Michael Nikbakhsh

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Da war doch was. War da was? Ja, eh. Ist aber auch schon wieder zwei Jahre her. Außerdem liegt Fukushima am äußeren Rand der Welt, also jedenfalls weit weg. Und wer, von ein paar linken Ökospinnern einmal abgesehen, redet, bitte schön, heute noch von Tschernobyl?

Die EU-Kommission, die Energiepolitik und kein Ende. Vergangene Woche sickerte in Brüssel der Entwurf zu einer neuen Beihilferichtlinie durch, die der Atomenergie made in Europe einen zweiten (oder ist es nicht doch schon der dritte?) Frühling bescheren soll. EU-Kommissar Joaquín Almunia (das ist jener Herr, der die Hypo Alpe-Adria lieber heute als morgen zerschlagen sähe, um den seiner Wahrnehmung nach verzerrten Wettbewerb zu entzerren) intendiert umfassende Erleichterungen für den Bau neuer Reaktoren quer durch Europa. Die Mitgliedsstaaten sollen künftig in die Lage versetzt werden, den Bau von Kernkraftwerken großzügig und vor allem unbürokratisch mit Steuergeldern zu alimentieren – also ohne sich gleich beschwerliche Beihilfeverfahren einzuhandeln. Das war bisher nur den Energien aus erneuerbaren Quellen vorbehalten, also etwa Wind und Sonne.

Almunia geht gar so weit, die Förderung von Atomenergie als „Gemeinschaftsziel“ zu definieren. Schließlich sei diese ja eine „low carbon“-Technologie, also arm an klimawandelnden Kohlenstoffen. Wie beruhigend.

Nun ist es ja nicht so, dass die EU-Kommission erst kürzlich die Affinität zur Kernspaltung entdeckt hätte. Die Atomkraft ist vielmehr untrennbar mit der europäischen Idee verbunden. Der Euratom-Vertrag etwa gehört zu den EU-Gründungsdokumenten aus dem Jahr 1958. Noch 2007 bejubelte die Kommission in einem Positionspapier die „Geschäftsmöglichkeiten für europäische Unternehmen und potenzielle Vorteile für die Wirtschaft in der EU“ im Bereich der Kernenergie. Dann kam Fukushima, die deutsche Energiewende, und die Debatte flachte ab.

Sie wurde nur eben nie beendet. Großbritannien und Frankreich denken gar nicht daran, ihre AKW abzuschalten. Polen, Tschechien, die Slowakei oder Litauen ebenso wenig. Im Gegenteil: Neue Reaktoren (in Europa hängen derzeit rund 130 Meiler am Netz) sind längst in Planung. Und die neue EU-Richtlinie soll staatlich gestützte Investitionen fortan erleichtern. Bisher mussten Subventionen generell ein langes und komplexes Beihilfeverfahren durchlaufen (siehe Hypo Alpe-Adria), an dessen Ende auch ein Veto stehen konnte. Das schafft Unsicherheit. Und das mögen Investoren nun einmal gar nicht.

Denn natürlich geht es der Kommission im Allgemeinen, Wettbewerbskommissar Almunia im Besonderen nicht um das Klima. Es geht zunächst einmal ums Geld, um den Versuch, die Hegemonie der europäischen Atomindustrie zu festigen: die französischen Staatskonzerne Eléctricité de France (größter Atomstromerzeuger der Welt) und Areva (einer der bedeutendsten Erzeuger ziviler und militärischer Reaktoren) etwa, die schwedische Vattenfall-Gruppe, die italienische Enel und natürlich die deutschen Versorger E.ON, RWE und EnBW, die so gar keine Freude mit Angela Merkels separatistischer Energiewende haben.

Der Schutz europäischer Interessen ist an sich nicht verwerflich, da die Union sich nicht nur als Friedensprojekt, sondern vor allem als Wirtschaftsverbund definiert. Und die Firma Europa benötigt nun einmal eine Menge Energie, die – mit heutigem Stand der Technik – aus erneuerbaren Quellen allein nicht zu beschaffen ist. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass Österreich unter den EU-28 schon allein aufgrund seiner Wasserreserven privilegiert ist, weshalb man hierzulande vergleichsweise gefahrlos gegen AKW sein kann (was allerdings nichts an der Tatsache ändert, dass auch Österreich Atomstrom importiert). Dennoch: Kernkraft war, ist und bleibt unbeherrschbar. Da kann die Energiebilanz gegenüber kalorischen Kraftwerken noch so gut sein. So gesehen ist die geplante Richtlinie – sie muss noch durch den Rat der Europäischen Union und das EU-Parlament (Österreichs Regierung hat immerhin Widerstand angekündigt) – ein Schritt vorwärts in die Vergangenheit. Übrigens auch in materieller Hinsicht.

Im September 2009 veröffentlichte Greenpeace eine Studie des deutschen Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft. Demnach stützte die Bundesrepublik Deutschland die deutsche Atomindustrie zwischen 1950 und 2008 mit einem Betrag von insgesamt knapp mehr als 160 Milliarden Euro – direkte Investitionen in Kraftwerke, Darlehen, Haftungen, Forschungsförderungen und Steuererleichterungen. Das Resümee der Autoren: Ohne staatliche Subventionen ließen sich Atomkraftwerke niemals kostendeckend betreiben, da der Strompreis gegenüber anderen Energieträgern schlicht nicht konkurrenzfähig sei.

Man stelle sich vor, wo Europas Energiewirtschaft heute stünde, wäre zumindest ein Teil dieser Milliarden in die Erforschung und Erschließung alternativer Energiequellen geflossen.

Aber so.

Immerhin scheint sich für die von einem laufenden Beihilfeverfahren geplagte Hypo Alpe-Adria jetzt ein window of opportunity zu öffnen: Sie sollte erwägen, irgendwo ein Atomkraftwerk zu errichten. Nur bitte ganz weit weg.

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Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.