Peter Michael Lingens
Peter Michael Lingens: Lässt der IWF den Sparpakt kippen?

Peter Michael Lingens: Lässt der IWF den Sparpakt kippen?

Peter Michael Lingens: Lässt der IWF den Sparpakt kippen?

Drucken

Schriftgröße

Nachdem mein Kollege Georg Hoffmann-Ostenhof auf das jüngste Papier des Internationalen Währungsfonds (IWF) hingewiesen hat, in dem dessen Ökonomen erstmals Zweifel an Sinn und Erfolg der aktuellen Sparpolitik anmelden, habe ich das Dokument von Lesern ein Dutzend Mal zugeschickt bekommen: Es müsse mich doch hoffnungsvoll stimmen, dass diese Gralshüter beinharter Sanierungspolitik zwar sehr wortreich (weil ständig bisherige IWF-Positionen relativiert werden mussten), aber doch unmissverständlich klargestellt haben, dass die in der EU eingeschlagene Politik staatlichen Sparens nicht funktioniert:

- Sie habe nicht, wie erhofft, zu einem Abbau der Schulden und einem Anstieg des Wirtschaftswachstums, sondern vielfach zum Gegenteil geführt.

- Daher sei es vielleicht doch klüger, den Schuldenabbau auf Zeiten einer erholten Konjunktur zu verschieben. Intelligente, (Keynes-kritische) bürgerliche Ökonomen wie der Wiener Finanzwissenschafter Erich Streissler haben das schon vor Jahren ganz unaufgeregt in ihrer Vorlesung gelehrt: Im Zuge einer Krise dürfe der Staat nicht sparen. Versuche er es dennoch, ginge es zwingend schief.

Es ist wirklich so simpel, wie ich es hier schreibe. Es gibt eigentlich nur eine Möglichkeit, diese Selbstverständlichkeit zu ignorieren: ideologische Verblendung.

Ich behaupte unverändert, dass es zu dieser Erkenntnis überhaupt keines wirtschaftlichen Wissens, sondern bloß des gesunden Menschenverstandes bedarf: Wie soll die Wirtschaft wachsen (mehr produzieren und mehr verkaufen), wenn der Staat als einer von drei wichtigen Einkäufern von Gütern und Leistungen auf die Bremse tritt. Ohne dass die geringste Chance besteht, dass die beiden anderen, Unternehmen oder Konsumenten, mehr einkaufen?

Es ist wirklich so simpel, wie ich es hier schreibe. Es gibt eigentlich nur eine Möglichkeit, diese Selbstverständlichkeit zu ignorieren: ideologische Verblendung.

Deshalb, weil Ideologie die eigentliche Basis der Austerity-Politik und des aus ihr erwachsenen Sparpaktes ist, bin ich nicht so zuversichtlich wie Hoffmann-Ostenhof und einige meiner Leser, dass sich bald etwas ändern wird.

Denn Wolfgang Schäuble ist ein Fundamentalist: Er glaubt mit schwäbischer Inbrunst an die Gottgefälligkeit des Sparens. Es bereitete ihm Seelenqualen, in gewachsener Staatsschuld nicht mehr gewachsene moralische Schuld zu sehen. Ich kann mir bei ihm, anders als bei Angela Merkel, nicht vorstellen, dass er sich korrigiert – es wäre, als forderte man ihn zum Konvertieren auf. Bei manchen deutschen Ökonomen scheint das ähnlich, und auch manche Kollegen scheinen moralisierende Ideologie weit über kritische Wahrnehmung zu stellen: Die wirtschaftlichen Probleme Europas haben in ihren Augen nicht die kostspielige Bewältigung der Finanzkrise zur Ursache und haben auch nichts mit dem fortgesetzten deutschen Leistungsbilanzüberschuss und der Ungleichverteilung der Vermögen zu tun, sondern rühren von „überbordenden Sozialausgaben“ des Staates her – weil es den sozial Schwachen bekanntlich besser denn je geht.

Manche der so Argumentierenden sind zwar einfach nur dumm und nicht bereit, Zahlen nachzusehen, aber viele sind wie Schäuble: Sie glauben an die Unmoral staatlichen Geldausgebens (das sie allenfalls mit „Vergeudung“, nie mit „Investition“ assoziieren) und sind überzeugt von der wundertätigen, heilsamen, erlösenden Wirkung staatlichen Sparens.

Das ist ein Schäuble’sches Dogma.

Kann Österreich aus dieser Politik ausscheren? Vielleicht!

Ich fürchte daher, dass der Sparpakt nicht über Bord geworfen, sondern in Zukunft nur noch öfter und von noch mehr Staaten de facto nicht eingehalten werden wird. Das aber ist die schlechteste aller Lösungen: Die jeweiligen Finanzminister probieren zwar, die Staatsausgaben zu vermindern, aber es kann nicht gelingen, weil es in erster Linie die Arbeitslosigkeit, nicht aber Konsum und Wirtschaftsleistung steigert.

Kann Österreich aus dieser Politik ausscheren? Vielleicht! Der Sparpakt lässt zwar nicht offiziell zu, die vorgeschriebenen Sparziele zu verfehlen, aber er räumt mittlerweile ein, staatliche Investitionen, die der Verbesserung der Infrastruktur dienen, nicht zwangsläufig mitzuzählen, wenn es um die Feststellung des erlaubten Defizits geht. Statt dass freilich von vorherein feststünde, welche Investitionen das sind, erklärt sich die EU nur bereit, Defizitüberschreitungen im Nachhinein vielleicht unter diesem Gesichtspunkt zu akzeptieren. Aber darauf könnte sich Hans Jörg Schelling angesichts sicherer Defizitsünder wie Frankreich oder Italien einlassen:

- Österreich könnte ein gewaltiges Ganztagsschul-Bauprogramm beschließen. - Es könnte erhebliche Wohnbauinvestitionen mit der Flüchtlingskrise begründen. - Es könnte eine Glasfaser-Verkabelung des ländlichen Raumes als notwendige Investition in die Digitalisierung der Industrie bezeichnen. - Und es könnte die Finanzierung eines dichten Netzes von E-Tankstellen mit dem Klimawandel begründen.

In Summe könnten diese Investitionen die Wirtschaft vielleicht doch in einem nennenswerten Ausmaß beleben. Dass die dadurch erhöhten Schulden Österreichs Kredite nennenswert verteuerten, glauben nur Ökonomen, die auch von Zinsen keine Ahnung haben.

Peter Michael Lingens kommentiert für profil auch online: www.profil.at/lingens; seine Kommentare finden Sie auch unter www.mittelinks.at.