Satire

Nikowitz: „It must have been love …

… but it’s over now“ (Roxette 1987; derzeit Nummer 1 in Eva Dichands Spotify-Playlist)

Drucken

Schriftgröße

Noch niemals zuvor in ihrem ganzen Leben war sie dermaßen enttäuscht worden. Nicht vom Leitinger Schorsch, der sie damals in der Sechsten wegen dieser Schlampe von Disco-Kellnerin stehengelassen hatte, und auch nicht von ihrem Mann, der doch tatsächlich die Stirn gehabt hatte, damals beim ersten Heiratsantrag, den sie ihm gemacht hatte, Nein zu sagen. Normalerweise war Eva ja auch eine, die solche Rückschläge nur noch stärker machten. Aufstehen, Krönchen richten – und unbeirrt weitergehen. Der Leitinger Schorsch hatte dann sehr lange auf keiner Klowand mehr eine gute Nachrede gehabt. Und vor dem zweiten Heiratsantrag brachte sich Eva einfach im Selbststudium den Doppelnelson bei. 

Aber jetzt, jetzt fiel selbst ihr kein Ausweg mehr ein. Denn man konnte nichts mit jenem Scherbenhaufen vergleichen, vor dem sie jetzt stand. Und der einmal ihr Herz gewesen war. Denn noch niemals war sie in der Öffentlichkeit so dagestanden wie jetzt und, weitaus schlimmer, hatte um das Allerheiligste bangen müssen: das Geschäft. Was ihr dieser Hochstapler alles versprochen hatte! Und was er ihr jetzt alles antat, nur um seine erbärmliche Haut zu retten, wo doch ihre objektiverweise viel eher Rettung verdiente! Eva war fassungslos angesichts von so viel Schlechtigkeit. 

Wenn es in der verzweifelten Lage, in der sie sich befand, aber so etwas wie einen zumindest schwachen Trost gab, dann den, dass sie mit ihrem Elend nicht allein dastand. Der Klub der von Thomas Schmid bitter Enttäuschten wurde schließlich beinahe täglich größer. So kam es eben, wenn einer zuerst Everybody’s Darling gewesen war – und jetzt mit einem Mal alle früher von ihm Verzückten erkennen mussten, dass sie einem Scharlatan aufgesessen waren. Einem politischen Heiratsschwindler, der sie alle mit seinem Love Scam umgarnt hatte – und sie jetzt vor aller Augen ausspuckte, einen Verflossenen nach dem anderen, alle entgeistert, alle tief verletzt. Wie konnte er ihnen das nur antun? Nach allem, was man gemeinsam bewegt hatte! Für das Land. Für die Menschen. Gut, vielleicht nicht für alle Menschen. Das konnte man auch nicht verlangen. Aber wenigstens für die wichtigsten. 

Keiner hat so viele gebrochene Herzen zu verantworten wie der politische Heiratsschwindler Thomas Schmid.

War es ein Wunder, dass manche von ihnen Stunden über Stunden damit verbrachten, düstere Racheszenarien auszubrüten? Sabine Beinschab etwa. Sie war ja unter ihnen eine der am frühesten Verlassenen gewesen, hatte also genügend Zeit für eine zündende Idee gehabt. Und sie war schließlich immer noch ein Profi. Und Sophie Karmasin erst! Was die mitgemacht hatte! Wenig überraschend also, dass sich die beiden eine Umfrage ausgedacht hatten, in der Thomas Schmid nicht etwa mit einem mutigen Löwen oder einem schlauen Füchslein assoziiert wurde, sondern zu bedauerlichen 62,4 Prozent mit einer dreckigen Kanalratte. Auf Platz 2 mit 47,8 Prozent (Mehrfachnennungen waren möglich): ein vietnamesisches Hängebauchschwein. Doch selbst Wolfgang Fellner, der normalerweise nicht unbedingt den Drang verspürte, sich in diesen Angelegenheiten unbedingt päpstlicher als Donald Trump gerieren zu müssen, traute sich nicht, diese Umfrage zu veröffentlichen. Allein daran zeigte sich, was diese Natter Schmid, die sie alle miteinander blauäugig an ihren Busen genährt hatten, angerichtet hatte. Wie sehr er das vorher so gedeihliche politische Klima vergiftet hatte. Also, jetzt. Nicht damals.

Andere hatten sogar noch deutlich brutalere Rachefantasien, die aber ebenso keine Chance auf Verwirklichung hatten. Gernot Blümel konnte einen eigentlich durchaus gefinkelten Plan vorweisen, der zum kompletten finanziellen Ruin von Schmid geführt hätte. Er müsste dazu nur eine gemeinsame Firma mit ihm gründen – und dann sein geballtes Know-how einsetzen. Aber Schmid würde da natürlich niemals anbeißen, zu Recht misstrauisch ob so viel plötzlicher und unerwarteter Güte. 

Aber eines musste sich Eva, so hart sie das alles auch getroffen haben mochte und so ganz frisch waidwund sie auch war, dennoch selbst eingestehen: Es gab da jemanden, den es noch härter getroffen hatte. Dessen Schmerz, so unvorstellbar das auch sein mochte, über ihren hinausging, weil er nicht nur ein paar Inserate und eine kundenfreundlichere Stiftungsgesetzgebung verloren hatte, sondern einfach alles. Und bei dem die Liebe vorher natürlich auch besonders groß gewesen war. Doch Sebastian wäre nicht Kurz gewesen, wenn er nicht sogar jetzt Contenance bewahrt hätte. Nur einmal war nach einem Eistee zu viel an einer Hotelbar beim Satz: „Und ich dachte, der Silberstein war gemein!“ eine kleine Träne an seinem Teflon-Make-up hinabgeperlt. Ansonsten verdrängte er die Vergangenheit, wie nur er es konnte, und stürzte sich in die Arbeit, baute sein internationales Netzwerk weiter aus. Gerne auch in Ländern mit viel Sonne, großzügiger Steuergesetzgebung und keinen Auslieferungsabkommen.  

Eva musste ihn da  übrigens unbedingt einmal nach einer Liste fragen. 

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort