 nach 13 Jahren an der Regierungsspitze abdankte, kratzten Österreichs Staatsschulden (zugunsten tausender gesicherter Arbeitsplätze) erstmals an der Marke von umgerechnet 40 Milliarden Euro und bewegten sich damit tatsächlich in ungekannten Höhen – für damalige Verhältnisse, wohlgemerkt. Die von der Oesterreichischen Nationalbank geführten Zahlenreihen, harmonisiert nach den heute gültigen Maastricht-Kriterien, reichen zurück bis in die frühen achtziger Jahre. Und siehe da: 1983 erreichten Österreichs Staatsschulden allem „deficit spending“ und der schweren Wirtschaftskrise der siebziger Jahre zum Trotz gerade einmal 43,6 Prozent des BIP. Zur Erinnerung: Für 2009 rechnet Pröll mit einer Verschuldungsquote von 68,5 Prozent, 2010 sollen es sogar 73 Prozent sein – und das auch nur unter der gewagten Annahme, dass die Konjunktur tatsächlich wieder anspringt. Es ist unbestritten, dass Kreiskys Schuldenpolitik eine Bürde für spätere Generationen darstellen sollte. Es ist auch unbestritten, dass weder die SPÖ/FPÖ-Koalition 1983 bis 1986 noch die große Koalition 1987 bis 1999 in der Lage waren, den ausufernden Verbindlichkeiten annähernd beizukommen.

Wer im Staatshaushalt fortwährend rote Zahlen schreibt, kann nun einmal keine Schulden tilgen. Als Karl-Heinz Grasser 2000 antrat, lagen Österreichs Verpflichtungen bereits bei 138 Milliarden Euro (66,5 Prozent des BIP), auf dem Budget lasteten Aufwendungen allein aus Zinsen und Tilgungen von 21 Milliarden Euro.

Hat Grasser die Staatsfinanzen nachhaltig saniert? Nicht annähernd. Er filetierte zwar die ÖIAG, machte UMTS-­Telekommunikationslizenzen zu Geld, höhlte die Oesterreichische Nationalbank aus und erquickte die Steuerzahler mit Glanzideen wie Studien- und Ambulanzgebühr. Die groß angekündigte Verwaltungsreform dagegen sollte den Namen nicht verdienen, Sozialversicherung und Pensionssystem sind bis heute Großbaustellen. Und selbst das etwas unscharf berechnete „Nulldefizit“ sollte, wie man heute weiß, nur Illusion bleiben. Das ist im Rückblick vor allem deshalb so erschütternd, weil Grasser das seltene Privileg einer echten Hochkonjunktur hatte. Dank sprudelnder Steuereinnahmen konnte die Verschuldungsquote in der Ära Grasser aber zumindest vorübergehend auf 62 (2007 waren es dann sogar 59,4) Prozent des BIP gedrückt werden. Auf Grasser folgte Wilhelm Molterer. Und auch er erlag in seiner ersten (und letztlich einzigen) Budget­rede am 29. März 2007 der Ver­suchung des rückwärtsgewandten Polemisierens: „Der Schuldenrucksack vergangener Jahrzehnte hängt noch immer schwer an unseren Schultern. Jährlich zahlt jede Österreicherin und jeder Österreicher 3050 Euro an Zinsen und Schuldentilgung. Das ist eigentlich unzumutbar. Eine solche Hypothek wird es mit mir als Finanzminister nicht geben.“

Das wahrhaft Absurde an der jüngsten Staatsschuldendebatte ist: Auch der konservative Josef Pröll macht in der Wirtschaftskrise genau das, was seinerzeit Androsch unter Kreisky getan hatte. Er drückt Staatsgeld in den Markt, um Arbeitsplätze und Konjunktur zu retten. Und das um den Preis einer noch viel höheren Staatsverschuldung. So gesehen wiederholt sich die Geschichte unter anderen Vorzeichen. Gut möglich, dass irgendwann in dreißig Jahren – die Krise 2009 wird lange vergessen sein – ein roter Finanzminister in einer Budgetrede der Idee verfällt, die Ära Pröll zu geißeln.

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Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.